Man hat sie über die Klinge springen lassen

Die Nehrenerin Susanne Schneider arbeitet an einem Spielfilm über den Mord an Elisabeth Käsemann

Am 24. Mai 1977 wurde die aus Tübingen stammende Elisabeth Käsemann von Schergen der argentinischen Militärdiktatur ermordet. Nun ist ein Spielfilm, der sich an ihr Schicksal anlehnt, in Vorbereitung.

21.05.2016

Von klaus-peter eichele

Elisabeth Käsemann in den 1970-er Jahren. Bild: Elisabeth-Käsemann-Stiftung

Elisabeth Käsemann in den 1970-er Jahren. Bild: Elisabeth-Käsemann-Stiftung

Tübingen. Die Tochter des Tübinger Theologen Ernst Käsemann war 1968 nach Argentinien gegangen, um sich dort gegen Armut und Ungerechtigkeit zu engagieren. Nachdem sich 1976 das Militär an die Macht geputscht und damit begonnen hatte, wahllos „Subversive“ zu verhaften und zu ermorden, fälschte sie Pässe, um Regimegegnern die Flucht zu ermöglichen – und geriet dadurch selbst ins Visier der Schlächter. Am 8. März 1977 wurde Käsemann verhaftet und in ein Folterzentrum am Stadtrand von Buenos Aires gebracht. Nach wochenlangen Misshandlungen wurde sie am 24. Mai durch Schüsse ins Genick und in den Rücken getötet.

Die Idee, aus der traurigen Geschichte einen Spielfilm zu machen, stammt von Boris Ausserer. Der Münchner Produzent hat Erfahrung mit Themen, die um Widerstand in Diktaturen kreisen; zuletzt brachte er „Elser“, die Filmbiografie des gescheiterten Hitler-Attentäters, auf den Weg.

Mit dem Drehbuch für den Käsemann-Film hat Ausserer die Nehrenerin Susanne Schneider betraut. Im Einklang mit dem Produzenten will die erfahrene Autorin („Tatort“) und Gelegenheits-Regisseurin („Es kommt der Tag“) nah an den realen Ereignissen in Buenos Aires bleiben, sich aber auch ein paar erzählerische Freiheiten nehmen. Deswegen wird die Hauptfigur im Film wohl nicht Käsemann heißen. „Man wird aber wissen, wer gemeint ist“, so Ausserer.

Vollkommen fiktiv ist im Exposé die Figur eines jungen Deutschen, der mit Käsemann befreundet ist und der nach ihrem Verschwinden verzweifelt nach ihr sucht. „Am Ende wird er, dem eine glänzende Karriere bevorstand, bitter erfahren, dass ein Menschenleben nichts zählt, wenn es um die großen Geschäfte geht“, heißt es in der Projektbeschreibung.

Daraus ergibt sich, dass der Film nicht nur die Schandtaten einer faschistoiden Militärdiktatur ins Visier nimmt, sondern auch das schändliche Verhalten der deutschen Entscheidungsträger. So wäre es für die damalige deutsche Regierung, speziell für das Auswärtige Amt unter Hans-Dietrich Genscher, wohl ein leichtes gewesen, mit energischer Intervention Käsemann aus dem Folterkeller zu holen und sie vor dem Tod zu bewahren – tatsächlich unternahm sie so gut wie nichts.

„Die haben Käsemann ohne mit der Wimper zu zucken über die Klinge springen lassen“, bringt Schneider das Ergebnis ihrer bisherigen Recherchen auf den Punkt. Hintergrund dürften die Interessen der in Argentinien aktiven deutschen Großunternehmen gewesen sein, die sich aus Angst um ihre Profite jegliche politische Einmischung verbaten. All dies soll im Film, der den Arbeitstitel „Spurlos“ trägt, deutlich zur Sprache kommen, bestätigen Schneider und Ausserer. „Einige Dax-Unternehmen werden nicht sehr erfreut sein“, glaubt der Produzent.

Für weitere Recherchen will Schneider demnächst nach Argentinien reisen, sich dort ein Bild von der Stadt machen und mit Opfern und Tätern sprechen.

Ferner hofft die Autorin, von einer gewissen Neuausrichtung der deutschen Politik bezüglich ihrer Kumpanei mit südamerikanischen Diktaturen zu profitieren. Auslöser war der jüngst erschienene Film „Colonia Dignidad“ über das vom Deutschen Paul Schäfer mit Wissen der deutschen Botschaft betriebene Folterlager in Chile. Davon beschämt, versprach Außenminister Frank-Walter Steinmeier, alle Akten seines Amtes zu diesem dunklen Kapitel sofort zugänglich zu machen. „Ich bin gespannt, ob diese neue Offenheit auch für den Fall Käsemann gilt“, sagt Schneider.

Wer in „Spurlos“ die Rolle Elisabeth Käsemanns übernimmt, wer Regie führt und ob der Film im Fernsehen oder im Kino laufen wird, ist nach Auskunft von Boris Ausserer noch völlig offen. So oder so ist Geduld vonnöten: Vor 2018 ist mit seinem Erscheinen nicht zu rechnen.

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Erstellt:
21.05.2016, 17:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 45sec
zuletzt aktualisiert: 21.05.2016, 17:00 Uhr

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