Leberkrebs

Zellen fallen in einen Winterschlaf

Tübinger Wissenschaftler um den Gastroenterologen Lars Zender erforschen, wie Tumorzellen das Immunsystem des Körpers austricksen und wie die Medizin das nutzen kann.

13.10.2016

Von ST

Defekte Leberzellen sorgen selbst für ihre Beseitigung – Lebertumoren dagegen unterlaufen diesen Schutzmechanismus und nutzen ihn für verstärktes Tumorwachstum. Das hat eine Arbeitsgruppe um Prof. Lars Zender am Uni-Klinikum Tübingen in Zusammenarbeit mit Forschern des National Cancer Institutes (USA) herausgefunden.

In Leberzellen sorgt ein eingebauter Schutzmechanismus dafür, dass sie in eine Art Winterschlaf (Seneszenz) fallen, wenn ihre Erbinformation irreparabel geschädigt ist. Der Schutzmechanismus verhindert, dass sich fehlerhafte Zellen unkontrolliert vermehren und Krebstumore bilden. Die Zellen im Ruhestand geben dabei Botenstoffe ab, die Zellen der körpereigenen Abwehr anlocken. Sie lösen damit ihre eigene Zerstörung aus.

Eine Studie der Arbeitsgruppe von Zender zeigt, dass über den Botenstoff CCL2 angelockte Zellen grundlegend für den Schutz vor der Krebsentstehung sind. In einem zweiten Schritt konnte das Forscherteam zeigen, dass dieser sinnvolle Mechanismus des Immunsystems unterlaufen wird, wenn sich in der Nachbarschaft bereits Zellen eines bösartigen Tumors befinden. Dann nutzt der Tumor den Schutzmechanismus der ruhiggestellten Zellen zu seinem Vorteil und behindert damit das gegen ihn arbeitende Immunsystem.

Das Leberzellkarzinom stellt weltweit die zweithäufigste Krebstodesursache dar, die Therapiemöglichkeiten sind bis heute eingeschränkt. Am Universitätsklinikum Tübingen sucht die Arbeitsgruppe um Zender in Mausmodellen und an Proben aus menschlichen Tumoren nach neuen therapeutischen Zielstrukturen zur Behandlung des Leberzellkarzinoms.

Leberkrebs entsteht meistens im Rahmen von chronischen Lebererkrankungen, in deren Folge sich geschädigte Zellen in der Leber ansammeln können. Häufig finden sich daher bei Patienten mit Leberkrebs neben dem Tumor auch eine hohe Zahl an seneszenten Leberzellen. In der aktuellen Studie untersuchten die Forscher daher auch, welchen Effekt seneszente Zellen auf das Wachstum bösartiger Lebertumore haben. Dabei stellten sie fest, dass ein „seneszentes Milieu“ bei Leberkrebs-Patienten mit einer schlechteren Prognose assoziiert ist und auch im Mausmodell das Wachstum von Lebertumoren beschleunigen kann.

Paradoxerweise zeigte sich, dass für diesen Effekt ebenfalls Immunzellen verantwortlich sind, die durch die schlafenden Zellen mithilfe des Botenstoffs CCL2 in die Leber gelockt werden. Die Untersuchung zeigt, dass die unter normalen Umständen nützlichen Zellen unter dem Einfluss eines bereits bestehenden, bösartigen Tumors nicht mehr korrekt ausreifen können. Sie nehmen stattdessen immunsuppressive Eigenschaften an und beeinträchtigen die Funktion anderer Zellen des Immunsystems, die normalerweise dabei helfen das Tumorwachstum zu verlangsamen, wenn sich Leberkrebs bereits gebildet hat.

Die Ergebnisse tragen zu einem verbesserten Verständnis der Rolle der Immunantwort während der Tumorprogression bei und verdeutlichen, wie wichtig die Abläufe sind, die seneszente Zellen aus dem Körper entfernen. Prof. Lars Zender, Ärztlicher Direktor der Abteilung für klinische Tumorbiologie an der Medizinischen Universitätsklinik Tübingen: „ Wir möchten die Seneszenz für die Krebstherapie nutzbar machen. Die vorliegenden Erkenntnisse werden eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Strategien spielen, um bösartig wachsende Tumore in den künstlichen Winterschlaf zurückversetzen zu können.“