Bundestagswahl

Fuchtel und Esken wieder drin

Verluste für die Volksparteien, gutes Ergebnis für die FDP, AfD als drittstärkste Kraft, Linke knapp die 5-Prozent-Hürde verpasst – ein Blick auf die Region.

25.09.2017

Von nc

Fuchtel und Esken wieder drin

Die Union kann weiter regieren – aber das ist auch schon der Minimalplan, über den sich Hans-Joachim Fuchtel, Staatssekretär und CDU-Abgeordneter für den Wahlkreis Calw-Freudenstadt, nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses freuen kann. Seine Partei sackt auf rund 33 Prozent ab, allein in Baden-Württemberg verliert die Union Prozente im zweistelligen Bereich. Fuchtel beschreibt seine Gefühlslage als „der Situation angemessen“, als er gestern Abend mit der SÜDWEST PRESSE telefoniert. Er verfolgt den Wahlausgang in Berlin. Zum starken Abschneiden der AfD sagt er: „Es ist ein Riesenwermutstropfen, dass wieder eine rechtsradikale Partei im Parlament vertreten ist.“

Besonders in Baden-Württemberg hat die AfD zugelegt – laut gibt es im Südwesten „eine gewisse Anfälligkeit bei relativ vielen Leuten“ für rechte Parteien, es seien beispielsweise ja auch die Republikaner schon im Landtag vertreten gewesen. Bei seinen Auftritten vor Ort habe er mitbekommen, dass in der Bevölkerung viele Sorgen und Nöte herrschten. „Es war uns in dieser Zeit nicht möglich, alles zu entkräften.“

Nach ersten Umfragen ist ein Hauptgrund für die Stimmenverluste der CDU Merkels Flüchtlingspolitik. Hat die Kanzlerin die Union linksliberalisiert und damit Stammklientel vergräzt? Dazu will Fuchtel sich gestern noch nicht äußern, man werde das analysieren müssen. Ebenso will er noch nichts zu möglichen Koalitionspartnern sagen. Einen Grund zum Jubeln findet er aber doch noch: „Ich werde auf jeden Fall feiern, dass es keine rot-rot-grüne Koalition geben kann.“

Für Saskia Esken ist der Wahlabend eine Zitterpartie. Sie sitzt mit 25 Mitstreitern im „Schwarzen Schaf“ in Ottenbronn. Bei der ersten Prognose macht sich Enttäuschung breit. Esken hat mit Platz 15 eigentlich einen guten Listenplatz. Bis kurz vor der Wahl galt er sogar als recht sicher. Doch nun landet die SPD mit rund 20,5 Prozent auf einem historischen Tief. Doch kurz vor Mitternacht erreicht sie die erlösende Nachricht: Es klappt wohl doch.

Im Wahlkreis 280 sind es bei den Erststimmen 16,9 Prozent, aber immerhin mehr als die AfD. Neben dem schlechten Abschneiden ihrer Partei treibt Esken aber vor allem eins um. „Oh Gott, die rechten Idioten sind mit 13 Prozent im Parlament“, sagt sie am Telefon. Die Unsicherheit über ihren eigenen Sitz kennt sie aber von der letzten Bundestagswahl 2103. Da hat sie der Wahlleiter erst um 2.30 Uhr morgens informiert, dass sie dem Bundestag angehören wird. Jetzt im Schwanken zwischen Hoffen und Zittern, berichtet sie von den vielen positiven Rückmeldungen, die sie bei ihrer Wahlkampftour hatte. Aber es gab wohl auch so manche, die sie nicht überzeugen konnte. Die Arbeit der SPD in der großen Koalition sei vielleicht nicht immer rübergekommen. Sie spricht den Mindestlohn und die Rente ab 45 Berufsjahren an. Themen, die gerade für den sogenannten „kleinen Mann“ interessant seien. „Die Wähler sind nicht immer dankbar, haben dafür für negative Sachen ein gutes Gedächtnis“, sagt Esken. Sie spricht damit die Agenda 2010 an, die der SPD auch heute noch in der Wählergunst zurückwirft.

Aber sie blickt jetzt nach vorn: Dass die SPD in die Opposition geht, das befürwortet sie. „Nicht, um sich zurückzuziehen und sich neu zu erfinden, sondern um rechten Tendenzen in der Bevölkerung und dem Parlament Paroli zu bieten.“ Gern wird sie daran mitarbeiten. Denn als stärkste Oppositionspartei könne man etwas bewegen. Am Dienstag fliegt sie nach Berlin. Sie hat es wieder geschafft.

