Ein Chamäleon

Woody Allen hat den Softie, den empfindsamen, intelligenten Mann, salonfähig gemacht

Er ist Filmemacher, Autor, Schauspieler, ein unendlich fleißiger und erfolgreicher noch dazu. Am 1. Dezember wird Woody Allen, der schmächtige Künstler mit der dicken Brille, 80 Jahre alt. Mit seinen Filmen hat er das Bild des soften, intelligenten Mannes ebenso geprägt wie das der Metropole New York. Ein Interview mit Oliver Kanehl über das schillernde Männerbild in Allens Filmen.

01.12.2015

Von Gerlinde Buck

In „Play it again, Sam“ von 1972 verkörpert Woody Allen den introvertierten Filmkritiker Allan Felix. Seine Frau hat ihn verlassen, und Freunde versuchen nun mit aller Macht, ihm zu einer neuen Partnerin zu verhelfen. Doch der unsichere, intellektuelle Softie tut sich schwer mit den Frauen, auch und nicht zuletzt mit der Nymphomanin Jennifer (Viva).

In „Play it again, Sam“ von 1972 verkörpert Woody Allen den introvertierten Filmkritiker Allan Felix. Seine Frau hat ihn verlassen, und Freunde versuchen nun mit aller Macht, ihm zu einer neuen Partnerin zu verhelfen. Doch der unsichere, intellektuelle Softie tut sich schwer mit den Frauen, auch und nicht zuletzt mit der Nymphomanin Jennifer (Viva).

Die Literatur über Woody Allen, den Komiker, Filmregisseur, Autor, Schauspieler und Musiker, füllt längst Bibliotheken. Rund um seinen 80. Geburtstag am 1. Dezember dürften weltweit noch ein paar Dutzend Bio- und Filmografien hinzukommen. Der erste Autor jedoch, der sich speziell mit dem Männerbild in Woody Allens Filmen auseinandergesetzt hat, ist der Hamburger Soziologe Oliver Kanehl. In seinem Buch „Die Konstruktion von Männlichkeit in Woody Allens Filmen“ hat der 45-Jährige insbesondere Allens Filme der 1970er- bis 90er-Jahre untersucht. Einige Filmszenen hat Kanehl bei der Recherche „wohl bis zu 40 Mal angesehen“. Kein Wunder also, dass er manche Filme inzwischen mitsprechen kann, vor allem die, in denen Woody Allen selbst die Hauptrolle spielt.

Herr Kanehl, Sie haben ein Buch über „Die Konstruktion von Männlichkeit in Woody Allens Filmen“ geschrieben. Geht es bei Woody Allen nicht eher um die Dekonstruktion von Männlichkeit?

OLIVER KANEHL: Genau das ist die Frage. In jedem Film werden ja durch Story, Bild und Wort Geschlechteridentitäten repräsentiert. Mich hat interessiert, inwiefern Woody Allens Filmfigur wirklich das patriarchale Hollywoodkino unterläuft. In vielen Filmen ist die männliche Hauptrolle klar definiert: Ein großer, starker, gut aussehender Mann, der letzten Endes sein Abenteuer besteht und das Mädchen kriegt. Bei Allen ist oft das Gegenteil der Fall. Seine Figur hat in den frühen Filmen große Probleme mit Frauen, ist schon äußerlich unattraktiv: klein, schwach und Brillenträger. In Woody Allens erstem Film „Take The Money And Run“ wird die Brille des männlichen Helden immer wieder zertreten und dieser somit ständig symbolisch kastriert.

Der totale Gegenentwurf also zum klassischen Männlichkeitsideal . . .

KANEHL: Auf jeden Fall parodiert Allen dieses Ideal immer wieder. Sehr schön zeigt das eine Szene im Film „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten“. In der Episode „Was geschieht bei der Ejakulation?“ sehen wir Spermien, inszeniert wie Fallschirmspringer in einem Kriegsfilm, die todesmutig über Feindesland abspringen sollen, alles richtige Kerle. Mittendrin Woody Allen als kleines Spermium, das große Bedenken hat. Das auf gar keinen Fall raus will, sich verweigert. Damit führt Allen das alte Ideal vom tapferen Draufgänger ad absurdum. Er ist ein Feigling, aber ein intelligenter.

Ist die Unmännlichkeit in Woody Allens Filmen denn wirklich mehr als ein Konstrukt? Sind Filmfigur und Autor im Grunde ihres Herzens nicht doch eher hart und machohaft wie Bruce Willis?

KANEHL: Gewiss, gerade in Allens frühen Filmen möchte seine Figur unbedingt stark und männlich sein und kritisiert also den Status Quo nur bedingt. Wenn Allen das Bild vom starken Mann parodiert, hat das freilich verschiedene Effekte. Und in den 1970er- und 80er-Jahren war das einfach etwas Neues, der schwache Mann als Kinostar. Eine solche Figur sorgte für Identifikation bei vielen Zuschauern, vor allem bei Intellektuellen.

Sind das heutzutage nicht alles alte Geschichten? James Bond ist doch längst auch nicht mehr die coole Socke, die er mal war.

