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Repair-Cafés und Co.

Wider der Wegwerf-Mentalität – in Eigenregie

Es vergeht kein Monat, in dem nicht in den Weiten des Internets die wachsenden Müllberge auf der Erde anprangert werden. Angefangen vom Plastik-Kontinent im Pazifik über die gigantische Elektroschrott-Deponie in Ghana bis hin zu „Müllstädten“ in China und Umweltkatastrophen in Südamerika.

27.06.2016

Von F. Meyer

Jährlich entstehen Millionen Tonnen Elektroschrott. Vieles davon wanderte nur auf den Müll, weil ein Cent-Teil den Dienst versagte. Dieser Wegwerf-Denkweise zu entgehen ist ebenso möglich, wie die Reparatur fast aller Alltagsgegenstände. / Bramwork - Fotolia

Jährlich entstehen Millionen Tonnen Elektroschrott. Vieles davon wanderte nur auf den Müll, weil ein Cent-Teil den Dienst versagte. Dieser Wegwerf-Denkweise zu entgehen ist ebenso möglich, wie die Reparatur fast aller Alltagsgegenstände. / Bramwork - Fotolia

Schuld sei der Kapitalismus – sagen die einen und ziehen sich damit in eine vermeintlich einfache Lösung zurück: Kapitalismuskritik ist en vogue. Aber es ist nicht nur der Kapitalismus an sich: Es ist auch die Wegwerf-Mentalität, die sich in den Köpfen sehr vieler festgesetzt hat: „Kaputt? Neu!“ denken sich viele. Und hier greift tatsächlich zunächst die Kritik an System von Angebot und Nachfrage: Dinge wie Geplante Obsoleszenz sind keine Verschwörungstheorie, sondern Tatsache vieler Hersteller, und sei es nur als kalkulierter Verschleiß. Wenn an einem solchen Gerät etwas kaputt geht, bleibt oft genug tatsächlich nur der Neukauf. Allerdings hat sich diese Verbraucher-Einstellung mittlerweile auch auf andere, reparierbare Dinge übertragen: Wozu die Waschmaschine vom Handwerker für 350 reparieren lassen, wenn es beim Elektro-Discounter für 400 ein Neugerät gibt? Einerseits verständlich, andererseits aber eben auch Gift für den Planeten und zudem Bestätigung für die Hersteller, dass der Markt keine Lust hat auf Reparierbares.

Mitten im Nordpazifik werden durch Strömungen mehrere hundert Millionen Tonnen Plastik als Great Pacific Garbage Patch zusammengehalten – etwa die Größe Mitteleuropas. / ead72 - Fotolia

Mitten im Nordpazifik werden durch Strömungen mehrere hundert Millionen Tonnen Plastik als Great Pacific Garbage Patch zusammengehalten – etwa die Größe Mitteleuropas. / ead72 - Fotolia

Doch mittlerweile erblühen aus den Reihen der Gegner dieser Wegwerfgesellschaft eine Menge Praktiker, die sich handwerklich dagegen stemmen, alles gleich wegzuwerfen. Ihr Credo: Mit dem richtigen Werkzeug und versammelter Brain Power kann alles repariert werden. Treffen tun sie sich in Reparatur-Cafés – und die gibt es auch in der Neckar-Region. Was es darüber zu wissen gibt, erklärt der folgende Artikel.

1. Was ist ein Repair-Café?

Repair-Cafés sind formlose Treffen von Leuten, die über Reparaturkenntnisse und/oder kaputte Geräte verfügen: Dort trifft der pensionierte Schneider auf den jugendlichen Computerfreak – und näht dessen Designer-Jacke wieder fachmännisch zusammen, während der Rechner des alten Herrn einen neuen Lüfter bekommt. Gegründet wurden sie von Martine Postma. Einer Journalistin, die die Nase voll davon hatte, alles wegzuwerfen, nur weil Reparaturen so teuer sind. Mittlerweile gibt es hunderte Cafés weltweit.

