Der Haugenstein steht auf

Kein Warmwasser, Müll, Chaos: Seit Wochen herrscht Ausnahmezustand, Doch die Anwohner wehren sich je

120 Wohnungen, ein Heizkraftwerk, einige hundert Meter Straße und dutzende Bewohner, die vor Wut kochen. Der Haugenstein ist derzeit Schauplatz eines chaotischen Streits zwischen Mietern, Eigentümern und Verwaltungsgesellschaften. Grund der Anwohner-Wut: Seit einigen Monaten müssen viele Familien auf Warmwasser verzichten – angeblich aufgrund nicht bezahlter Rechnungen. Diese Nebenkostenabrechnungen sind Kern des Streits. Verantwortlich für sie ist ein Mann: Andreas Osbelt.

26.08.2016

Von Benjamin Breitmaier

Der Haugenstein im Sonnenlicht. Hier lässt es sich gut leben, könnte man meinen. Doch die Idylle trügt und bald stehen die kalten Monate an. Bilder: bbm

Der Haugenstein im Sonnenlicht. Hier lässt es sich gut leben, könnte man meinen. Doch die Idylle trügt und bald stehen die kalten Monate an. Bilder: bbm

Bildechingen. Etwa 60 Menschen sind gekommen. Die Ansammlung hat sich in den Schatten der Bäume zurückgezogen. Hitze flimmert über dem Asphalt der Wohnsiedlung Haugenstein. Im Hintergrund sind die Häuser mit den gelben Streifen zu sehen – eins wie das andere. Der überwiegende Teil der Versammlung besteht aus Menschen, die hier leben, unter ihnen viele Familien. Sie halten Plakate hoch – „5 Monate ohne warmes Wasser“, „Haugenstein geht unter“. Einige haben ganze Ordner mit Dokumenten dabei, Fotos, die Missstände in der ehemaligen Nato-Siedlung belegen sollen.

Fast jeder hier kann seine eigene kleine Geschichte des Grauens erzählen. Da ist die Familie mit zwei Kindern, die seit Monaten bei Nachbarn duschen müssen, weil das Warmwasser abgedreht wurde. Da ist der Hausverwalter, der nicht länger mitansehen will, dass die Zählerstände seines Hauses praktisch nichts mit der ankommenden Nebenkostenabrechnungen zu tun haben. Geschichten von geschätzten Verbrauchsmengen, die weit über dem eigentlichen Verbrauch liegen müssten. Erzählungen von ausgesprochenen Drohungen und Nebenkosten, die bei einigen mittlerweile fast höher sind als die Miete selbst.

Mitten in dem Chaos steht die SPD-Bundestagsabgeordnete Saskia Esken. Sie ist an diesem Mittwochmittag gekommen, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Weitere Akteure neben den Anwohnern sind Heiderose Schaufler vom Deutschen Mieterbund – „so etwas habe ich noch nie gesehen“, erklärt sie im Gespräch mit der SÜDWEST PRESSE. Mit dabei auch die SPD-Ortsvereinsvorsitzende Viviana Weschenmoser, die in Vertretung ihrer Mutter Rosetta Venturino-Weschenmoser gekommen ist. Venturino-Weschenmoser ist für den Deutschen Mieterbund als Rechtsberaterin tätig.

Die geballte Wut der Anwohner konzentriert sich an diesem Tag auf einen Mann: Andreas Osbelt, ehemaliger Eigentümer der Siedlung Haugenstein und heutiger Herr des Heizkraftwerks, das die 120 Wohnungen in den 30 Objekten mit Wärme versorgt.

Angefangen hat es im Jahr 2013. Die ersten Nachzahlungsaufforderungen flatterten bei einigen Mietern ins Haus. „5000 Euro“, „6000 Euro“ – die Rufe kommen aus der versammelten Menge. Jede der 120 Wohnungen muss ihr Warmwasser per Fernwärme von dem Siedlungseigenen Heizwerk beziehen. Die Hauseigentümer wurden von Osbelt vertraglich dazu verpflichtet.

Die Problematik der Haugenstein-Siedlung beginnt aber schon früher. Im Jahr 2010 wurde die gesamte Siedlung von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) veräußert. Käufer waren damals Osbelt und ein Geschäftspartner namens Dietmar Demczenko, mit dem er sich kurz darauf zerstritt. Durch eine Vorkaufsregelung teilten die beiden die Siedlung unter sich auf. Osbelt hielt mit seinem Unternehmen Horb Invest 80 der 120 Wohnungen in der Haugenstein-Siedlung, Demczenko mit seiner Deco-Gruppe die restlichen 40. Um die Verwaltung der Siedlung inklusive des Heizkraftwerks kümmerte sich weiterhin Osbelt, der heute anscheinend nur noch das Heizkraftwerk betreibt. Beide hätten ihre Häuser mittlerweile veräußert. Demczenko ist laut eigener Aussage nur für die Verwaltung von vereinzelten Objekten verantwortlich. Den Großteil der Hausverwaltung liegt in den Händen der von Osbelt beauftragten Gesellschaft Englmayr.

