Horb · Justiz

Zur Falschaussage gedrängt

Elektronik bestimmte den siebten Prozesstag im Mordfall Michael Riecher: Zunächst ging es um Router und Smartphones, am Ende um eine Tonaufzeichnung.

21.06.2019

Von Manuel Fuchs

Zur Falschaussage gedrängt

Das Vormittagsprogramm des siebten Prozesstags am Mittwoch vor dem Landgericht Rottweil dauerte – mit wenigen Unterbrechungen – von 9 Uhr bis 13.45 Uhr. Drei Polizeibeamte und ein technischer Angestellter der Polizeidirektion Rottweil äußerten sich zu Erkenntnissen aus der Untersuchung technischer Geräte wie den Computern und dem Internet-Router des Tatopfers Michael Riecher sowie den Smartphones der Angeklagten.

Die im Router gespeicherten Verbindungsdaten sind, ebenso wie das im Smartphone des ersten Angeklagten protokollierte Bewegungsprofil, nicht verlässlich genug, um starke Beweiskraft zu entfalten. Es kann jedoch als sicher gelten, dass sich das Smartphone des ersten Angeklagten im tatkritischen Zeitraum am 2. November 2018 zwischen 18.49 Uhr und 19.33 Uhr mehrmals mit dem Drahtlosnetzwerk in Riechers Wohnung verbunden hat. Gleiches geschah am Vormittag des 3. November 2018, als der Leichnam gefunden wurde.

Das Smartphone muss sich dazu im Haus, in unmittelbarer Nähe des Hauses oder in einem sehr langsam am Haus vorbeifahrenden Auto befunden haben, wie ein Feldversuch zur Reichweite dieses Drahtlosnetzwerks ermittelt hatte. Irritation am Rande: Die Fotos, welche den Feldversuch dokumentieren, zeigen im Hindergrund ein Auto, das in Form und Farbe dem Fahrzeug des ersten Angeklagten stark ähnelt. Der Beamte im Zeugenstand war sich jedoch ohne weitere Begründung sicher, dass es sich nicht um dassselbe Auto handelte.

Die E-Mails auf Michael Riechers Computern belegen, dass er von einer Person, deren Mailadresse auf den ersten Angeklagten hindeutet, um Hilfe bei Geldproblemen gebeten worden war, zuletzt am 25. Oktober 2018. Ob die Mails tatsächlich vom ersten Angeklagten stammen, wurde nicht beweisfest geklärt, jedoch beließen es selbst die Anwälte der Verteidigung bei einem Hinweis auf diese Lücke in der Beweisführung.

Auf Smartphone des zweiten Angeklagten war ein WhatsApp-Gespräch vom Nachmittag des 4. November gefunden worden: Der erste Angeklagte „werde ihm später berichten“ und bat dringend darum, den Kontakt einzustellen.

Michael Riecher hat am Abend seines Todes am 2. November 2018 bis 18.24 Uhr am Computer in seinem Büro gesessen. Dies kann nach Sichtung der Daten dieses Computers als gesichert gelten. Er war nicht heruntergefahren, mehrere Programme liefen noch, als die Beamten der Spurensicherung Tage danach in der Wohnung eintrafen. Es liegt nahe, dass Michel Riecher seinen Computer in diesem Zustand verlassen hat, weil er kurz darauf zurückkehren wollte.

Aussage mit Videoübertragung

Am Nachmittag sagte der fünfte Zeuge des Tages aus, ein 45-Jähriger, der auf dem Hohenberg wohnt. Er war bereits am 16. Mai geladen gewesen. Sein Gesundheitszustand erlaubt es nicht, ihn länger als eine Stunde zu vernehmen. Aus demselben Grund wurden die Angeklagten für die Dauer seiner Vernehmung in ein anderes Zimmer des Gerichtsgebäudes gebracht und die Verhandlung per Video dorthin übertragen.

Der Zeuge kenne den ersten Angeklagten ungefähr seit dessen Hochzeit, gab er zu Protokoll. Er habe ihn damals gebeten, ihm für einen Monat 500 Euro zu leihen. Das Geld habe der Zeuge pünktlich zurückerhalten, und ab da habe man lockeren Kontakt gepflegt.

Dabei habe ihm der erste Angeklagte erzählt, sein Freund Michael Riecher besitze 200 Goldmünzen. Der Zeuge wusste mit dieser Information wenig anzufangen und hielt sie nicht für wesentlich, da doch viele Deutsche reich seien. Er habe den Gedanken nicht weiter verfolgt. Auf Betreiben des ersten Angeklagten habe der Zeuge überdies gelegentlich handwerkliche Arbeiten für Michael Riecher in einem Gebäude in der Horber Kreuzerstraße erledigt; man sei also bekannt gewesen.

Der erste Angeklagte habe ihn am Morgen des 3. November gegen 8.30 Uhr angerufen und ihn gebeten, er möge ihm bei der Reparatur einer Tür in dessen Haus helfen. Diese Tür habe er, sagt der Zeuge, im Laufe des Tages jedoch nie zu sehen bekommen. Stattdessen sei man zu Michael Riechers Haus gefahren, mit dem der erste Angeklagte um 9.30 Uhr eine Verabredung gehabt haben will. Als Riecher nicht anzutreffen war, habe man – trotz Drängen des Zeugens, man könne sich doch jetzt um die Tür kümmern – Kaffee getrunken und sei später zu Riechers Wohnung zurückgekehrt. Dann habe man, wie der Zeuge bereits in seiner ersten Vernehmung geschildert hatte, gemeinsam mit einer weiteren Bewohnerin des Hauses Michael Riechers Leichnam entdeckt.

Am Abend des 3. November habe der erste Angeklagte ihn erneut angerufen und ihm eingeschärft, wie er sich im Fall einer Befragung durch die Polizei zu verhalten habe. Inbesondere solle er aussagen, man sie gemeinsam zunächst um Michael Riechers Haus herumgelaufen, was jedoch nicht der Wahrheit entspreche. Mit dem gleichen Anliegen sei der erste Angeklagte am Morgen des 4. November zum Zeugen nach Hause gekommen. Von dem Gespräch, welches die beiden dabei führten, hat der Zeuge heimlich einen Tonmitschnitt angefertigt, der im Anschluss an die Vernehmung in einer deutschen Übersetzung verlesen wurde.

Trotz vieler Auslassungen, die der improvisierten Technik geschuldet sind, drängt sich dabei der Eindruck auf, dass der erste Angeklagte dem Zeugen seine Sicht der Dinge mitunter offensiv, mitunter subtil vermitteln wollte. Möglicherweise verband er damit die Hoffnung, die Aussagen des Zeugen bei einer mutmaßlich bevorstehenden polizeilichen Vernehmung dirigieren zu können.

Religiöse Redewendungen bestimmten insbesondere die Gesprächsbeiträge des Zeugen, wohingegen sich der erste Angeklagte vor allem gegen Ende des Gesprächs auf den Standpunkt stellte, „wenn der Tod kommt, kann niemand Allahs Urteil ändern.“ Riechers Tod bedauere er sehr, sagte der erste Angeklagte außerdem, relativierte aber: „Männer in schönster Jugendblüte sterben in Syrien“. Seine Familie allein habe 50 Kriegstote zu beklagen.

Die Verhandlung wird am Freitag, 21. Juni, um 9 Uhr fortgesetzt.

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Erstellt:
21.06.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 51sec
zuletzt aktualisiert: 21.06.2019, 01:00 Uhr

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