Schraubendreher, Zange, Lötkolben. Mehr braucht es bei Elektronikproblemen oft nicht. In den Repair-Cafés finden sich zudem auch Leute mit dem Wissen, wie diese Werkzeuge einzusetzen sind. / Africa Studio - Fotolia 

Schraubendreher, Zange, Lötkolben. Mehr braucht es bei Elektronikproblemen oft nicht. In den Repair-Cafés finden sich zudem auch Leute mit dem Wissen, wie diese Werkzeuge einzusetzen sind. / Africa Studio - Fotolia 

Dort herrscht das Prinzip gegenseitiger Hilfe: Jeder kann kommen – völlig kostenlos. Werkzeuge sind vorhanden, Spenden gerne gesehen. Ebenso wie Menschen, die sich mit Reparaturen auskennen: Ein großer Bestandteil der Idee ist auch, Wissen weiterzugeben, bevor es verschwindet. Einen technischen Beruf erlernt haben, muss man dazu keineswegs. Wer von einem Fachgebiet Ahnung hat und sein Wissen weitergeben möchte, ist dort herzlich willkommen.

Allerdings sollte im Repair-Café niemand erwarten, dass er dort seine kaputte Mikrowelle abgeben und verschwinden kann, nur um am anderen Tag ein funktionierendes Gerät abzuholen. Mitmachen heißt die Devise und „Hilfe zur Selbsthilfe“: Die Experten erklären also den Besitzern wie es geht, greifen auch helfend unter die Arme aber ganz ohne Eigenleistung geht es nicht.

2. Was kann ein Laie denn heute noch selbst reparieren?

Sehr viel mehr, als mancher vielleicht denkt: Prinzipiell gehen bei allen möglichen Geräten meist nur gewisse Kleinteile zu Bruch, die aber das ganze System lahmlegen. Das kann beispielsweise eine schlecht ausgeführte und deshalb gebrochene Lötstelle im Fernseher sein: Ohne die elektrische Verbindung läuft nichts und die Reparatur mittels Lötkolben ist auch nur Sache von Minuten. Aber den Fehler mittels Multimeter und Schaltplan zu finden, das ist das Zeitaufwendige, was die Reparatur in einem Fachbetrieb so teuer macht.

Eine „Boom-Box“ aus den 80ern: Voller Mikroelektronik und deshalb schwierig zu reparieren – aber nicht mit einem Liebhaberkreis wie noch ältere Röhrenradios gesegnet. Fällt hier etwas aus, kann kaum noch ein heutiger Techniker etwas machen. / brat82 - Fotolia

Eine „Boom-Box“ aus den 80ern: Voller Mikroelektronik und deshalb schwierig zu reparieren – aber nicht mit einem Liebhaberkreis wie noch ältere Röhrenradios gesegnet. Fällt hier etwas aus, kann kaum noch ein heutiger Techniker etwas machen. / brat82 - Fotolia

Auch wenn die Waschmaschinentrommel nicht mehr dreht, obwohl sonst noch alles funktioniert, ist meist der sogenannte Poly-V-Riemen schuldig: Ein Antriebsriemen, der die Kraft vom Motor auf die Trommel überträgt. Er ist ein Verschleißteil und um ihn zu reparieren, sind nicht mehr Kenntnisse als zum Aufbau eines Ikea-Regals notwendig – und auch kaum mehr Werkzeug. Aber auch hier nehmen Handwerker viel Geld für diese Reparatur.

Auch sonst sind es oft Widerstände, Kondensatoren, Zahnrädchen und andere Kleinteile, die ein Geräteleben vorzeitig beenden.

