Terror

„Ungewissheit war am schlimmsten“

Tobias Plaz erlebte den Anschlag in Barcelona nur 100 Meter von „Las Ramblas“ entfernt. Nur einem Zufall ist es zu verdanken, dass der Eutinger und seine Familie nicht auf der berühmten Einkaufsstraße waren.

19.08.2017

Von Maik Wilke

Passanten flüchten in Barcelona in eine Seitenstraße, nachdem auf dem „Las-Ramblas-Boulevard“ ein Lieferwagen in eine Menschenmenge gerast war. Bei dem Attentat, das die IS-Terrormiliz für sich reklamierte, wurden ein Dutzend Menschen getötet, 80 weitere verletzt. Foto: Giannis Papanikos/AP/dpa

Passanten flüchten in Barcelona in eine Seitenstraße, nachdem auf dem „Las-Ramblas-Boulevard“ ein Lieferwagen in eine Menschenmenge gerast war. Bei dem Attentat, das die IS-Terrormiliz für sich reklamierte, wurden ein Dutzend Menschen getötet, 80 weitere verletzt. Foto: Giannis Papanikos/AP/dpa

Die Leute sind panisch durch die Gassen gerannt, viele haben geschrien, bis sie in einem Geschäft untergekommen sind.“ Tobias Plaz’ Stimme am Telefon ist ruhig und unaufgeregt. Doch der Schock sitzt dem Familienvater immer noch in den Knochen, sagt er. Denn es ist gerade einmal eine Nacht vergangen, seit der Eutinger den Anschlag in Barcelona, bei der ein Transporter auf der berühmten Einkaufsstraße „Las Ramblas“ in eine Menschenmenge gerast ist und dabei mindestens 13 Personen getötet hat, hautnah erlebt hat.

Eigentlich verbringt Plaz gerade mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern, 15 und 12 Jahre alt, in einem 140 Kilometer nördlich der katalanischen Metropole gelegenem Campingplatz seinen Urlaub. Doch ausgerechnet am Donnerstag führte die Tagestour mit einer Reisegruppe die Eutinger nach Barcelona. Nur 100 Meter zur Flanier- und Einkaufsmeile entfernt schlenderte die Familie durch eine der vielen Nebengassen. „Doch auf einmal sind uns hunderte Leute entgegengerannt“, erzählt Plaz im Telefonat mit der SÜDWEST PRESSE. „Wir wussten überhaupt nicht, was los ist. Ein anderer deutscher Tourist hat uns von einem Brillengeschäft aus zugerufen, dass wir schnell ins Innere des Ladens sollen.“

Dort verharrten die Touristen aus Eutingen, immer noch ahnungslos. Der Ladenbesitzer zog den Rollladen herunter, nur aus einem kleinen Schlitz heraus beobachteten die im Brillengeschäft festsitzenden Frauen und Männer das Geschehen. „Ein Mädchen hat geweint und etwas von Schüssen erzählt. Erst da wussten wir, dass etwas richtig Schlimmes passiert ist“, berichtet Plaz. Er habe gleich an die Attentate in Paris denken müssen, bei dem Männer mit Maschinengewehren auf den Straßen um sich schossen. Dass das Attentat mit einem Lieferwagen verübt wurde, war Plaz zu dieser Zeit noch nicht bewusst. „Diese Ungewissheit, überhaupt nicht zu wissen, was los war, das war am schlimmsten.“

Zehn Minuten lang saß Plaz mit seiner Familie im Brillengeschäft fest, bis sich die Szenerie etwas beruhigt hatte. Von der Gasse heraus, die direkt zu „Las Ramblas“ führt, beobachtete Plaz das Geschehen: „Überall waren Polizeiautos und Krankenwagen, dazu immer die Sirenen. Anfangs waren wir komplett orientierungslos.“ Um sich vom Brennpunkt zu entfernen, lief die Eutinger Familie in die entgegengesetzte Richtung – bis das schreckliche Geschehen von Neuem los ging: „Uns kamen wieder Leute entgegengerannt, die sich dann alle versucht haben, in den Läden zu verstecken“, erzählt Tobias Plaz. Die Passanten hätten Läden gestürmt, bis die Seitenstraße zu „Las Ramblas“ komplett leer gewesen sei. Plaz und seine Familie verschanzten sich in einem Restaurant. Im ersten Stock des Gebäudes sitzend, hörten sie die Rotorenblätter der Helikopter über der Stadt kreisen. „Die sind unglaublich tief geflogen, weil sie die noch flüchtigen Täter gesucht haben“, sagt Plaz.

Fast drei Stunden harrten die Eutinger zusammen mit mehreren anderen Touristen im Restaurant aus, die Kellnerin habe die Gruppe immer wieder über die Lage informiert. Weil zudem das Mobilfunknetz nicht zusammengebrochen war, konnten sich die Frauen und Männer in ihrem Versteck selbst einen Überblick über die Geschehnisse verschaffen, die sich gerade einmal 100 Meter von ihnen entfernt abspielten. „Es waren bereits You-Tube-Videos online, andere hatten den Live-Ticker von Nachrichten-Sendern an. Für uns war es wichtig, dass wir Kontakt zur Familie zu Hause aufnehmen konnten“, erzählt Plaz.

Erst spät abends sind laut Plaz die Polizisten von Ladengeschäft zu Ladengeschäft gelaufen, um die Passanten zu beruhigen und ins Freie zu holen. Die Eutinger Familie nahm per Handy sofort Kontakt zum Reiseleiter der Tagestour auf, um den neuen Treffpunkt für die Abfahrt zu erfahren. Erneut verging über eine Stunde bis sich alle Teilnehmer der Fahrt, darunter viele weitere deutsche Touristen, am Bus eingefunden hatten. Erst um 3.30 Uhr erreichte Plaz mit seiner Familie wieder den Campingplatz.

Von erholsamer Urlaubs-Atmosphäre kann beim Eutinger erst einmal keine Rede sein. Zumal es einem Zufall zu verdanken ist, dass die Familie gesund und unverletzt blieb: „Wenn wir nicht noch an einem Stand Sandwiches geholt hätten, wären wir zum Zeitpunkt des Anschlags auch auf ,Las Ramblas’ gewesen“, erzählt Plaz. Dennoch bleibt der Eutinger zunächst mit seiner Familie in Spanien, versucht, den Schock vom Donnerstagabend schnell zu vergessen. „Aber diese Erlebnisse werden uns mit Sicherheit noch lange in den Knochen stecken.“

Tobias Plaz

Tobias Plaz

Zum Artikel

Erstellt:
19.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 12sec
zuletzt aktualisiert: 19.08.2017, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Newsletter Wirtschaft: Macher, Moneten, Mittelstand
Branchen, Business und Personen: Sie interessieren sich für Themen aus der regionalen Wirtschaft? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Macher, Moneten, Mittelstand!