KANEHL: Tatsächlich gibt es heute im Mainstream-Kino wieder mehr vermeintlich schwächere und gebrochene Männerfiguren. Selbst Bond kann mittlerweile scheitern, und ob dann sein Martini gerührt oder geschüttelt ist, ist ihm scheißegal. Gleichzeitig hat die Sexualisierung des Mannes zugenommen, und so entsteigt in „Casino Royal“ der durchtrainierte Daniel Craig heute wie einst die wohlgeformte Ursula Andress den Fluten.

Das patriarchale Kino hat also, auch dank Woody Allen, endgültig ausgedient?

KANEHL: Soweit kann man nicht gehen. Tatsache ist, dass das Kino uns darin beeinflusst, wie wir Männer, Frauen und Beziehungen sehen. Fakt ist, dass in Allens Filmen der 1970er-Jahre die männliche Hauptfigur oft als schwach, ja effeminiert, also verweiblicht, dargestellt wird. Das war bei anderen Komikern, wie etwa Charlie Chaplin, zuvor zwar ähnlich, aber keine Figur entwickelte eine solche Stärke aus ihrer Intellektualität und Selbstironie. Und auch wenn er vermeintlich scheitert, bleibt Allens Charakter auf eine Weise überlegen zurück.

Wie gelingt ihm das?

KANEHL: Wie anderen Filmcharakteren auch. Allens Figur trifft eine Frau, die ihn spiegelt, die ihn versteht, ihn komplettiert. In „Play it again, Sam“, Woody Allens Parodie auf den Filmklassiker „Casablanca“ etwa, schafft es Allens Held am Ende, dank der Liebe einer Frau Souveränität zu gewinnen und seinen eigenen Weg zu gehen. Er verhält sich nicht mehr hilflos und unmännlich. Genau wie im Original gibt es jedoch kein echtes Happy End. Was bei Woody Allen eigentlich immer der Fall ist. Am Ende ist alles offen.

Sogar in den Filmen mit Happy End?

KANEHL: Auch und gerade dann. Das glückliche Ende bei Allen ist bisweilen dermaßen übersteigert, dass auch dieses sich selbst karikiert. In der Komödie „Mighty Aphrodite“ zum Beispiel passieren viele aufregende Dinge, aber zum Schluss wird schlagartig alles gut, und es gibt wie im griechischen Drama den Deus ex Machina: Einem Gott gleich kommt ein Zahnarzt geflogen, steigt aus dem Helikopter und heiratet die Protagonistin.

Und was ist Woody Allen selbst für ein Mann? Zumindest sein Aussehen hat ihn ja durchaus für die Rolle des hilflosen Männchens prädestiniert.

KANEHL: Ganz sicher hat Woody Allen einen Teil von sich in seine Rollen einfließen lassen. Aber wo der echte Allen aufhört und wo die Rolle anfängt, diese Grenze ist nicht festzumachen. Hauptsächlich ist Woody Allen ein großer Filmemacher, ein Künstler. Er stellt Klischees auf den Prüfstand, er parodiert und persifliert, aber wo er als Person tatsächlich zu verorten ist, bleibt offen. Da er aber im Film wie im Leben die gleiche Brille trägt, glauben viele, Film- und Realperson seien eins.

Oft hat sich Woody Allen die Rolle des Verlierers auf den Leib geschrieben – was er im wahren Leben niemals war.

KANEHL: Woody Allen ist von Anfang an ein erfolgreicher Künstler, schon lange vor seiner Filmkarriere. Er schreibt, spielt, inszeniert, nicht zuletzt seine eigene Person. Mit ihm als Privatmensch haben seine Rollen wohl eher wenig zu tun. Im Gegensatz zu den Figuren, die er verkörpert, war er immer sportlich. Er hat auch nie wie sein Charakter in „Deconstructing Harry“ unter einer Schreibblockade gelitten. Und dass Woody Allen im echten Leben sehr wohl Erfolg bei Frauen hat, zeigt die Vielzahl seiner Beziehungen.

Ist dies das Besondere bei Woody Allen: Es gibt keine Gewissheiten im Leben und keine Schublade, in die sich „der“ Mann, „das“ Glück oder gar Woody Allen selbst pressen ließen?

KANEHL: Woody Allen hat einen neuen Männer-Charakter im Film etabliert. Einen Mann mit Gefühlen, Intelligenz und Humor, mit der Fähigkeit zur Selbstironie. Er ist dieser Charakter aber nicht selbst. Er spielt mit allem, er bricht Klischees, aber er lässt sich letzten Endes als Person nicht greifen. Er gleicht dem menschlichen Chamäleon, das er in „Zelig“ verkörpert. Ganz sicher ist, und das ist vielleicht das Tollste am Filmemacher Woody Allen, dass er sein Publikum konsequent an der Nase herumführt.

Oliver Kanehl: Die Konstruktion von Männlichkeit in Woody Allens Filmen; Ibidem-Verlag Stuttgart; 238 S., 29.90 Euro

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Erstellt:
01.12.2015, 20:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 35sec
zuletzt aktualisiert: 01.12.2015, 20:00 Uhr

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