Und hier greift die Denkweise der Repair-Cafés: Natürlich traut sich nicht jeder zu, sein Handy, das nicht laden will, aufzuschrauben. Und vielfach fehlt nicht nur das Wissen, sondern auch das notwendige Spezialwerkzeug (auch hier übrigens wieder eine Hersteller-Masche wie etwa das verklebte iPhone), um das Gerät überhaupt zu zerlegen. In den Cafés gibt es hingegen meistens jemanden, der weiß, wie es geht – und zudem auch den zwingend notwendigen Micro-Schraubenzieher und den Keil, um die Klebestelle zu lösen.

3. Warum etwas im Café reparieren lassen, wenn der Handwerker Garantie gibt?

Viele fragen sich, ob die Cafés damit nicht in Konkurrenz zu Handwerksbetrieben stehen. Die Antwort ist simpel: Das tun sie nicht. Denn hierhin kommen fast ausschließlich Leute, deren Alternativ-Option es gewesen wäre, ihr Gerät wegzuwerfen. Entweder, weil die Reparatur zu teuer ist oder Handwerker, ob der Komplexität und somit Reparaturdauer, keine Termine frei haben. Zudem existiert noch eine zweite Besuchergruppe: Die, die Dinge besitzen, die schlicht so alt sind, dass dafür in Betrieben keiner mehr arbeitet, der diese Technik reparieren könnte: Bringen Sie heute mal ihren 70er-Jahre Tonbandspieler zu einem Elektriker Ihrer Wahl und bitten Sie um Austausch der Tonabnehmer – die meisten werden nur lächelnd ablehnen.

Bei vielen Haushaltsgeräten ist zwar eine Reparierbarkeit problemlos gegeben – aber die Kosten für Handwerker-Stunden sind abschreckend. Dabei ist der Tausch vieler Teile auch von Laien mit etwas Anleitung machbar. / industrieblick - Fotolia 

Bei vielen Haushaltsgeräten ist zwar eine Reparierbarkeit problemlos gegeben – aber die Kosten für Handwerker-Stunden sind abschreckend. Dabei ist der Tausch vieler Teile auch von Laien mit etwas Anleitung machbar. / industrieblick - Fotolia 

Allein deshalb sollte man als Besucher auch Zeit mitbringen: Denn es dauert nun mal, sich mit einem Multimeter durch die Leiterbahn eines so komplexen Gerätes wie einem CD-Player zu wühlen, bis die schadhafte Stelle gefunden ist. Diese Zeit wird allerdings mit einer massiven Geldersparnis erkauft, wenn für die Reparatur gar nichts und den durchgeschmorten Kondensator nur Centbeträge zu berappen sind.

4. Wo gibt es denn Ersatzteile?

Einer der großen Vorteile der digitalisierten Welt: Sehr vieles ist standardisiert. Elektronische Komponenten wie Dioden, Wiederstände usw. gibt es im Elektronik-Großhandel – auch wenn der Hersteller selbst vielleicht nichts herausrücken kann oder will. Gleiches gilt auch für Verschleißteile und Dichtungen von Haushaltsgeräten. Im Prinzip gibt es praktisch für jedes Teil, das kaputt geht, einen Ersatz – außer in wirklich seltenen Fällen, in denen etwas Produktspezifisches den Dienst quittiert, etwa die Schublade an einem DVD-Player. Und selbst in solchen Fällen bleibt immer noch der Blick ins Web: Viele Händler haben sich auf solche Ersatzteile spezialisiert. Und auch wenn auch dort nichts hilft, findet sich oft genug noch in Online-Börsen oder auf dem Schrott ein Zweitgerät, das als Teilespender fungieren kann.

Praktisch alle Elektrogeräte bestehen aus vielen zugekauften, oft normierten Teilen wie Kondensatoren und Dioden. Sie sind über Drittanbieter erhältlich und lassen sich recht leicht tauschen. / jogisturtzfreq - Fotolia

Praktisch alle Elektrogeräte bestehen aus vielen zugekauften, oft normierten Teilen wie Kondensatoren und Dioden. Sie sind über Drittanbieter erhältlich und lassen sich recht leicht tauschen. / jogisturtzfreq - Fotolia

Selbst wenn alles fehlschlagen sollte: In den Repair-Cafés gibt es oft genug auch Findige, die ein anderweitig nicht aufzufindendes, gebrochenes Zahnrad aus dem Radiowecker wieder kleben oder schlicht mit einem 3D-Drucker ein Ersatzteil anfertigen.

