Fragen der Ver(sch)wendung

Christoph Mügge nutzt das Künstlerhaus als Sprungbrett in den Kunstbetrieb

Als Stipendiat im Horber Antonie-Leins-Künstlerhaus hat Christoph Mügge vor zwei Jahren sein erstes Domizil als freischaffender Künstler in der Horber Wintergasse gefunden. Hier hat er seinen Wohn- und Arbeitsraum, Platz für seine raumeinnehmenden Fundstücke vom Neckar – und einen idealen Standort, um seine Kreise durch den Kunstbetrieb zu ziehen.

30.12.2015

Christoph Mügge ist seit zwei Jahren Stipendiat im Horber Künstlerhaus. Auf den ersten Blick wirkt er still, eher introvertiert. Das ändert sich schnell, wenn er von seinen Arbeiten spricht – mit denen er den Namen Horb ganz schön weit in die Welt trägt.Bilder: Kuball

Christoph Mügge ist seit zwei Jahren Stipendiat im Horber Künstlerhaus. Auf den ersten Blick wirkt er still, eher introvertiert. Das ändert sich schnell, wenn er von seinen Arbeiten spricht – mit denen er den Namen Horb ganz schön weit in die Welt trägt.Bilder: Kuball

Auf den ersten Blick ist Christoph Mügge der stille Typ, der nicht weiter auffällt. Auf den zweiten Blick fällt sein wacher Blick auf, seine zurückhaltende und zugleich offene Art. Mügge beantwortet gerne jede Frage zu seiner Person und spricht aber noch lieber über seine Arbeiten. Er will weiter, das merkt man, will sich alle Zeit nehmen, die nötig ist – aber keine verschwenden.

Rasch schenkt er im Aufenthaltsraum des Künstlerhauses Kaffee ein, klappt seinen Laptop auf und schon sieht man Fotos seiner jüngsten Arbeiten in Finnland: Eine unscheinbare Mülltonne, aus der Holzlatten ragen, die sich immer weiter verzweigen bis zu einer zweiten Tonne: „Vaasa by Light“. Da tun sich etliche Fragen auf – ganz, wie sich das der 32-Jährige von seinen Arbeiten erhofft. Bereitwillig erklärt er: Oft fängt es mit einer vagen Idee an, aus der sich auch Surrealistisches entwickeln kann wie bei dieser Arbeit. Hier ergibt Licht ungeplant abwechslungsreiche und magische Momente – und kommt durch eine Schutzplane auch noch eine akustische, lebendige Dimension dazu.

Mügge scrollt weiter zu Raum-Installationen, die er eigens für Ausstellungen im Kunstmuseum Gelsenkirchen und für den Kunstverein Bochum gemacht hat. Nachhaltig begeistert erzählt er von einem Arbeitsaufenthalt in Toulouse, wo ihn besonders die Pflastersteine angesprochen haben. Und wie er so erzählt, drängt sich immer mehr der Eindruck auf: Ihm geht es um die Reste vom Feste, um Abfall, um das Zuviel von allem. Was er so nicht sagen würde. Schließlich will er keine Antworten geben, sondern Fragen aufwerfen: „Alles andere wäre langweilig.“

Mügge ist 1983 in Bonn geboren, also grad noch als Kind der Bonner Republik aufgewachsen. Nach wie vor fühlt er sich der Beethoven-Stadt verbunden, wo er auch die Zeit zwischen den Jahren verbringt. Seine Mutter ist Schwedin – worauf er seine besondere Verbindung zu Holz und Lacken zurückführt. Von klein an, so erzählt Mügge, habe er Kunst machen wollen: „Ich habe gar keine Alternative dazu gesehen.“ An der Düsseldorfer Kunstakademie studierte er Malerei bei Reinhold Braun und bis 2013 Bildhauerei bei Richard Deacon. Nach wie vor zeichnet und malt er, verkauft diese Arbeiten auch ganz gut. Zugleich sucht er mit raumspezifischen Objekten, Collagen und Installationen nach Wegen, um mit dreidimensionalen Arbeiten über die reine Abbildung hinauszugelangen. Diese Arbeiten sind bei Ausstellungen gefragt, gelten aber auch als unverkäuflich.

