Kreis Freudenstadt

Wo ist der Weg aus dem ÖPNV-Chaos?

28.02.2020

Von Benjamin Breitmaier und Fabian Schäfer

Wo ist der Weg aus dem ÖPNV-Chaos?

Die Strecke gleicht einer halben Weltreise: Der Bus 7406 von Horb nach Freudenstadt hält an 23 Stellen; Netto-Fahrzeit: 52 Minuten. Hinzu kommt der Weg von der eigenen Wohnung oder dem Arbeitsplatz zu den Busbahnhöfen. Mit dem eigenen Auto dauert die gleiche Strecke etwa 25 Minuten. Die Busfahrt führt durch vier der 23 Parzellen im Zonen-Chaos der Vgf, der Verkehrs-Gemeinschaft im Landkreis Freudenstadt. Zum Vergleich: Seit dem 1. Januar 2019 besteht der gesamte Kreis Böblingen nur noch aus einer Zone im Netz des VVS, des Verkehrsverbunds Stuttgart.

Die Recherche nach der richtigen Verbindung kann sich dabei zu einer echten Herausforderung entwickeln. Auf der Webseite der Vgf müsste sich der Nutzer durch lange Listen an PDF-Dokumenten scrollen, in denen komplizierte Grauton-Tabellen an den Kopfschmerz erinnern, den man als Schüler beim Versuch empfand, Busfahrpläne zu lesen.

BW-Tarif-Zeitkarten noch 2020

Besser funktioniert die Verbindungssuche über www.efa-bw.de, das auch auf der Vgf-Webseite eingebunden ist. Das Portal von „Bwegt“ gibt es auch als App für Smartphones. Hier wird die Fahrt mit dem Bus 7406 mit 5,70 Euro ausgewiesen – kaufen kann man das Ticket aber auch über das Portal nicht, genauso wenig wie über die klassische App der Bahn. Für Pendler gibt es im Übrigen keine Möglichkeit, Zeitkarten im BW-Tarif zu beziehen – zumindest noch nicht. Laut Franz Schweizer, Geschäftsführer der Vgf, sollen diese jedoch noch im Jahr 2020 kommen.

Die beiden Beispiele zeigen, warum sich Menschen im Landkreis Freudenstadt schwer tun, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Zum Vergleich: Im VVS-Netz hätte es genügt, die App der Bahn zu öffnen, die Verbindung zu prüfen und mit drei Klicks ein Ticket zu kaufen, das für eine Zone mit dem Smartphone 2,37 Euro kostet. Entsprechend zeigte die Horber Stadtverwaltung bereits Interesse, sich dem Stuttgarter Verbund anzuschließen – beziehungsweise dem Tarif.

„Es geht nicht um einen Beitritt zum VVS, sondern darum, dass Reisende in Horb und Eutingen Tickets für VVS-Verbindungen kaufen können“, erklärt Schweizer im Gespräch mit der SÜDWEST PRESSE. Das ist, Stand jetzt, nicht möglich. Pendler fahren derzeit oft nach Bondorf, weil es dort die Fahrkarten in Richtung Stuttgart zu kaufen gibt. Darum sei es auch bei dem Vorstoß in Richtung VVS, über den die SÜDWEST PRESSE berichtete, gegangen. Allerdings stellt sich das Land bei diesen Bemühungen quer. „Das Ministerium will den BW-Tarif etablieren. Doch der andere Weg ist bezahlbar und würde das Problem lösen. Horb komplett in den VVS zu integrieren, macht keinen Sinn“, erklärt Schweizer.

Die Preise sind jedoch nur ein Teil der Problematik. Die beschriebene Verbindung von Horb nach Freudenstadt stammt aus dem Fahrplan für einen normalen Werktag, eine Strecke, die nicht von einem Teilort in den anderen führt, sondern die beiden Großen Kreisstädte verbindet. Die Situation in den Ferien oder am Wochenende – die Vgf nennt es den Freizeitverkehr – ist eine ganz andere.

Das Tarifchaos im Vgf umfasst darüber hinaus eine Bandbreite an Vergünstigungen und gruppenspezifischen Tickets, die durchaus für Kopfzerbrechen sorgt:
NationalparkTicket, RegioXsolo, KVV-Netzkarten, Schülerfreizeitticket, Studi-Anschlussticket, dazu der gesondert ausgewiesene Nachtverkehr – nur eine Auswahl.

15 verschiedene Verkehrsbetriebe müssen in der Vgf koordiniert werden, diese stehen vor einem Problem, das sich wohl nur durch einen grundlegenden Systemwechsel lösen lässt. Neben den Schienenverbindungen zeichnet sich die Situation ähnlich wie in anderen ländlichen Regionen: Riesige Geisterbusse – dieselbetrieben, oft mit mehr als 50 Plätzen – schieben sich durch die Weite der Landschaft und müssen ein Netz an verstreuten Siedlungen bedienen, in denen wenige Menschen leben, die selbstverständlich ebenso mobil sein müssen, wie die Bewohner der Städte. Wirtschaftlich hängen die Busunternehmen am Tropf des Schülerverkehrs. Sie fahren auch daher nach Plänen, die sich seit Jahrzehnten nicht bedeutend geändert haben.

