Horb · Verkehrsrecht

Widerspruch zwecklos

Ein Horber Autofahrer legte Einspruch gegen ein Bußgeld ein, weil er um offene juristische Fragen um die Tauglichkeit der Blitzersäule wusste.

05.12.2019

Von Manuel Fuchs

Ausschnitt aus dem Messfoto der Säule an der Stuttgarter Straße in Horb mit mutmaßlich fehlerhaftem Auswerte rahmen. Repro: Manuel Fuchs

Ausschnitt aus dem Messfoto der Säule an der Stuttgarter Straße in Horb mit mutmaßlich fehlerhaftem Auswerte rahmen. Repro: Manuel Fuchs

Ein 63-jähriger Kriminalbeamter im Ruhestand war der Ansicht, er sei vielleicht zu schnell gefahren, aber keinesfalls so schnell, wie ihm die Horber Stadtverwaltung im Bußgeldbescheid unterstellte. Er legte daher Einspruch ein, und der Fall wurde gestern vor dem Horber Amtsgericht verhandelt.

Sein Anwalt hatte eine – gemessen an der Schwere des Vergehens – umfangreiche Gerichtsakte zusammengestellt. Zunächst bemühte er eine formaljuristische Argumentation, um das Verfahren einstellen zu lassen: Ein maschineller Ausdruck, auf dem geschrieben stehe, er sei auch ohne Unterschrift gültig, entspreche nicht dem Geist des Paragrafen 66 im Ordungswidrigkeitengesetz. Dieser verlange zwar nicht ausdrücklich eine Unterschrift auf Bußgeldbescheiden. Dem Gesetzgeber habe aber seinerzeit gar nicht begreiflich sein können, dass irgendwann einmal Bußgeldbescheide in automatisierter Form ergehen könnten. Deshalb habe man damals auf die explizite Forderung nach einer Unterschrift verzichtet – weil es eben selbstverständlich erschienen sei, dass ein solches Dokument auch eine Unterschrift trage. Angesichts dessen sei er überrascht, dass die städtische Angestellte, die den Ausdruck angefertigt und nicht unterzeichnet hatte, nicht als Zeugin geladen sei.

Eine Blitzersäule des Typs Traffistar S 350 steht in Horb an der Stuttgarter Straße Richtung Bildechingen. Bild: Manuel Fuchs

Eine Blitzersäule des Typs Traffistar S 350 steht in Horb an der Stuttgarter Straße Richtung Bildechingen. Bild: Manuel Fuchs

Richter Albrecht Trick wies diese Argumentation zurück, stellte das Verfahren nicht ein, und der Betroffene äußerte sich zur Sache: Ja, er sei der Fahrer des fotografierten Fahrzeugs gewesen. Er kenne die Stelle an der Stuttgarter Straße in Horb natürlich. Viele Bekannte hätten ihm von unerfreulichen Erlebnissen mit der Geschwindigkeitskontrollsäule an der Ausfallstraße nach Bildechingen berichtet. Daher sei er selbst überrascht gewesen, als ihm dort am 11. Juni beim Vorbeifahren ein roter Blitz entgegenstrahlte. Ein sofortiger Blick auf den Tachometer seines Fahrzeuges, eine große Digitalanzeige, habe ihm bestätigt, dass er höchstens ein bisschen zu schnell gewesen sein könne, auf jeden Fall unter 40 km/h – erlaubt sind dort 30. Er habe daher lediglich mit 15 Euro Bußgeld gerechnet.

Als die Stadtverwaltung ihn jedoch mit einem Schreiben vom 4. September beschuldigte, mindestens 50 km/h gefahren zu sein („nach Abzug aller Toleranzen“), und zur Zahlung von 35 Euro aufforderte, seien ihm Zweifel an der Messung gekommen und er habe sich an die Debatte um Messgeräte des Typs Traffistar S 350 erinnert. Genau ein solches ist für das Foto verantwortlich.