Mügge arbeitet vornehmlich mit Fundstücken. Manchem Horber mag der schlaksige junge Mann schon aufgefallen sein, wenn er Treibholz vom Neckar hoch gen Marktplatz schleppt. Etliche Äste und Stämme lagern schon im Keller des Kunsthauses, zusammen mit einer alten Kuhhaut, die bei einer Gaststätten-Auflösung entsorgt werden sollte.

Noch ist offen, was daraus wird. Oft sind es eher zufällige Alltagserfahrungen, die für Mügge zur Initialzündung werden. Wie damals, als er und seine Mit-Stipendiatinnen Elisabeth Kaiser und Steffi Schöne während der Bauarbeiten in der Wintergasse ihre Mülltonnen bis hoch auf den Marktplatz schaffen mussten. Da standen die Mülltonnen plötzlich sinnbildlich für das, was ihn schon immer beschäftigt hat: Behälter, aus denen etwas entweicht. Geschlossene Systeme, aus denen etwas nach außen dringt.

So wie eine Akademie, die Künstler hervorbringt? Ein Künstlerhaus, das Horber Ideen in die Welt bringt? Christoph Mügge folgt solchen Gedankengängen mit seinem stillen Lächeln. Und kommt auf Technik zu sprechen, die auf Organisches trifft. Wie Förderbänder, die Holzspäne entsorgen – ein Vorgang, den er immer weiter abstrahiert und variiert. So hat er für eine Ausstellung in Schweden die Holzlatten im landestypischen Rot gestrichen. Ob er damit einen Akt der Entleerung oder des Auffüllens zeigt– das bleibt dem Betrachter überlassen. Der kann in den roten Spänen auch durchaus Hackfleisch sehen – und im Förderband den Verdauungstrakt.

Für Christoph Mügge führt eine Arbeit zur nächsten. Setzt sich sein Schaffen in immer puristischerer Form fort. In Horb hat er Raum dafür, wie er ihn sich in Düsseldorf kaum hätte leisten können. Hier in Horb, so klingt durch, wäre ihm engerer Kontakt zu hiesigen Künstlern nicht unlieb. Und doch ist ihm durch eine Ausstellung in Böblingen durchaus gelungen, was er sich für die Zeit hier vorgenommen hat: Kontakte und Verbindungen hier im Südwesten zu knüpfen. Noch bleibt ihm dafür Zeit bis Oktober 2016. Und zumindest bis dahin trägt er ganz nebenbei den Namen von Horb in die Welt. Im Januar ist Christoph Mügge als „Artist in Residency“ nach Lexington in den USA eingeladen, ab Oktober dann nach Irland.

Doch noch ist er hier. Hat im Gewölbekeller seine erste eigene Säge stehen – und hat sich dank der Unterstützung von Schreiner Bruno Raible auch ganz gut in der Holzbearbeitung eingefuchst. Für ihn ist im Künstlerhaus erlebbar geworden: „Ich merke, dass immer eine Tür offen ist, dass sich immer etwas weiterentwickeln lässt.“ Und damit bezieht er sich auf sein prozesshaftes Arbeiten genauso wie auf seine ersten Erfahrungen im Kunstbetrieb – in Horb und anderswo. Annette Maria Rieger

Christoph Mügge, 32 Jahre alt, Künstler mit einem besonderen Blick für geschlossene Systeme und dem, was aus ihnen nach außen dringt.

Christoph Mügge, 32 Jahre alt, Künstler mit einem besonderen Blick für geschlossene Systeme und dem, was aus ihnen nach außen dringt.

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Erstellt:
30.12.2015, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 35sec
zuletzt aktualisiert: 30.12.2015, 01:00 Uhr

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