Wrong Elements

Wrong Elements

In der Doku des Schriftstellers Jonathan Littell erinnern sich Jugendliche aus Ostafrika an ihre Zeit als Kindersoldaten.

24.04.2016

Von Wilhelm Triebold

Wrong Elements

Jonathan Littells Roman „Die Wohlgesinnten“ war einst ein Ereignis, nicht nur in seiner Wahlheimat Frankreich. Er schilderte die Nazi-Verbrechen aus der Sicht eines schwulen SS-Feingeists und damit, selten genug, aus der Täterperspektive.

Das war man nicht gewohnt, und das ließ in seiner gut recherchierten, trotzdem phantasmagorischen Machart wohl auch kaum jemanden kalt. Einer, der Littell damals widerstrebend Respekt bezeugte, war Claude Lanzmann. Und Littells Dokumentarfilm steht merkbar in der Tradition von Lanzmanns „Shoa“-Pioniertat, die auf Gräuelbilder vom Holocaust verzichtete, um stattdessen das Grauen aus der Erinnerung hervorzuholen - unerbittlich und quälend präzise.

Bei Littell sind es die Kindersoldaten einer obskuren Geisterarmee und Söldnersekte, die (wie heute noch Boko Haram in Nigeria) in Uganda und im Südsudan ihr Unwesen trieb. Sie erscheinen als Täter und Opfer gleichermaßen, in blutjungen Jahren zum Waffendienst der Rebellenbewegung LRA (Lord’s Resistance Army) gepresst und dabei hundert- und tausendfach zu Mördern und Marodeuren umfunktioniert.

Littell hatte schon seinen Roman in Form einer barocken Suite komponiert. Auch hier bettet er die Reise zu den afrikanischen Abgründen neuerlicher Schreckensszenarien in die musikalischen Trostbotschaften aus Bachs Johannespassion und Bibers Rosencranz-Sonaten - ein Kontrastprogramm, das bereits auf Vergebung statt Vergeltung hindeutet.

Tatsächlich sind die drei jungen Hauptpersonen in Littells beeindruckendem Filmdebüt drei Gezeichnete. Allen voran Geofrey, scheinbar ein Sonnyboy mit erfrischend spitzbübischem Lächeln, der mit seinen Kumpeln Michael und Nighty fröhlich feixt und Faxen macht, als wollten sie die verpasste Kindheit nachholen und die Kellerleichen von damals verscheuchen. Sie wurden allesamt entführt und traumatisiert, machten sich unschuldig schuldig und suchen nun nach Normalität.

Littell begleitet sie zu den Tatorten und Schauplätzen in Busch und Dschungel, spürt mit ihnen den dokumentarisch angetippten Verbrechen nach: eindringlich, aber nie aufdringlich, und weit weniger spektakulär als mit seinem Roman-Aufreger vor zehn Jahren. Doch wer Geofrey dabei zusieht, wie er sich Absolution holt bei einer verwitterten Überlebenden eines der Massaker, ahnt: absoluten Frieden dürfte es für die verwüsteten Seelen trotz allem kaum geben. Der Film endet mit einem heftigen tropischen Gewitter. Ein reinigendes wird es nicht sein.

Kriegsversehrte Kinderseelen in Afrika und was auch ihnen wird: Jonathan Littell ist auch ein spannender Regisseur.

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Erstellt:
24.04.2016, 11:11 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 08sec
zuletzt aktualisiert: 24.04.2016, 11:11 Uhr

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