Auch Ratten sind empfindsame Wesen

Zwei Tierschützer-Demos am Wochenende in Tübingen

Mit zwei Demonstrationszügen protestierten mehr als 400 Menschen gegen Tierversuche am MPI. Auch wenn die Forscher ihre Affenversuche einstellen sollten, werde der Protest nicht enden.

18.12.2016

Von Fabian Renz

Panische Schreie hallen über den Marktplatz. Ein Mann und eine Frau in OP-Kitteln zerren einen Affen zu einem Glaskasten. Viele Passanten bleiben stehen, schauen kurz, lächeln dann und gehen weiter. Eine ältere Frau sagt: „Ach, wieder die Tierschützer.“ Der Affe ist kein echter Affe, es ist ein Mensch in einem Kostüm. Das Ganze ist eine Protestaktion von Tierrechtlern, die gegen Tierversuche am Max-Planck-Institut (MPI) für biologische Kybernetik demonstrieren.

Neben Weihnachtsgeschenke-shoppern und Altstadtspaziergängern prägten Tierschützer am Wochenende das Tübinger Stadtbild. Auf gleich zwei Demonstrationszügen protestierten insgesamt rund 450 Teilnehmer/innen gegen wissenschaftliche Versuche an Tieren. Sie hielten Reden auf dem Holzmarkt und der Neckarinsel, vor der Neuen Aula und vor dem MPI. Sie zogen durch die Straßen, reckten Tafeln mit der Aufschrift „Affenfolter stoppen!“ in die Höhe und skandierten „Laut sein gegen Tierquälerei, wir machen Tübingen tierversuchsfrei“.

Für den Samstag hatte die Bewegung Animal Paws zur Demo aufgerufen, auch die Tierschutzpartei, die Alber-Schweitzer-Stiftung und die Schweizer Gruppe Aktivismus für Tierrechte waren vertreten. Am Sonntag veranstaltete die Soko Tierschutz ihre insgesamt siebte „Großdemo“ mit rund 400 Teilnehmern, mit dabei waren die Ärzte gegen Tierversuche und Animals United. Dass die beiden Protestaktionen aufs gleiche Wochenende fielen, war nach Veranstalterangaben Zufall.

Jaqueline Kraft von Animal Paws äußerste gegenüber dem TAGBLATT die Hoffnung, dass gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit viele Menschen empfänglich seien für ihre Botschaften. „Tiere empfinden Schmerzen genau wie wir“, sagte die Würzburger Aktivistin. „Was gibt uns das Recht, sie für Versuche zu missbrauchen?“

In Tübingen gibt es seit September 2014 eine intensive Debatte über Tierversuche am MPI. Damals hatte Stern TV versteckt gefilmte Videoaufnahmen aus dem MPI veröffentlicht, die unter anderem einen Affen zeigten, der versucht, sich ein Implantat aus dem Kopf zu reißen. Nach zahlreichen Demonstrationen hatte Nikos Logothetis, Direktor des MPI, zuletzt erklärt, sämtliche Primatenversuche bis Ende des Jahres zu beenden. Nach Angaben des Tübinger Regierungspräsidiums wird es nun wohl frühestens im April 2017 zu einer Einstellung aller Affenversuche kommen.

Für Friedrich Mülln von der Soko Tierschutz, der diese Aussagen mit Skepsis sieht, wäre das ohnehin nur ein erster Schritt. „Wir werden demonstrieren, bis auch das letzte Tier aus der Gefangenschaft befreit wird.“ Das gelte auch für Mäuse und Ratten. „Das sind auch empfindsame Wesen“, so Mülln.

Viele Passanten belächelten die Demonstranten, manche spotteten im Vorbeigehen über sie. Einige suchten aber auch das Gespräch und betonten dann meist, dass Tierversuche nun mal notwendig seien, um Therapien und Medikamente gegen schwere Krankheiten zu entwickeln. Mit diesem Thema beschäftigten sich in ihren Reden Matthias Ebner, Bundesvorsitzender der Tierschutzpartei, und Rosmarie Lautenbacher von Ärzte gegen Tierversuche.

„Tierversuche sind nicht nur grausam, sondern auch wissenschaftlich unsinnig“, sagte Ebner vor der Neuen Aula. Das liege unter anderem daran, dass sich Menschen und Tiere zu unähnlich seien: Selbst Schimpansen bekämen kein Aids, wenn man sie mit HIV infiziere. „Erkenntnisse aus Affenversuchen sind nicht auf den Menschen übertragbar“, sagte auch Lautenbacher. Die großen wissenschaftlichen Durchbrüche, etwa bei der Suche nach einem Heilmittel gegen Alzheimer, Parkinson oder Multiple Sklerose, blieben aus, betonten beide. Außerdem gebe es schon lange Alternativen, etwa in Form von Computersimulationen, Biochips und künstlichen Minigehirnen, die aus Hautzellen von Spendern hergestellt werden.

Beim nachgestellten Tierversuch auf dem Marktplatz wurden die Schreie immer lauter, während der „Affe“ im Glaskasten fixiert wurde und die beiden „Ärzte“ sich an seinem Gehirn zu schaffen machten. Auf dem Platz war es ansonsten totenstill, nur die Schreie waren zu hören, minutenlang. Nun blieben doch die allermeisten Passanten stehen. „Das geht einem schon nahe“, sagte eine junge Frau.