3,3 Millionen für Schülertickets

Das „Rückgrat“ dieses Konstrukts – so wird der Schülerverkehr oft von Vertretern der Vgf bezeichnet – wird dabei auch aus Landesmitteln finanziert. Vorgegeben ist, dass Tickets für Schulpflichtige 25 Prozent billiger sein müssen, als für Erwachsene. Davon wird die Hälfte, gut 12 Prozent, vom Land bezuschusst. 3,3 Millionen Euro waren es für den Kreis Freudenstadt allein im Jahr 2010, wie aus einer Anfrage der damaligen Landtagsabgeordneten der FDP/DVP–Fraktion, Beate Fauser, hervorgeht. Daneben gehört Freudenstadt zu den Landkreisen, die laut Landrat Klaus Michael Rückert am wenigsten pro Kopf in den ÖPNV investieren.

In diese schwierige Gemengelage versucht nun das Freudenstädter Landratsamt seit Oktober des vergangenen Jahres, Struktur zu bringen. Ein Meilenstein war die große Umfrage im Oktober 2019. Sie sollte die Fortschreibung des Nahverkehrsplans vorbereiten, eines kommunalrechtlichen Instruments, mit dem Landkreise ihre ÖPNV-Planung strukturieren.

Die Umfrage, an der etwa 4500 Personen teilnahmen, zeigte deutlich zwei wenig überraschende Umstände: Nur wenige können hier auf ein Auto verzichten, quasi jeder Erwachsene im Kreis Freudenstadt nutzt ein Kraftfahrzeug, und die Qualität des ÖPNV weist deutliche Mängel auf. So weit zur Problemstellung, aber wie gehen der Landkreis und seine Gemeinden das Problem an?

Horbs dunkle Carsharing-Zeit

Die Zahl der Innovationen und Pilotprojekte für das Thema „Alternative Mobilität“ scheint täglich zu wachsen. Die größeren Gemeinden des Landkreises experimentieren alle mit neuen Möglichkeiten. Zur Auswahl stehen Mitfahrbänkle, Carsharing-Projekte, Rufbusse und ehrenamtlich getragene Bürgerbusse.

Mit dem Thema Carsharing verbindet man in Horb jedoch wenig Gutes: 2014 wurde ein Landesförderprogramm genutzt, um drei Fahrzeuge des Tübinger Anbieters „Teilauto“ in der Neckarstadt zu stationieren. Die Verluste des Unternehmens mussten dabei durch die Kommune ausgeglichen werden. Das Angebot wurde nur vereinzelt in Anspruch genommen, nach zwei Jahren wurde der Betrieb wieder eingestellt. In dem Zeitraum hätte das Projekt 10 000 Euro Umsatz erzielen sollen, eingenommen wurden jedoch nur 3000 Euro. Hauptnutzer waren die Mitarbeiter der Stadtverwaltung Horb selbst.

„Die Vgf befürwortet jegliche Art von Verkehrsförderung, solange sie richtig gemacht wird und kein Konkurrenzdenken unter den einzelnen Teilnehmern entsteht“, sagt Franz Schweizer. Doch in der Fläche wird kein Mitfahrbänkle die Grundproblematik des ÖPNVs im Landkreis Freudenstadt beheben.

Im November setzte daher Landrat Rückert erste Eckpunkte: Er will einen sogenannten integraler Taktfahrplan umsetzen: Eine Kombination aus Bus und Bahn, eine Mischung aus ÖPNV und Rufbussen, das Nutzen anderer Mobilitätsformen wie Werksverkehr, Carsharing und Mitfahrangebote. Dabei sollen mehr Personen auf die Schiene gebracht werden, indem die Fahrpläne von Buslinien entlang der Bahnlinien wie im Murgtal enger mit der Schiene verzahnt. Aktuell steht die Taktung durch mehrere Fachleute in der Kritik.

Große Hoffnung setzen der Landrat wie auch die Stadt Horb in die geplante Nahverkehrs-App für Smartphones. Sie soll ein Verbindungsglied darstellen, soll klassischen Nahverkehr mit modernen Angeboten wie Rufbussen kombinieren. Doch es wird Jahre dauern, bis die App genutzt werden kann. So wurde bis dato nicht vorgestellt, was das Programm können wird – ob es ein Bezahlmodell gibt? Wie dieses aussehen wird?

Fest steht allerdings: Wenn die ÖPNV-App ihrer Rolle als Hoffnungsträger gerecht werden will, müsste sich die Zahl der Mobilfunklöcher im Kreis Freudenstadt verringern. Denn ohne Empfang, wird auch die Suche nach Busverbindungen per Smartphone zum Ding der Unmöglichkeit.

Wo ist der Weg aus dem ÖPNV-Chaos? Infrastruktur Öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen ist in Horb und dem gesamten Landkreis eine komplizierte Sache. Stadt, Verkehrsbund und Land wollen dagegen nun vorgehen, doch das ist gar nicht so einfach.

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28.02.2020, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 28.02.2020, 01:00 Uhr

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