Tübingen · Arabisches Filmfestival

Zwischen dem Nil und der Wüste

„You Will Die at Twenty“ zeigt ein bemerkenswertes Coming-of-Age im ländlichen Sudan.

03.10.2019

Von Dorothee Hermann

Muzamil (Mustafa Shehata, vorne) muss mit einem Fluch leben.Bild: Arabisches Filmfestival

Muzamil (Mustafa Shehata, vorne) muss mit einem Fluch leben.Bild: Arabisches Filmfestival

Vor den Menschen gab es die majestätische Weite der Wüste. Genau diese Rangfolge beachtet der sudanesische Regisseur Amjad Abu Alala in seinem preisgekrönten Debüt über den Jungen Muzamil (Mustafa Shehata), der mit dem Fluch aufwächst, er werde mit 20 sterben. Das Kind lebt allein mit seiner Mutter Sakina (Islam Mubarak), denn der Vater ist als Arbeitsmigrant nach Äthiopien gegangen.

Wie Dornröschens Eltern im Märchen versucht Sakina, ihren Sohn abzuschirmen, damit ihm nicht noch vor Ablauf der ihm mutmaßlich zugemessenen Frist etwas zustößt. Die anderen Kinder mobben Muzamil als „Sohn des Todes“.

Wer nun erwartet, einmal mehr die Enge eines armen, rückständigen Dorfes vorgeführt zu bekommen, unterschätzt den Regisseur gewaltig. Es ist, als hätte er die Weite der Wüste und die der Phantasie in die großartigen Bilder hineingenommen. Sogar im schmalen, dunklen Korridor des einfachen Lehmhauses der Familie ist das Spiel von Licht und Schatten so reizvoll, dass man nicht sicher ist, ob Muzamil durch ein reales Gebäude oder durch imaginäre Räume schreitet. Als der Junge heranwächst, bewegt er sich hinaus aus der engen Beziehung zur Mutter, arbeitet im kleinen Laden des Dorfes und auch in der Moschee. Den Koran rezitiert er wie kein zweiter. Man sieht Väter, die ihre Söhne verlassen und Söhne, die ihre Väter verlassen, und schließlich auch Rückkehrer wie den Kameramann Sulaiman (Mahmoud Alsarraj), der die Städte Europas gesehen hat. Dessen Scheitern bedeutet aber Hoffnung für den Jungen. Denn der Ältere eröffnet ihm neue Welten – auch wenn Muzamil das nicht gleich erkennt.

Mit der Figur der Naima (Bonna Khalid), die ganz offen dazu steht, wen sie liebt, nimmt sich der Film zudem wunderbar spielerisch angeblich eherne Geschlechterrollen vor. In seinem abgelegenen Dorf gibt es viel, was Muzamil zu einer Randexistenz und zum Sterben verurteilen könnte, aber vor allem bietet sein kompliziertes Erwachsenwerden ungewöhnliche Einblicke in eine Welt, die in Tübingen vor allem das Arabische Filmfestival zugänglich macht, das „You Will Die at Twenty“ heute Abend eröffnet. (Englische Untertitel. Heute, 20 Uhr, Kupferbau, Hörsaal 22. Regisseur und Hauptdarsteller sind anwesend. Samstag, 20 Uhr, Kino Arsenal).

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Erstellt:
03.10.2019, 10:52 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 07sec
zuletzt aktualisiert: 03.10.2019, 10:52 Uhr

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