Zum Hintergrund: Das Saarländische Verfassungsgericht hatte die Säulen in einem Urteil vom 9. Juli beanstandet. Ein geblitzter Autofahrer hatte damals gegen Messanlagen des Typs Traffistar S350 geklagt, da sie nicht alle Messdaten speicherten und eine Überprüfung der Messung daher nicht möglich sei. Die Verfassungsrichter stimmten dem Autofahrer zu: Seine Grundrechte auf ein faires Verfahren seien verletzt, die Messgeräte „nicht verwertbar“.

„Die Geschichte hat sich tatsächlich entwickelt“, führte der Autofahrer weiter aus. Sein in Hamburg lebender Sohn habe ihm berichtet, dort seien einige der Säulen abgebaut werden. Auch in Albstadt verzichte man vorläufig darauf, eine geplante Traffistar-Säule zu installieren: Die Überempfindlichkeit des Systems habe immer wieder zu Systemausfällen geführt, berichtete eine Zeitung.

Kein Zweifel an Messpräzision

Das Urteil aus dem Saarland entfalte zum einen keine bindende Wirkung für den Rest der Republik, erläuterte Richter Trick. Im Gegenteil: Die Oberlandesgerichte hätten mehrheitlich der Auffassung der saarländischen Verfassungsrichter widersprochen. Zudem zweifelten auch die Saarländer selbst nicht an der Messpräzision der Säule.

Der Anwalt brachte daraufhin ein Urteil des Amtsgerichts Stuttgart ins Spiel. Dort wurde im März 2017 ein Autofahrer freigesprochen, der von einem Traffistar S 350-Gerät mit 53 km/h gemessen und fotografiert worden war. Erlaubt waren 30 km/h. Unter anderem war der vom Gerät zur Verfügung gestellte sogenannte Auswerterahmen angefochten worden. Das ist eine etwa fahrzeugbreite, Rechteck-ähnliche Figur, die das Messgerät auf sein Foto projiziert. Die Oberkante dieser Figur beschreibt einen Kreisbogen nach oben; die linke und rechte Kante des Rechtecks enden ungefähr auf Höhe der Scheinwerfer. Der Rahmen ist am höchsten Punkt des Kreisbogens doppelt so hoch wie an den Rändern. Im Auswerterahmen darf nur ein einziges Fahrzeug sichtbar sein.

Die Darstellung auf Basis der S-350-Aufzeichnungen erfüllte die Vorgaben für den Auswerterahmen offenkundig nicht. Unter anderem deshalb sprach das Stuttgarter Gericht den Betroffenen vom Vorwurf der Geschwindigkeitsübertretung frei. Der Auswerterahmen des im aktuellen Verfahren maßgeblichen Fotos – siehe unteres Bild – erfülle in gleicher Weise die Anforderungen nicht, argumentierte der Anwalt. Dies könne ein Sachverständiger gerichtsfest erörtern, wenn das Gericht ihn einbestelle.

Richter Trick nahm dieser Strategie den Wind aus den Segeln: „Ich werde kein Gutachten von Amts wegen in Auftrag geben“, entgegnete er. Der Betroffene und sein Anwalt erbaten eine Sitzungsunterbrechung und erörterten, ob ein Beweisantrag auf Hinzuziehung eines solchen Sachverständigen gestellt werden sollte. Die Kosten hierfür würden das verhängte Bußgeld etwa um den Faktor 40 überschreiten und zunächst zu Lasten des Betroffenen gehen. Daher sah dieser von einem solchen Beweisantrag ab und zog den Einspruch gegen das Bußgeld zurück. Er äußerte jedoch im Schlusswort die Hoffnung, „dass ich irgendwann einmal lese, dass hier alles falsch gemacht wurde“.

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Erstellt:
05.12.2019, 01:05 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 31sec
zuletzt aktualisiert: 05.12.2019, 01:05 Uhr

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