Grundsätzlich gilt also: Die letzten, an den man sich als Besitzer von schadhaften Geräten außerhalb der Garantie wenden sollte, sind der Hersteller und der Laden, in dem man sie erworben hat. Diese sind nämlich beide daran interessiert, dass der Kunde Geld für ein Neugerät bei ihnen lässt. Andersherum gibt es indes praktisch immer eine Ausweichmöglichkeit, die mit etwas Sucharbeit und Hilfe gefunden werden kann.

5. Wo gibt es denn Repair-Cafés in der Neckar-Region?

Wie eingangs versprochen, enthält dieser Artikel natürlich auch eine Liste von Orten, wo vermeintlich Wegwerfwürdigem wieder Leben eingehaucht wird.

Das Werkstatthaus in Tübingen öffnet einmal monatlich seine Pforten.

• Gleich daneben liegt das Computercafé Kusterdingen. #

• Auch am Bahnhof in Balingen befindet sich ein Repair-Café.

In Rottweil findet jeden letzten Samstag im Monat ein Repair-Café statt.

• Etwas weiter südlich steht das Reparatur Café St. Georgen.

• Weiter nach Norden liegt auch in Sindelfingen eine Anlaufstelle.

• Wer zudem etwas weiter fahren kann, findet auch in Furtwangen ein Reparatur Café.

Am Balinger Bahnhof findet sich ebenso ein Repair-Café wie an sechs weiteren Orten in der Neckar-Region. / Schlesier - Fotolia

Am Balinger Bahnhof findet sich ebenso ein Repair-Café wie an sechs weiteren Orten in der Neckar-Region. / Schlesier - Fotolia

Zudem gilt: Je weiter nördlich man kommt, desto zahlreicher werden die Repair-Cafés. Allein im Großraum Stuttgart liegen weit über ein Dutzend davon. Wer mit dieser Auswahl nicht zufrieden ist, hat zudem immer noch die Möglichkeit, ein eigenes Franchise zu eröffnen – für einen freiwilligen Betrag von 49 Euro, für den es ein Starterpaket mit Handbüchern, Flyer-Vorlagen und eine Aufnahme in das Netzwerk gibt. Die einzige Gegenforderung: Das Ganze muss ehrenamtlich und nicht-kommerziell ablaufen. Obwohl es sich also um ein Franchise-System handelt, liegt das Haupt-Augenmerk darauf, dass hier kein Geld gescheffelt wird.

 

Fazit

Wir werfen zu viel weg – das ist Fakt. Ob es nun durch die Hersteller gefördert wird, oder durch falsch verstandenes Sparsamkeitsdenken, ist dabei zweitranging. Ebenso Fakt ist aber auch, dass sich mit genügend Einsatz praktisch alles wieder reparieren lässt, egal ob es zu alt oder zu selten ist oder der Hersteller vielleicht sogar nicht einmal will, dass es repariert wird. Wer sich diese Denkweise eigen macht, kann sich zwar nicht immer mit den neuesten technischen Spielereien umgeben, tut aber Mutter Natur sehr viel Gutes und vor allem seinem eigenen Geldbeutel: Ein 500-Euro Gerät, dessen Handwerker-Reparatur 400 verschlingen würde, in dem aber nur ein Teil für 2,95 Euro plus Versandkosten kaputt ist, und bei dessen Einbau man noch geholfen bekommt, ist nicht nur billig, sondern gibt seinem selbstreparierenden Eigner auch eine andere Sicht der Dinge: Die des Besitzerstolzes.

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Erstellt:
27.06.2016, 14:24 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 31sec
zuletzt aktualisiert: 27.06.2016, 14:24 Uhr

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