Kakteen streicheln

Ein Börstinger Konzert für Alltagsgegenstände, Pflanzen und Elektronik

Kakteenstacheln und Kabelsalat: Ein ungewöhnliches experimentelles Konzert als Hommage an John Cage war am Samstag im Börstinger „Kunstort Eleven“ unter dem Titel „Stichtag 4cactus“ zu hören.

06.06.2016

Von WErner Bauknecht

Kakteen und und andere verrückte Streichinstrumente, gespielt von Nikolaus Heyduck, Monika Golla, Roderik Vanderstraeten und Scott Roller (von links).Bild: Faden

Kakteen und und andere verrückte Streichinstrumente, gespielt von Nikolaus Heyduck, Monika Golla, Roderik Vanderstraeten und Scott Roller (von links).Bild: Faden

Börstingen. Der amerikanische Komponist John Cage (1912 bis 1992) gilt als Begründer der Neuen Musik. Mehr als 250 Werke schuf er. Er war einer der einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Seinem Publikum macht er es nicht leicht, weil man für diese Art von Musik seine Hörgewohnheiten ablegen muss. Zu den geschaffenen Tönen gehören Alltagsklänge, die man erstmals zu hören glaubt.

Der Bühnenaufbau für die vier Musiker am Samstagabend in der ehemaligen Börstinger Schule war ungewöhnlich. Mitten im Arrangement standen vier Kakteen auf Podesten. Abgesehen von einem Cello fand sich kein anderes bekanntes Instrument auf der Bühne. Dafür viel Elektronik: Laptops, Synthesizer, Mikros. Das Ensemble sieht aus wie vier Werkstätten.

Nach und nach kamen die Künstler auf die Bühne, und entlockten den Kakteen erstaunliche Töne. Die Gastgeberin Monika Golla, Nikolaus Heyduck, Scott Roller und Roderick Vanderstraeten strichen über die Stacheln der Pflanzen: mit dem bloßen Finger, mit einer Hühnerfeder oder einer Scheckkarte. Ein Verstärker machte die Geräusche hörbar: mal klang es wie ein Toilettenabzug, mal wie das singenden Flirren eines Theremins, eines elektronischen Musikinstruments. Sanfte Töne, die scheinbar nebeneinander her laufen, aber im Ohr des Hörers zu einem kompakten Gefüge werden.

Roller streicht über sein Cello, trommelt gleichzeitig mit der anderen Hand einen Tribe-artigen, schnellen Rhythmus. Im Hintergrund tönt eine Klingel, ein Zirpen, Vogelstimmen, dann eine Rätsche. Vanderstraeten klöppelt auf ein Xylophon mit nur acht Stegen. Vor ihm liegt hüfthoch eine selbstgebaute Holzgitarre, die er mit einem Geigenbogen streicht. Golla steuert mit ihrem Synthi bodenständige Klänge bei, die an einen flauschigen Teppich erinnern. Das Stück versiegt im Nichts, in einem Nicht-Ton.

Dann spielt sich das Cello in den Vordergrund, atonal, lautmalerisch. Töne tauchen von allen Seiten auf, wie ein Malstrom wälzen sie sich durch den Raum, bilden Klangwolken. Selbst als bei einem der etwa 40 Besucher das Smartphone laut klingelt, nimmt Roller das auf, mündet in einen Singsang: „There is no Internet“, intoniert er, und klingt wie eine Maschine. Dazu lacht er. Und beendet das Stück.

Heyduck arbeitet mit Holzgefäßen, über die er mit dem Mikro streicht, oder er zieht eine Klaviersaite aus einem herumstehenden, alten Piano. Für einen Moment herrscht Ruhe, dann schälen sich wieder Töne aus der Stille. Wann ist ein Werk zu Ende? Die Stille gehört zum Song. Bei Cage gibt es keine Stille, alles hat einen Ton.

„Jeder von uns hat einen eigenen Lautsprecher, in dem er sich hören kann“, erzählt Heyduck. „Das macht es uns leichter, untereinander zu kommunizieren.“ Sie haben schon öfter zusammengespielt, sagt er. Nicht in der Konstellation, aber paarweise oder auch mal zu dritt. Sie musizieren nicht bloß vor sich hin, sondern werfen sich Blicke zu, reagieren, tragen ihren Teil zum Werk bei. Und seltsam: Die Töne scheinen einen Sinn, einen Zusammenhalt zu ergeben.

Nach der Pause spielen sie ein Cage-Werk „nach Zahlen“. Dabei erhält jeder zwölf Töne nach seiner Wahl. Vorgegeben ist die Zeit, innerhalb der diese gespielt werden. So muss zum Beispiel ein bestimmter Ton nach 2:30 Minuten beendet sein, und der nächste muss beginnen. Etwa vierzig Minuten dauert dieses Werk, und es führt den Hörer in eine abstrakte Welt. Alles scheint irgendwie zusammenzugehören, alles ist Rhythmus, Klang, Tongebilde, dann Stille. Aber auch das ein Ton: der Auftakt für den nächsten.

Die Zuschauer sind gebannt. Viel Beifall für ein außergewöhnliches, großartiges Konzert.

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Erstellt:
06.06.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 46sec
zuletzt aktualisiert: 06.06.2016, 01:00 Uhr

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