Problem war von Anfang an, dass die Siedlung schon in den Händen der Bima in einem erbärmlichen Zustand lag. Straßen und Kanalisation hätten eigentlich schon seit langem saniert werden müssen. Die Häuser waren teils damals schon marode. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Bewohner klagen über kaputte Fenster, schlechte Dämmung und Schimmel. Probleme bereitet auch die Einrohr-Heizung, die in den Häusern verbaut ist. Durch sie ist es unmöglich, die Heizkosten der einzelnen Wohnungen zu bestimmen. Es wird somit die Nebenkostenrechnung eines ganzen Hauses immer auf die Wohnungen einfach per Quadratmeter umgelegt.

„Er hat mir in die Augen gesehen und gesagt, es sei ihm egal“, erklärt ein Bewohner. Gemeint ist Andreas Osbelt. „Dann hat er gesagt, wenn es euch nicht gefällt, dann könnt ihr ja gehen.“ Bis zum heutigen Tag hält Osbelt daran fest, richtig zu handeln. Ein Gericht bestätigte bereits, dass es rechtlich möglich sei, den Bewohnern teilweise das Warmwasser abzudrehen, wenn diese ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkämen. Für Osbelt sieht die Lage relativ einfach aus: Wer nicht zahlt, der kann auch nicht mit warmem Wasser rechnen. „Jeder hier ist bereit zu zahlen“, erklärt Sieglinde Krohn. Sie ist Bewohnerin einer Wohnung hier. Aber nur, wenn es auch transparente Abrechnungen für die Nebenkosten gäbe.

In der Realität zeichnet sich die Geschichte relativ einfach. Osbelt dreht das Wasser ab, die Anwohner müssen darunter leiden. In der juristischen Welt stehen die Parteien mit hoher Wahrscheinlichkeit vor einer vielleicht Jahre andauernden Auseinandersetzung, deren Ausgang mehr als ungewiss ist.

Wichtigste Spieler dieser Auseinandersetzung sind Andreas Osbelt, Geschäftsführer des Unternehmens Horb Energie und seine von ihm beauftragte Hausverwaltungsgesellschaft Englmayer. Von dieser kommen die in den Augen der Mieter mehr als undurchsichtigen Nebenkostenabrechnungen. Daneben stehen die Hauseigentümer, von denen viele Wohnungseigentümergesellschaften sind. Als dritte Partei stehen die Mieter.

Im ersten Rechsstreit stehen sich nun Mieter und Eigentümer gegenüber, obwohl die Hauseigentümer keinen Einfluss auf die Nebenkostenabrechnung haben. „Wir sitzen im gleichen Boot“, erklärt Wohnungseigentümerin Claudia Endres. Denn den Eigentümern bleibt nichts anderes übrig, als die fragwürdigen Abrechnungen an die Mieter quasi als durchlaufenden Posten weiterzugeben.

Zentral bei der juristischen Auseinandersetzung ist die Einsetzung eines Gutachters, der die Osbelt‘schen Nebenkostenabrechnungen unter die Lupe nimmt. Er soll herausfinden, woher die von Osbelts Hausverwaltungsfirma angegebenen Schulden von angeblich mehr als 100 000 Euro herkommen. Ende September landet der Fall vor Gericht. Sollte sich herausstellen, dass die Nachzahlungsforderungen nicht rechtens sind, gäbe es eine Chance für die Mieter, wieder an warmes Wasser zu kommen. Die Justiz bewegt sich jedoch bei derart komplizierten Sachverhalten langsam. Einen Fall wie diesen hat es bisher deutschlandweit nicht gegeben. Darum empfielt die SPD-Frau Weschenmoser: „Tut euch zusammen, bündelt die Verfahren, steht auf“ – die 29-Jährige ruft es in die Menge. Schon jetzt ist die Situation fast nicht mehr tragbar. „Unter uns sind Alte und Säuglinge“, brüllt ein Bewohner. Dabei könnte die Situation noch schlimmer sein. In den Sommermonaten ist niemand auf eine Heizung angewiesen. Doch: „Der Winter wird kommen“, erklärt Viviana Weschenmoser.

Kein Warmwasser, Müll, Chaos: Seit Wochen herrscht Ausnahmezustand, Doch die Anwohner wehren sich je
„Keep on smiling“ steht auf dem Shirt der kleinen Haugenstein-Bewohnerin. Genau das fällt in diesen Tagen schwer.

„Keep on smiling“ steht auf dem Shirt der kleinen Haugenstein-Bewohnerin. Genau das fällt in diesen Tagen schwer.

Sie ist eine der Sprecherinnen der wütenden Anwohner: Sieglinde Krohn.

Sie ist eine der Sprecherinnen der wütenden Anwohner: Sieglinde Krohn.

Kein Warmwasser, Müll, Chaos: Seit Wochen herrscht Ausnahmezustand, Doch die Anwohner wehren sich je

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26.08.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 26.08.2016, 01:00 Uhr

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