Nordstetten · Justiz

Verliebt? Verlobt? Verheiratet?

Gestern trat im Nordstetter Mordprozess die mit Spannung erwartete Lebensgefährtin des ersten Angeklagten in Rottweil in den Zeugenstand.

07.09.2019

Von Manuel Fuchs

Mit Jeansjacke und weißen Turnschuhen bekleidet, die Haare mit einem dunkelblauen Tuch bedeckt, betrat die 23-jährige Lebensgefährtin des ersten Angeklagten als letzte Zeugin des Tages den Gerichtssaal. Kernfrage war, ob ihr als nahe Angehörige ein Zeugnisverweigerungsrecht zukomme – und natürlich, ob sie davon Gebrauch machen würde.

Die Bedeutung der Ehe, die sie mit dem ersten Angeklagten nach islamischem Recht geschlossen habe, sei eindeutig, erklärte der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer: Sie begründe kein Zeugnisverweigerungsrecht. „Es reicht mir, dass sie nach islamischem Recht gilt“, übersetzte die Dolmetscherin die Antwort der Zeugin. Sie betrachte sich allerdings nach deutschem Recht als verlobt.

Münzer äußerte seine Zweifel: „Welche Ehe wollen Sie denn noch schließen, wenn Ihnen das“ – dabei hielt er die islamische Heiratsurkunde hoch – „genügt?“ Die Zeugin bekräftige jedoch auf weitere Nachfragen, eine nach deutschem Recht gültige Ehe schließen zu wollen – unter anderem, um den bürokratischen Aufwand um das gemeinsame Kind kleinzuhalten. Es habe Pläne gegeben, diese Ehe im Dezember 2018 in Dänemark zu schließen, wo weniger Dokumente nötig seien als in Deutschland. Auch sei sie weiterhin gewillt, den ersten Angeklagten zu ehelichen, „wenn sich das Problem löst, in dem er steckt“.

Verlobung unter Eid bestätigt

Nach einer Debatte, ob dieses „wenn“ als „sobald“ oder als „falls“ zu verstehen sei, nach Stellungnahmen einiger Verfahrensbeteiligter und nachdem sich die Kammer zur Beratung zurückgezogen hatte, präsentierte Richter Münzer seine Lösung: Er sehe die grundsätzliche Möglichkeit, dass ein Verlöbnis bestehe, aber er habe Zweifel. Für einen solchen Fall gebe es das juristische Mittel der Glaubhaftmachung durch einen Eid. Er belehrte die Zeugin, dass eine Falschaussage unter Eid mit wenigstens einem und bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden könne. Als sie zögerte, sagte Münzer in Richtung des ersten Angeklagten, dass dieser sich ja auch erklären könne: „Er sieht ja jetzt, dass die Zeugin kurz davor steht, einen Eid zu leisten.“ Der Angeklagte ließ durch einen seiner Anwälte erklären, dass er sich ebenfalls als verlobt betrachtete und gewillt sei, die Zeugin baldmöglichst zu ehelichen.

Dann ging alles ganz schnell: Die Anwesenden im Saal erhoben sich, die Zeugin sprach den Eid, der Richter belehrte sie über ihr Zeugnisverweigerungsrecht, sie machte davon Gebrauch und wurde entlassen.

Mit der Verlesung einer polizeilichen Vernehmung vom 27. Dezember 2018, die die persönliche Vorladung eines wieder im Ausland wohnenden Zeugen ersetzte, endete der gestrige Verhandlungstag: Der Zeuge hatte ausgesagt, den zweiten Angeklagten zwischen 12.20 und 12.46 Uhr, seiner Busabfahrtszeit, am Horber Bahnhof gesehen zu haben. Den Tag könne er nicht näher benennen, es müsse jedoch ein Werktag gewesen sein, weil er gerade aus der Schule gekommen sei, und es sei ein kalter Tag gewesen.

Gold für 9999 Euro

Rückblende auf den Morgen des gestrigen Verhandlungstages: Erster Zeuge war ein 61-jähriger Bankkaufmann, Angestellter der Kreissparkasse Freudenstadt, tätig in Horb. Von ihm habe der erste Angeklagte am Montag, 29. Oktober 2018, Gold im Wert von höchstens 9999 Euro kaufen und bar bezahlen wollen. Für 9812 Euro hätte er damals acht Krügerrand-Goldmünzen zu einer Unze und eine Krügerrand-Goldmünze zu einer halben Unze bekommen. Der Bankkaufmann sagte, er habe angenommen, der Kauf solle nicht im Fremdauftrag, sondern für den Kunden selbst geschehen; andernfalls hätte er das Geschäft nicht abwickeln dürfen.

Der Kunde habe die verbindliche Bestellung ausgefüllt, sei jedoch nicht zum vereinbarten Abholtermin am Freitag, 2. November 2018, erschienen. Auf einen Erinnerungsanruf am Dienstag, 6. November, habe der Kunde kundgetan, er komme vorbei. Doch auch dies sei nicht passiert. Die Bank habe die Bestellung kulant storniert und keine weiteren Schritte unternommen, weil die Münzen in Freudenstadt vorrätig gewesen seien und nicht extra hatten bestellt werden müssen.

