Formidabler Hinterwald-Horror - aber nur für Leute mit Drahtseil-Nerven.

Wolf Creek

Formidabler Hinterwald-Horror - aber nur für Leute mit Drahtseil-Nerven.

24.11.2015

Von che

Wolf Creek

30.000 Menschen verschwinden jedes Jahr in Australien spurlos, raunt uns „Wolf Creek? gleich am Anfang entgegen. Es gibt also einigen Grund zu der Annahme, dass Kristy, Ben und Liz nichts Gutes widerfährt. Die drei jungen, ziemlich unbedarften Rucksack-Touristen haben sich ein altes Auto gekauft, um einen Trip durch das fast menschenleere Hinterland Westaustraliens zu unternehmen. Nach einem letzten Besäufnis im Backpacker-Resort geht die Reise durch karge Steppe und ungastliche Dörfer voller abgewrackter Crocodile-Dundee-Typen. Erstes Etappenziel ist ein abgelegener Meteoritenkrater, wo nach einer Wanderung mit Techtelmechtel die Karre plötzlich nicht mehr anspringt. Es wird Nacht, und von Ferne nahen die Lichter eines Pickups, dem ein merkwürdiger Kauz mit Hut entsteigt . . .

Seit dem Megahit „Blair Witch Project? erzählen Dutzende von Gruselfilmen immer wieder die gleiche Geschichte: wie ein Trupp mehr oder weniger junger Leute abseits der Zivilisation ihr blaues bis blutrotes Wunder erlebt. Auch „Wolf Creek? ist äußerlich nach diesem Muster gestrickt, seine inneren Werte bezieht er jedoch mehr aus den inwendigen siebziger Jahren. Wie in Nicolas Roegs Outback-Klassiker „Walkabout? lässt Regisseur Greg McLean intensiv und mystisch die Landschaft wirken, und wie John Boorman im Hinterwald-Schocker „Beim Sterben ist jeder der erste? nimmt er sich viel Zeit für die Figuren.

Eine knappe Stunde lang plätschert der Film im Look eines hyperrealistischen Urlaubsvideos fast handlungslos einher ? und schafft sich so die bestmögliche Ausgangsbasis für das umso nachhaltiger hereinbrechende Grauen. Kaum merkliche Irritationen und Vorverweise halten die Spannung am Köcheln, ehe der hochbegabte Kino-Debütant die Protagonisten und uns Zuschauer mit einem Ruck am Fleischerhaken hochzieht und hilflos baumeln lässt.

Umso heftiger wirken die nun in schneller Folge verabreichten Schocks, da McLean den im Teenie-Horror üblichen ironischen Anspielungen und Übertreibungen, durch die man Distanz zum Geschehen aufbauen könnte, ebenso wenig Spielraum lässt wie den berechenbaren Standardeffekten und Handlungsklischees des Genres. Auch der neuerdings gern und schrill ausgemalte Folter-Sadismus („Hostel?, „Saw 2?) bleibt nebensächlich. Stattdessen fokussiert der Regisseur mit gnadenloser Strenge und ohne voyeuristischen (oder gar frauenfeindlichen, wie einige Kritiker mäkelten) Impuls ganz nah auf die Furcht der Opfer. Resultat ist ein Alptraum, wie man ihn schweißtreibender und verstörender schon lange nicht mehr im Kino erlebt hat.

Wer nach einer solchen Tour de Force nach Erlösung dürstet, muss sich mit der Statistik begnügen. Laut polizeilicher Zahlenkolonnen sind die allermeisten der spurlos Verschwundenen nach ein paar Tagen wieder daheim.