Nachruf

Anna Jung, die Junggebliebene nimmt für immer Abschied

Die beliebte Ahldorfer „Kneipleswirtin“ ist am 31. Januar im Alter von 92 Jahren gestorben. Über 70 Jahre stand sie hinter der Theke.

01.02.2022

Von Dagmar Stepper

Meine Mutter war mit Leib und Seele Wirtin“, sagt Gudrun Birkenberger am Dienstag am Telefon. Ihre Mutter Anna Jung – die ewige Jung-Gebliebene – starb am Montag nach kurzer Krankheit in ihrem Zuhause in Ahldorf.

Wollte Anna Jung je Wirtin werden? Man hat sie nicht gefragt. „Das macht man, und fertig“, sagte sie zu ihrem 90. Geburtstag in der SÜDWEST PRESSE. Im „Kneiple“ wurde Anna Jung am 19. Februar 1929 geboren, als einziges Kind der Eheleute Fischer. Ihr Großvater hatte den Backsteinbau 1909 als Wirtschaft gebaut.

Anna Jung in ihrem Reich im Ahldorfer „Kneiple“ an ihrem 90. Geburtstag.Archivbild: Karl-Heinz Kuball

Anna Jung in ihrem Reich im Ahldorfer „Kneiple“ an ihrem 90. Geburtstag.Archivbild: Karl-Heinz Kuball

Aber Anna Jung war zeit ihres Lebens immer gern Wirtin. 1957 heiratete sie den Ahldorfer Alfred Jung und zog mit ihm in das „Weiße Haus“ gegenüber des „Kneiple“. Ein Jahr später kam Tochter Gudrun zur Welt, 1962 Sohn Günther. Anna Jung managte die Familie und war selbstverständlich auch im „Kneiple“. Als die Mutter 1968 starb, übernahm sie es ganz.

Anna Jung war eine Institution im Ort, das „Kneiple“ war ihre Heimat. Manche im Ort sagen, Anna Jung wäre wichtiger als der Ortsvorsteher. Darüber hat sie immer gelächelt und vornehm geschwiegen. „Im ‚Kneiple‘ haben wir immer gewusst, was im Flecken geht“, sagte Anna Jung zu ihrem 90. Geburtstag. Sie besuchte die Schule in Ahldorf, dann half sie mit im „Kneiple“ – vorher nicht. „Der Opa sagte immer: ‚Kinder haben in der Wirtschaft nichts verloren.‘“

Das „Kneiple“ war das Zentrum von Ahldorf

Das „Kneiple“ war das Zentrum von Ahldorf und Anna Jung immer mitten drin: Hier erfuhr man die Dorfgeschichten, hier am Stammtisch wurde geschwätzt und diskutiert, hier wurden Feste und Hochzeiten gefeiert – und natürlich die Fasnet. Es konnt abends lang werden, wenn die Trinkbrüder nicht zum Loch rausfanden. Da wurde der letzte Gast um 3 Uhr morgens verabschiedet, um 7 Uhr war aber schon wieder der Boden gewischt, weil Arbeiter auf ein Schnäpsle vorbeischauten.

Das „Kneiple“ hat proppenvolle Zeiten erlebt: Über die Mittagszeit wurde Essen serviert, die „Herren vom Rathaus“, wie Anna Jung sie nannte, waren Stammgäste. Im Schankraum und im Nebenzimmer hatten 90 Leute Platz. Aber Letzteres war eher für Gesellschaften, Familienfeiern, Hochzeiten, der normale Betrieb spielt sich um den Tresen ab, der einer guten Stube glich.

Diese Zeiten waren auch schon vor Corona vorbei. Anna Jung sperrte das „Kneiple“ um fünf Uhr mittags auf, samstags und sonntags bleiben die Türen ganz zu. Es wurde ruhiger. Die Fasnet fand in der Halle statt, Hochzeiten werden hier nicht mehr gefeiert. „Des isch mir jetzt zuviel“, sagte die 90-Jährige 2019. Das kann man ihr auch nicht verdenken.

Anna Jung war stets schaffig und pflichtbewusst. „Es gab kein ‚Nein‘. Wenn jemand Hilfe brauchte, war sie immer da“, erzählt Tochter Gudrun Birkenberger. Anna Jung hatte immer andere Menschen im Blick, sie war für alles offen. Sie liebte das Gesellschaftsspiel mit ihren vier Enkeln. Überhaupt die Enkel. „Ihr Sauerbratenrezept hat sie an die Enkel vererbt“, erzählt Gudrun Birkenbacher.

Ahnenforschung war Anna Jung auch ganz wichtig. Sie hatte ein phänomenales Gedächtnis für Zahlen und Geschichten. Aus dem Stand konnte sie die Geschichte Ahldorfs und seiner Familien nacherzählen. Ihr Großvater hat sie dazu angestiftet, mit ihrem Mann Alfred hatte sie es vertieft. Mit Ahnenforschung begann auch ihr Tag, nachdem es einsamer um sie geworden war, als ihr Mann 2008 gestorben ist.

„Als Einzelkind hatte sie es nicht immer leicht“, sagt Tochter Gudrun. Aber Mutter Anna war immer für alle da. Sie liebte die Musik und das Lesen, ging jeden Sonntag zum Gottesdienst. „Im Herzen ist sie immer jung geblieben“, sagt Birkenberger. Was gibt es Schöneres zum Abschied.

Zukunft des „Kneiple“ offen

Was aus dem „Kneiple“ wird, ist ungewiss. Die Familie hat die Wirtschaft zum 1. Januar 2022 abgemeldet. Coronabedingt war das „Kneiple“ seit fast zwei Jahre zu. „Es war zum Schluss eher ein Hobby, Anna Jung hielt an der Kneipe fest“, sagt Tochter Gudrun Birkenberger.

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Erstellt:
01.02.2022, 19:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 02sec
zuletzt aktualisiert: 01.02.2022, 19:00 Uhr

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