Verkehr

Wie wird das Dorf mobiler?

Der ländliche Raum hatte schon immer die schlechtere Infrastruktur im Vergleich zur Stadt. Die Parteien in Deutschland sind sich einig, dass sich das ändern muss.

29.07.2021

Von DOROTHEE TOREBKO

Mancherorts hält der Bus nur zweimal am Tag. Der ländliche Raum droht durch die Klimawende weiter abgehängt zu werden. Foto: Marijan Murat/dpa

Mancherorts hält der Bus nur zweimal am Tag. Der ländliche Raum droht durch die Klimawende weiter abgehängt zu werden. Foto: Marijan Murat/dpa

Berlin. Hitzewellen, Waldbrände, Hochwasser: Spätestens seit den immer häufiger auftretenden Umweltkatastrophen ist klar, dass die Gesellschaft klimagerecht umgebaut werden muss. Auch die Mobilität steht auf dem Prüfstand. In den Städten ist in den vergangenen Jahren schon viel getan worden. Auf dem Land hingegen weniger. Das wissen die Parteien, die bei der Bundestagswahl um Mehrheiten kämpfen. Mit unterschiedlichen Mobilitätskonzepten für die Landbevölkerung gehen sie in den Wahlkampf.

Warum ist das Thema so wichtig? Auf dem Land leben 70 Prozent der Deutschen. Während es in der Stadt mit U-Bahn, Taxis und Sharing-Autos unterschiedliche Formen der Mobilität gibt, bleibt den Menschen auf dem Land häufig nur der eigene Pkw zum Pendeln oder für die Einkäufe. Um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu sichern, muss es Veränderungen in der Mobilität geben. Da sind sich fast alle Parteien einig. Denn der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor ist auf europäischer Ebene beschlossen, und nicht jeder Landbewohner wird sich so schnell ein neues E-Auto leisten können. Eine Möglichkeit, dies zu tun, ist, das Bus- und Bahn-Netz zu stärken.

Wie wollen die Parteien den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) reformieren? Die Union setzt auf eine Fortführung ihrer bisherigen Verkehrspolitik und will sowohl Straße als auch Schiene ausbauen. Beim Thema ÖPNV wird es wenig konkret. Die FDP plädiert im Nahverkehr auf Technologieoffenheit und neue Formen der Mobilität wie Carsharing oder Pooling. So müsse es etwa „eine verbesserte Vernetzung und den Ausbau von On-Demand-Verkehren“ geben, sagt Verkehrspolitiker Oliver Luksic.

Die AfD befürwortet einen besser ausgebauten ÖPNV nach dem Vorbild der Schweiz, der Fokus liegt bei ihr auf der Förderung des „motorisierten Individualverkehrs“, also des Privat-Pkw.

Grüne und SPD wollen eine Mobilitätsgarantie. Für die Grünen heißt das, dass jede Ortschaft an das System des ÖPNV angebunden wird. Hier soll es „mindestens stündlich ein Angebot“ geben, sagt der Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, Oliver Krischer. Für die SPD bedeutet die Mobilitätsgarantie, dass für Bewohner aller deutschen Ortschaften alle 20 Minuten Bus, Bahn, Taxi oder Pooling-Fahrzeug verkehren. Maximal 300 Meter sollen die Bürger zum nächsten Verkehrsmittel zurücklegen müssen, erläutert der SPD-Bundestagsabgeordnete Detlef Müller. Der Haken sind die Kosten. Laut Müller beliefen diese sich auf etwa 30 Milliarden Euro.

Wie soll es finanziert werden? Derzeit ist es so: Wenn eine Buslinie betrieben wird, muss dafür ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt aufkommen. Deren Kassen sind aber klamm. „Viele Kommunen sind unterm Rettungsschirm der Länder und dürfen keine Ausgaben vornehmen, die über die Pflichtaufgaben hinausgehen“, so Bastian Kettner, Sprecher für Bahn, ÖPNV und Multimodalität beim ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD).

Andere Finanzierungsoptionen sind also notwendig. Eine Möglichkeit wären höhere Regionalisierungsmittel. Dies sind Gelder, die der Bund den Ländern hauptsächlich für den Schienenpersonennahverkehr zur Verfügung stellt. Die Verkehrsminister der Länder haben bereits eine schrittweise Erhöhung der Mittel gefordert. Doch der Bund hat gerade selber Geldsorgen. SPD-Politiker Müller schlägt deshalb vor. „Das Geld könnte aus den Einnahmen durch den CO2-Preis kommen.“

Reicht das aus? Nein, sagt der VCD und plädiert für eine dritte Finanzierungsquelle. Länder sollen Kommunen ermächtigen, eine Abgabe von Dritten zu erheben. Die Kommunen entscheiden dann, wen sie zur Kasse bitten – zum Beispiel Autofahrer oder Unternehmen. Auch Jan Strehmann vom Deutschen Städte- und Gemeindebund hält diesen Weg für gangbar. In einem Abschlussbericht des Bündnisses für moderne Mobilität, bei dem Bund, Länder und Kommunen beteiligt waren, wurde vereinbart, dass „wir die verschiedenen Finanzierungsoptionen unvoreingenommen diskutieren müssen“, sagt Strehmann. „Nur so können die Kommunen den notwendigen Handlungsspielraum erhalten.“

Gibt es Anfänge in Deutschland? Im Koalitionsvertrag von Grünen und Union in Baden-Württemberg ist eine Mobilitätsgarantie verankert. Das Konzept sieht vor, dass alle Orte im Land von 5 Uhr morgens bis Mitternacht mit dem ÖPNV erreichbar sein sollen. Bis 2026 soll es zu den Hauptverkehrszeiten im ländlichen Raum einen Halbstundentakt und im Ballungsraum einen Viertelstundentakt geben. Die Kosten werden sich auf 600 Millionen Euro belaufen. Zur Finanzierung will das Land den Kommunen die Möglichkeit geben, eine Nahverkehrsabgabe zu erheben.

Soll das Auto damit abgeschafft werden? Nein, sagen Grüne und SPD unisono. „Es geht darum, attraktive Alternativen zu schaffen“, meint Fraktionsvize Krischer. Der öffentliche Nahverkehr müsse aber so gut sein, „dass die Bürger auf diesen zugreifen wollen“, betont der SPD-Abgeordnete Müller.

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Erstellt:
29.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 14sec
zuletzt aktualisiert: 29.07.2021, 06:00 Uhr

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