„Ein trauriger Tag“

Der Brexit erzeugt Bedauern und Unverständnis in der Region

Trauer, Ungläubigkeit, Furcht vor wirtschaftlichen Schäden und vor allem auch Ungewissheit bestimmten Tag eins nach dem Brexit von Großbritannien. Die Umfrage in der SÜDWEST PRESSE zeigt, dass die wenigsten damit gerechnet haben, dass England Europa den Rücken kehrt.

25.06.2016

Die Partnerstadt Haslemere präsentierte sich auf der Gartenschau 2011 in Horb mit einem englischen Garten samt knallroter Telefonzelle. Doch seit dem gestrigen Volksentscheid der Briten für den EU-Austritt hat die Verbindung einen Knacks bekommen. Archivbild:Kuball

Die Partnerstadt Haslemere präsentierte sich auf der Gartenschau 2011 in Horb mit einem englischen Garten samt knallroter Telefonzelle. Doch seit dem gestrigen Volksentscheid der Briten für den EU-Austritt hat die Verbindung einen Knacks bekommen. Archivbild: Kuball

Michael Theurer, EU-Parlamentarier (FDP): „Es ist ein trauriger Tag für Europa“, sagt Theurer. Vom Brexit hat er gestern Morgen um 6.30 Uhr am Flughafen erfahren, als er auf dem Weg nach Brüssel war. Dort war die Stimmung gedrückt. „Die britischen Parlamentskollegen waren alle sehr niedergeschlagen und traurig“, berichtet Theurer. Dass die EU-Gegner mit ihren Argumenten die Mehrheit der Briten – wenn auch nur knapp – überzeugt haben, ärgert Theurer auch: „Die EU ist nicht die UdSSR“, sagt er. Solche Schlagworte hätten die Brexit-Befürworter benitzt. Doch wäre es jetzt auch an der Zeit, sich Gedanken zu machen: „Die entscheidende Frage ist nicht der Brexit, sondern, für was wir die EU brauchen und wo sie hin soll.“ Bei diesem Reformprozess möchte er auch die Bürger mit einbeziehen. Für Theurer heißt jetzt die Devise: EU first. „Aber die Briten bleiben Nachbarn und Freunde.“

Christine Dietz, Vorsitzende der Städtepartnerschaft Horb-Haslemere: „Es war ein trauriges Erwachen heute Morgen“, sagt sie. Sie hat noch die ganze Nacht gehofft, dass sich Großbritannien für den Verbleib in der EU entscheidet. Der Insel ist sie eng verbunden: Sie hat Englisch studiert und war öfters auf Reisen dort. Mit Briten hat sie dabei über die EU gesprochen: „Brüssel hat sie manchmal genervt mit Vorschriften wie der Gurken-Krümmung.“ Aber Dietz hatte das Gefühl, dass die Mehrheit die Vorteile von Europa sieht. Das ist jetzt nicht der Fall, was sie enttäuscht. Aus Haslemere hat sie noch kein Stimmungsbild bekommen. Aber eins ist für sie sicher: „Die Städtepartnerschaft wird dadurch nicht beeinträchtigt.“ Sie findet es nur schade, dass ausgerechnet in diesem Jahr die Entscheidung für den Brexit fiel, wenn Horb und Haslemere ihr 25. Städtepartnerschafts-Jubiläum feiert.

Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Bosch-Rexroth: Auch bei Bosch-Rexroth in Horb ist man nicht glücklich über das Votum auf der Insel. „Die EU ist ein Erfolgsprojekt. Wir bedauern die Entscheidung für einen Ausstieg Großbritanniens aus dem größten Binnenmarkt der Welt sehr – nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht“, sagt Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Bosch-Rexroth. Die langfristigen Folgen für die Wirtschaft würden erst nach und nach erkennbar, aktuell prüfe man die Auswirkungen des Austritts auf das eigene Geschäft. „Beispielsweise haben wir unsere Sicherungsquoten deutlich erhöht, um der Abwertung des britischen Pfundes entgegenzuwirken“, erklärt Denner. Man habe derzeit allerdings keine Pläne, die Investitionen in Großbritannien zurückzufahren. Bosch-Rexroth ist seit 1963 in Großbritannien vertreten und beschäftigt dort derzeit 700 Mitarbeiter. Projektbezogen habe man mit den Kollegen dort ebenso viel zu tun, wie mit allen anderen ausländischen Mitarbeitern, erklärte eine Pressesprecherin von Bosch-Rexroth.

„Wir haben damit gerechnet, dass die Abstimmung knapp ausgeht. Das Ergebnis einer Mehrheit für den Brexit hat mich dann aber doch überrascht. Großbritannien ist für VBM Medizintechnik ein wichtiger Handelspartner. Ob das Verlassen der EU den Export erschweren wird und welche weiteren Folgen dies für den Warenaustausch mit den Briten hat, lässt sich jetzt allerdings noch nicht absehen“, sagte Lebold am Tag nach dem Votum.

Prof. Klaus Fischer, Geschäftsführer der Fischer-Werke: „Der Markt in Großbritannien wird sich durch den Brexit sehr verändern. Zollbarrieren werden wieder aufgebaut, der freie Handel geht zurück. Es ist davon auszugehen, dass dadurch auch der Umsatz unserer Landesgesellschaft zurückgeht, sowie unsere Aktivitäten in Irland und Nordirland darunter leiden. Der Brexit ist für ganz Europa sehr negativ.“

Martin Keppler, Hauptgeschäftsführer der IHK Nordschwarzwald: „Durch den Brexit wird es schwieriger für die Unternehmen in der Region“, ist Keppler überzeugt. Denn Großbritannien steht auf Platz fünf bei den baden-württembergischen Exportnationen, Tendenz steigend. Die englische Wirtschaft wird aber auch leiden, meint Keppler: „Das sieht man jetzt schon am fallenden Pfund.“ Der wirkt sich wiederum negativ auf die hiesige Wirtschaft aus, weil damit die deutschen Waren in Großbritannien teurer werden. „Das muss man mit Sorge sehen, aber nicht zu schwarz malen“, sagt er aber auch. „Denn unsere Unternehmen sind so flexibel, dass sie es meistern können.“

Dieter Teufel, Präsident der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg: „Das Vereinigte Königreich hat für den Brexit gestimmt. Aus Sicht der regionalen Wirtschaft ist dies eine weitreichende Entscheidung, mit heute noch unabsehbaren Folgen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Vielleicht ist die Entscheidung aber auch ein heilsamer Schock. Die Zeit der nun anstehenden Verhandlungen sollte Europa auch nutzen, um über sich selbst nachzudenken“, rät Teufel.

David Brittain, der gebürtige Londoner wohnt in Göttelfingen: Brittain ist heute Morgen um 5 Uhr aufgestanden und hat die Auszählung des Referendums verfolgt: „Ich konnte es einfach nicht glauben. Ich dachte, dass es für einen Verbleib in der EU reichen würde“, sagt er traurig und deprimiert. Das Großbritannien, das er kennt, wird es seiner Meinung nach nicht mehr geben, denn Nordirland und Schottland haben für den Verbleib in der EU gestimmt. „Alles wird ganz anders werden“, ist er überzeugt. Angst macht ihm die Unsicherheit: „Wir wissen jetzt gar nicht, wie es weitergeht.“ Außerdem befürchtet er, dass nun auch die Europäische Union auseinanderbrechen könnte. dag/cap/fbs

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Erstellt:
25.06.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 40sec
zuletzt aktualisiert: 25.06.2016, 01:00 Uhr

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