Der zweite Zeuge, ein 45-jähriger Industriemechaniker, wohnte im vergangenen November in einer Wohnung über Michael Riechers. Man habe kaum Kontakt miteinander gehabt, und er wisse wenig über das Tatopfer. Am Nachmittag und am Abend des 2. November 2018, dem angenommenen Tattag, habe er in einem Empfinger Fitnessstudio trainiert und danach noch etwas in einem Discounter eingekauft. Über die Uhrzeiten war er sich nicht mehr sicher; bei der Durchsicht der Kassenbelege des Discounters zwischen 19 Uhr und Ladenschluss 21 Uhr hatte sich keiner gefunden, der zu seinen Einkaufsgewohnheiten passte. Beim Nachhausekommen sei ihm lediglich aufgefallen, dass der Rollladen an Michael Riechers Küchenfenster geschlossen gewesen sei.

Die dritte Zeugin, eine Arbeitskollegin des ersten Angeklagten, beschrieb ihn als zuverlässigen Kollegen. Man habe aber keinen privaten Kontakt gepflegt, er habe sie nur des Öfteren in seinem Auto mit zum Horber Bahnhof genommen, um ihr den Nachhauseweg zu erleichtern. Etwa seit seiner Hochzeit im Sommer 2018 habe der Angeklagte oft sehr besorgt gewirkt und Geldsorgen geäußert. Unter diesen Sorgen habe auch seine Zuverlässigkeit im Beruf gelitten, ihm seien wiederholt Fehler unterlaufen. Am Montag, 4. November, sei er „richtig komisch“ gewesen, „in sich versunken“. Auf Nachfrage habe er geäußert, sein bester Freund sei verstorben.

Der vierte Zeuge, ein 76-jähriger Arzt aus Nordstetten, hatte dem ersten Angeklagten zwischen April 2016 und Juli 2018 eine Wohnung vermietet. Seinen ersten Eindruck von seinem Mieter bezeichnete er als sehr positiv. Allerdings seien im Laufe der Zeit Geldprobleme seines Mieters zutage getreten. Der Zeuge berichtete von unpünktlichen Mietzahlungen, einer Bitte um Mietminderung und einem Darlehen über 600 Euro, dass er seinem Mieter gewährt habe. Zusagen, beispielsweise in puncto Winterdienst, habe dieser stets bereitwillig gegeben, aber nie eingelöst.

Ein Wunsch ist keine Gier

Diese Diskrepanz zwischen dem ersten Eindruck und den späteren Wahrnehmungen nannte der Zeuge „unheimlich“ und sagte über seinen Mieter: „Er hielt es für selbstverständlich, dass ihm alle helfen“ und „Ich hatte nicht das Gefühl, ich könnte ihm jedes Wort glauben“. Den Begriff „gierig“, den er seinem Mieter anheftete und dies mit dessen Wunsch nach einem statusträchtigen Auto begründete, versuchten die Anwälte des ersten Angeklagten zu entkräften: Einen Traum zu haben sei noch kein Zeichen für Gier, was der Zeuge bestätigte: „Die Grenze ist verschwommen.“

Unerhebliche Erkenntnisse

Der fünfte Zeuge war ein 55-jähriger Polizeikommissar aus Rottweil. Er hatte Bus- und Zugfahrten überprüfen sollen, die im Zusammenhang mit der Tat und den Angeklagten stehen könnten. Im Zeugenstand konnte er jedoch keine beweiserheblichen Ergebnisse präsentieren. Die befragten Busfahrer hatten sich nicht erinnert, den zweiten Angeklagten am fraglichen Tag als Fahrgast gehabt zu haben. Aus der umfassenden Tabelle der Deutschen Bahn über Fahrkartenkäufe am Horber Bahnhof ließ sich lediglich die Möglichkeit, jedoch keine Gewissheit ableiten, dass eine mutmaßliche Zugfahrt des zweiten Angeklagten so stattgefunden habe, wie dieser es ausgesagt hatte. Nachfragen, welche Informationen die Tabelle enthalte, konnte der Zeuge nicht beantworten. Die Nachforschungen zu einem Anruf vom Handy des zweiten Angeklagten bei einer Taxizentrale in Kornwestheim liefen ebenfalls in Leere: Zur fraglichen Zeit waren keine Fahrtenbucheintrag ausfindig zu machen.

Die Rechtsanwälte Fischer und Dr. Kubik stellten nach Entlassung dieses Zeugen fest, dass überhaupt keine Rückschlüsse aus der Vernehmung gezogen werden könnten, weil beispielsweise der Kauf von Handy-Tickets nicht geprüft worden sei und der Zeuge die Ergebnisse seiner Ermittlungen nicht habe erläutern können.

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Ein sechster Zeuge bestätigte dem Gericht, er habe am Abend des Freitags, 2. November, etwa zwischen 22 und 23 Uhr an einer Tübinger Jet-Tankstelle eine junge Frau mit Kopftuch und ihren Begleiter bedient. Er erinnere sich gut daran, weil er der Dame den Wunsch nach dem Toilettenschlüssel aufgrund einer internen Weisung habe abschlagen müssen.