„Frau Thomaier, kennen Sie mich noch?“

40 Jahre Erzieherin: Über 800 Kinder gingen zu Maria-Theresia Thomaier in den Dettinger Kindergarten

Ziemlich genau vor 40 Jahren, – es war am 15. August 1976 – betrat Maria-Theresia Thomaier den St. Marien Kindergarten mit der Absicht, nicht lange zu bleiben. „Der Start war nicht gerade angenehm“, gesteht die Erzieherin, die direkt aus dem Anerkennungsjahr zur Leiterin der Einrichtung ernannt wurde. Am Sonntag ist Tag der Offenen Tür im Dettinger Kindergarten und gleichzeitig wird ihr 40-jähriges Berufsjubiläum gefeiert.

22.07.2016

Von sara vogt

„Die Kinder müssen mit aufs Bild“, sagt Maria-Theresia Thomaier. „Was ist schon eine Kindergärtnerin ohne Kinder?“Bild:sav

„Die Kinder müssen mit aufs Bild“, sagt Maria-Theresia Thomaier. „Was ist schon eine Kindergärtnerin ohne Kinder?“Bild: sav

Dettingen. Alles fing damit an, dass die gebürtige Betraerin Kinderkrankenschwester werden wollte. „Mädchen und Beruf geht nicht“, sprach ihr damals ihre Mutter ins Gewissen. Doch ihre Oma kam ihr zur Hilfe. „Sie sagte zu meiner Mutter: ‚Wenn das Mädchen was lernen will, dann soll sie das tun.‘“ Zusammen einigten sie sich auf den Beruf Kinderpflegerin.

Maria-Theresia, auch genannt Marese, Thomaier besuchte die Haushaltsschule in Bühl bei Karlsruhe. Die Schule wurde von Nonnen geleitet, die sie ermutigten, noch zwei Jahre zu bleiben und die Ausbildung zur Erzieherin zu machen. Also folgte sie deren Rat.

Nicht so erfreut waren die Nonnen aber über eine andere Entscheidung: In ihrem letzten Schuljahr wurde Thomaier schwanger, heiraten wollte sie aber ihren Freund und heutigen Mann Manfred noch nicht. „Ledig und schwanger an einer Nonnenschule“, sagt die 60-Jährige und schüttelt den Kopf, „das fanden die Nonnen nicht so toll.“ Der Grund: Hätte sie ihren Freund geheiratet, hätte sie kein Bafög mehr bekommen und „das hätten wir uns nicht leisten können“. Also stand sie es durch. Mit 18 Jahren bekam sie ihre Tochter Alexandra.

Nach dem Anerkennungsjahr wurde Marese Thomaier als Zweitkraft in dem von Ordensschwestern geleiteten katholischen St. Marien Kindergarten in Dettingen angestellt. Doch drei Wochen bevor das Kindergartenjahr losging, wurden die Schwestern abgezogen und Pfarrer Bruno Ziegler stellte die damals 19-Jährige vor die Wahl: Leitung oder Schließung. „Da blieb mir nichts anderes übrig. Schließlich gab es in Dettingen 90 Kinder im Kindergartenalter.“

So stand die junge Erzieherin an ihren ersten Tagen mit den Karteikarten der Kinder an der Tür und überprüfte, welches Kind in den Kindergarten durfte und welches nicht. Denn die Einrichtung war nur auf 45 Kinder ausgelegt. Durch Halbtagsbetreuung versuchte man, den Andrang an Kinder zu bewältigen. „Morgens waren andere Kinder da als mittags“, erinnert sie sich. Durch das schnelle verschwinden der Nonnen stand Thomaier zunächst alleine da. „Es war niemand mehr hier, der sich so richtig auskannte“, berichtet die Erzieherin. Wohl oder übel musste sie zunächst die Konzeption der Nonnen übernehmen. „Ich hatte meine Praktika in städtischen Kindergärten in Karlsruhe gemacht. Die waren da schon etwas weiter“, sagt Thomaier. Nach ein paar Wochen holte sie sich eine Freundin zur Hilfe und nach einem halben Jahr wurde eine zweite Stelle genehmigt. Sie und ihre Kollegin betreuten 60 Kinder: „Alle in einem Raum – da war man abends platt.“ Heute liegt der Schlüssel bei 1,5 Erzieher auf 25 Kinder.

Doch trotz den anfänglichen Schwierigkeiten blieb Thomaier dem Kindergarten treu: Aus zwei Erzieherinnen wurden vier, aus vier wurden acht. Fünfmal wurde umgebaut und erweitert. „Meine Kolleginnen nennen mich schon Bauleiterin“, erzählt Thomaier und lacht. Aus dem kleinen Kindergarten mit Gruppenraum und Waschraum wurde im Laufe der Jahre eine Einrichtung mit verschiedenen Spielräumen, einer Küche, einem Elternzimmer und einem Schlafraum. Die Eltern der 60 Kinder können sich monatsweise zwischen drei verschiedenen Betreuungsangeboten entscheiden.

Dies spiegelt auch wider, wie sich die Anforderungen an den Kindergarten verändert haben. Früher habe man den Kindergarten als Ort gesehen, an dem die Kinder für ein paar Stunden aufgehoben waren. Die Förderung der Kinder sei Aufgabe der Schule gewesen, erinnert sich Thomaier. Das ist heute nicht mehr so. Vorschule, Orientierungspläne, Sprachförderung – das alles habe den Tagesablauf verändert.

Über die Jahre habe sich aber auch das Spielverhalten gewandelt, berichtet Thomaier. Fernsehprogramm rund um die Uhr, Gameboys und das Internet trugen dazu bei, und die Tatsache, dass man heutzutage mehr Zeit für das einzelne Kind hat. „Ich würde schon sagen, dass die Kinder weniger einfallsreich sind.“ Die Reise in den Zoo hätten die Kinder früher selbst initiiert: Ein paar Stühle und die Zugfahrt konnte los gehen. Heute müsse der Erzieher die Kinder erst einmal auf die Idee bringen.

Um die 800 Kinder sind bis jetzt zu „Frau Thomaier“, wie sie von den Kindern genannt wird, in den Kindergarten gegangen. „Frau Thomaier, kennen Sie mich noch“, sei ein Satz den sie ziemlich oft hört. „Die meisten habe ich das letzte Mal gesehen als sie sechs waren, daher erkenne ich nicht alle auf den ersten Blick“, verrät sie. Doch wenn sie den Namen höre, komme alles wieder zurück.

Aus dem Leben einer Erzieherin

Vor sechs Jahren bekam Marese Thomaiereinen Anruf an Silvestervon einem ehemaligen Kindergartenkind. „Hier ist Mark. Wissen Sie noch wer ich bin?“, wiederholt die Erzieherin die Worte des Anrufers. „Ich dachte mir: Heute, ich muss mal wieder die Frau Thomaier anrufen.“ Vielleicht seien auch ein oder zwei Bier im Spiel gewesen, kommentiert Thomaier den Anruf. Als Erzieherin bekommt man alle möglichen Trends von der ersten Reihe aus mit. „Das Schlimmste waren die Teletubbies“, verrät die 60-Jährige. „Plötzlich haben sich die Kinder nur noch in Babysprache unterhalten: Gehen Wald.“ Da sei das ganze Thema Sprachförderung durch eine TV-Serie zunichte gemacht worden.

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Erstellt:
22.07.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 32sec
zuletzt aktualisiert: 22.07.2016, 01:00 Uhr

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