Überbucht

Zu viele Psychologen an der Tübinger Uni

Im Studiengang Psychologie gibt es an der Universität Tübingen deutlich mehr Erstsemester als üblich – doch das war nicht absehbar.

06.12.2016

Von Clemens Hirschfeld

Tübinger Studiengang Psychologie völlig überbucht
© Video: Habtemariam & Binnig 01:42 min
Tübinger Studiengang Psychologie völlig überbucht

Bereits Anfang November berichteten wir vom völlig überbuchten Psychologie-Studiengang an der Universität Tübingen. Insgesamt gab es 2331 Bewerbungen auf nur 119 Plätzen: „Ein durchschnittlicher Wert“, wie die Uni mitteilt. Allerdings hatten in diesem Jahr 303 Studierende, also mehr als das Zweieinhalbfache, eine Zulassungsbescheinigung erhalten.

Schuld daran war laut Universität das „ungewöhnliche Annahmeverhalten der Bewerber“. Nach unseren Recherchen tragen aber auch mangelnde Kommunikation der Hochschulen untereinander und ein Fehler im Zulassungssystem des zentralen Onlineportals Hochschulstart.de eine Mitschuld.

Ein Problem ist, dass es trotz Zulassungsangebot von der Uni häufig Absagen von Bewerber/innen gibt, da diese sich auch an Hochschulen bewerben, die nicht über das zentrale Onlineportal Hochschulstart.de koordiniert werden. Um dies zu kompensieren vergeben die Hochschulen in den vier Zulassungswellen mehr Plätze als tatsächlich zur Verfügung stehen. Dafür greifen die Universitäten auf Erfahrungswerten aus den letzten Jahren zurück. Doch genau hier kam es zu Fehleinschätzungen an der Uni Tübingen.

Anders als prognostiziert entschieden sich bis zur letzten Zulassungsphase deutlich weniger Bewerber dafür, sich in Tübingen zu immatrikulieren. Nach der letzten Phase schlug das Annahmeverhalten der Bewerber/innen jedoch um. Die Überbuchung des Studiengangs war die Folge. Eine feste Obergrenze, die eine Überbuchung des Studiengangs automatisch verhindert hätte, gab es nicht.

Als Konsequenz aus der Überbuchung wird es künftig eine solche absolute Obergrenze geben. Außerdem wollen sich die Hochschulen untereinander über die Bewerbungslage austauschen – das war bisher nicht der Fall.

Ein grundsätzliches Problem bleibt jedoch vorerst bestehen: Solange nicht alle zulassungsbeschränkten Studiengänge an den 177 Hochschulen in Deutschland über das Onlineportal gesteuert werden, kann das internetbasierte Zulassungssystem nicht fehlerfrei funktionieren. Immerhin soll dies, nach dem Beschluss der Ministerpräsidenten der Länder, 2018 der Fall sein. „Dann wären theoretisch auch keine Überbuchungen mehr nötig“, so die Pressestelle der Uni Tübingen. Bis es soweit ist, sind „vereinzelte Überbuchungen nicht ausgeschlossen“, teilte die Pressestelle von Hochschulstart.de mit. Im vergangenen Wintersemester nahmen insgesamt 103 Hochschulen mit 748 Studienangeboten teil.

Um die Betreuung der Studierenden in der überbuchten Kohorte zu sichern, reagierte die Universität schnell und stellte dem Fachbereich 250 000 Euro zur Verfügung. Mit dem Geld wurden bereits bestehende Lehraufträge von Dozent/innen aufgestockt. Zusätzlich wurden studentische Hilfskräfte eingestellt, die als Mentorinnen und Mentoren eingesetzt werden oder Tutorien anbieten. Auch der erhöhte Aufwand für die Studienkoordination, das Prüfungsamt, die allgemeine Verwaltung sowie für Verbrauchsmaterialien werden aus diesen Mitteln finanziert.

Da die vorgesehenen Räume zu klein waren, verlegte der Fachbereich Vorlesungen in große Hörsäle. „Es ist jedoch klar, dass in den kommenden Semestern weitere Räume für Parallelveranstaltungen bei Seminaren und Praktika benötigt werden“, sagte Prof. Claudia Friedrich, Studiendekanin Psychologie. Absehbar sei schon jetzt, dass das Geld für das gesamte vierjährige Studium nicht ausreichen werde. „Über weitere Kompensationen sind wir mit dem Rektorat in konstruktiven Gesprächen“, so Friedrich.

Die, die es eigentlich betrifft, nehmen die Situation bisher gelassen: „Viele Erstis sehen den ‚Zulassungsfehler’ als Chance, ihr Traumfach studieren zu können“, betont die Fachschaft Psychologie. Die anfängliche Angst der Studierenden, „rausgeprüft“ zu werden ist weitgehend gewichen. Wiederholt hätten die Verantwortlichen betont, dass dies nicht der Fall sein werde. „Die Uni hat das gut im Griff“, sagt auch Hanna Schumm, die gerade ihr Psychologiestudium begonnen hat. Die Situation sei von Anfang an offen angesprochen worden und man habe schnell reagiert: „Nur in den ersten Wochen mussten einige von uns noch auf den Treppen sitzen. Mittlerweile passen alle in die Sitzreihen“, sagt die Psychologiestudentin.

Die Vorlesungen finden jetzt in den Hörsälen des Kupferbaus statt, dort haben rund 300 Studierende problemlos Platz. Lediglich in Tutorien, die günstig im Vorlesungsplan liegen, könne es noch schnell eng werden.

Nicht alle sind zufrieden: „Es gibt Studis, die im zweiten Semester versuchen wollen, die Uni zu wechseln, um in kleineren Studiengängen studieren zu können.“ Aber auch der teure Wohnungsmarkt in Tübingen sei daran wohl nicht ganz unschuldig, vermutet Schumm.

So funktioniert das Zulassungsverfahren

Für den Studiengang Psychologie müssen sich alle Interessierten über das Onlineportal www.hochschulstart.de bewerben. Das zentralisierte System soll in der Theorie den Vorteil bieten, dass Einschreibungen bundesweit koordiniert werden können und damit weniger Studienplätze an den Hochschulen frei bleiben. Zu Beginn des Zulassungsverfahrens legen die Hochschulen in Ranglisten fest, wie die zur Verfügung stehenden Studienplätze vergeben und nach welchen Kriterien Zulassungen ausgesprochen werden. Nach der Anmeldung bei Hochschulstart erhalten Bewerber/innen über das Portal vorläufige Zulassungsangebote von den Unis. Entscheiden sich die Bewerber/innen für eine Universität, scheiden sie aus allen übrigen Bewerbungsverfahren aus.

Auf diese Weise können freiwerdende Studienplätze Nachrückern angeboten werden.

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Erstellt:
06.12.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 22sec
zuletzt aktualisiert: 06.12.2016, 01:00 Uhr

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