Uwe Burkhart (AfD) ist in Siegerlaune. Das verhehlt er nicht. „Dass wir drittstärkste Kraft werden, hatte ich gehofft, aber nicht unbedingt erwartet. Aber es ist sehr, sehr erfreulich“, sagte er gestern am Telefon. Er jubelte mit rund 60 anderen AfD-Anhänger bei der Wahlparty in Nagold. Er konnte feiern, auch wenn von Anfang an klar war, dass er nicht im Bundestag vertreten sein wird. Im Wahlkreis 280 hat die AfD mehr als der Bundesdurchschnitt geholt. „Wir haben sogar Bezirke, bei denen wir über 30 Prozent haben“, sagte Burkhart. Das gute Abschneiden der Partei führte er darauf zurück, dass die AfD Themen aufgreift, die die Menschen umtreibt, die Migrationsfrage beispielsweise. „Wir bringen Themen aufs Parkett, die brisant sind.“ Gespannt ist er über die Koalitionsverhandlungen, die AfD ist auch jeden Fall in der Opposition. Eines konnte er sich nicht verkneifen. Die Angriffe von allen Seiten: „Wir sind ein bisschen enttäuscht, dass es auch nach dem Wahlkampf mit den Diffamierungen weitergeht.“ Dass sein Spitzenkandidat Alexander Gauland allerdings die „Jagd“ auf Angela Merkel eröffnen will, das redete Burkhart klein.

Richtige Freude kam bei der Wahlparty der FDP im „Schiff“ in Horb nicht auf. Zwar haben die Liberalen den Wiedereinzug mit über 10 Prozent geschafft, doch schauen die Besucher bei den Hochrechnungen mehr auf die Zahlen der AfD. Als Kandidat Lutz Hermann ein wenig verspätet zur Party kam, brandete kurz Beifall auf. Doch rasch wurde es wieder ruhig. FDP-Landtagsabgeordneter Timm Kern sprach von einem „fantastischen Ergebnis. Dafür haben wir vier Jahre gearbeitet. Ich freue mich sehr.“ Die Runde freute sich auch mit Michael Theurer, der als Spitzenkandidat der Liberalen in Baden-Württemberg ein historisch gutes Ergebnis geholt hat. Doch die AfD treibt fast mehr um. „Ich hätte mir ein anderes Ergebnis gewünscht. Und ich habe ja bereits Erfahrungen mit denen aus dem Landtag. Ich kann Ihnen sagen: Diese Abgeordneten tragen nicht dazu bei, die Probleme in unserem Land zu lösen“, ist Kern überzeugt.

Andreas Kubesch, der Kandidat der Bündnis-Grünen, befand sich beim Anruf der SÜDWEST PRESSE zwar schon im Kegel-Keller des Neubulacher Brauhauses „Rössle“, die Begeisterung ob des Ergebnisses der Grünen hielt sich trotzdem in Grenzen. Knapp 9 Prozent der Stimmen bundesweit konnte Bündnis 90 für sich verbuchen, was einen Zugewinn von 0,5 Prozent bedeutet. „Es ist nicht unehrenhaft und für die Kräfteverhältnisse gut. Aber das Gesamtergebnis ist dennoch nicht erfreulich“, resümierte Kubesch, der im Vorfeld sogar darauf gehofft hatte, dass die Grünen drittstärkste Kraft im Bundestag werden könnten.

Die Linke-Kandidatin Lorena Müllner äußert sich gestern Abend auf der regionalen Wahlparty der Partei in Böblingen ganz zufrieden mit ihrem Abschneiden. Um 20.30 Uhr, als ihr Ergebnis in einem Viertel aller Stimmbezirke feststeht, liegt die mit 19 Jahren jüngste Bundestagskandidatin bei 7,1 Prozent der Erststimmen und 8,1 Prozent der Zweitstimmmen. Wenn es dabei bleiben sollte, dann hätte sie das Linke-Resultat vor vier Jahren „mehr als verdoppelt“, freut sie sich.

Derlei Stimmenzugewinne führt sie auch auf den Zuspruch der Wähler bei Linke-Themen wie soziale Gerechtigkeit, Bildung und Friedenspolitik zurück. Diese Trias sei bei Wahlversammlungen, bei den Wahlpodien gut angekommen. Das Abschneiden der AfD auf Bundesebene hat Lorena Müllner wie ihre Parteifreunde auch mit „blankem Entsetzen“ quittiert. kal/dag/fbs/sis

Wahlgrafik: Uhland2/ST

Wahlgrafik: Uhland2/ST

Hans-Joachim Fuchtel feierte den Wahlsieg der CDU und sein Direktmandat in Berlin – wenn auch mit gemischten Gefühlen. Bild: Klein-Wiele

Hans-Joachim Fuchtel feierte den Wahlsieg der CDU und sein Direktmandat in Berlin – wenn auch mit gemischten Gefühlen. Bild: Klein-Wiele

Für Saskia Esken, hier mit ihrer Wahlkampfmanagerin Viviane Weschenmoser, war der Abend eine Zitterpartie. Bild: Breitmaier

Für Saskia Esken, hier mit ihrer Wahlkampfmanagerin Viviane Weschenmoser, war der Abend eine Zitterpartie. Bild: Breitmaier

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Erstellt:
25.09.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 16sec
zuletzt aktualisiert: 25.09.2017, 01:00 Uhr

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