Verabschiedung

„Wenn Sie nicht annehmen, sind Sie draußen“

Nach 34 Jahren an der Horber Realschule geht Schulleiter Heiner Kist in den Ruhestand – aber langweilig wird es ihm wohl nicht werden.

22.07.2017

Von Gerd Braun

Ruhig nachzudenken und besonnen zu handeln, das sieht Heiner Kist selbst als eine seiner größten Stärken. Bilder: Kuball

Ruhig nachzudenken und besonnen zu handeln, das sieht Heiner Kist selbst als eine seiner größten Stärken. Bilder: Kuball

Auf seine alten Tage – natürlich rein beruflich betrachtet – hat das Schicksal Heiner Kist noch einmal gefordert. Nur wenige Tage ist es her, da wurden Schüler seiner Schule „überfallen“, einen Tag danach wurden etwa zehn Realschüler Augenzeuge des tödlichen Vorfalls vor dem Real-Markt. Gewiss war es in den Momenten nach diesen Ereignissen segensreich, einen wie Heiner Kist als Schulleiter der Horber Realschule zu haben. Mit seiner Erfahrung, seiner Ruhe, seiner reflektierten Besonnenheit. Am Montag aber wird Kist verabschiedet. Nach 34 Berufsjahren in Horb geht er in den Ruhestand.

„Ein guter Zeitpunkt“

„Ich freue mich. Es ist Zeit, und für mich persönlich ist es ein guter Zeitpunkt, Abschied zu nehmen“, sagt Heiner Kist – allerdings ohne jeglichen Bezug auf die beiden erwähnten unschönen Ereignisse. Solche Momente fordern natürlich – nicht nur ihn, sondern ein ganzes Team an Leuten. Schulseelsorger, Lehrer, viele andere. Für jeden Betroffenen einen möglichst auf ihn zugeschnittenen Lösungsweg zu finden, das ist es, wofür Heiner Kist sich über die Jahre hinweg stark gemacht hat. Und dies im Bezug auf Krisensituationen diesseits und jenseits des Klassenzimmers.

Die schönsten Momente seiner Laufbahn? „Immer dann, wenn es mir gelungen ist, für die Kinder Probleme zu lösen“, sagt Kist, entspannt im heimischen Gartenparadies sitzend, nach kurzem Nachdenken. Probleme im Schüleralltag können, das lassen seine Ausführungen erahnen, vielfältig sein. Sehr vielfältig. Und nicht immer liegt das Problem klar auf der Hand, geschweige denn die Lösung. Private Probleme, auch im familiären Umfeld waren immer wieder Herausforderungen. Aber dagegen stand, was Kist mit dem „Versuch, das Beste rauszuholen und so gut wie möglich zu helfen“ zusammenfasst. Und wenn es dann ein Schüler geschafft hat, dem man es nicht zugetraut habe oder bei dem es Spitz auf Knopf stand, dann waren das die Momente, die Heiner Kist stets neu angetrieben haben.

Die Problemfälle waren aber – Gott sei Dank – nicht das Zentrum des Schaffens für Kist, der sich mit seiner Frau Heidi und den inzwischen erwachsenen Söhnen Johannes und Matthias in Nordstetten niedergelassen hat. Vielmehr hat er, sicherlich nicht zu unrecht, den Eindruck, „dass sie gern zur Schule kommen – außer vielleicht vor einer Klassenarbeit.“ Und auch im Kollegium stimme grundsätzlich die Chemie.

„Harmonisches Kollegium“

„Ich habe ein sehr harmonisches Kollegium, das war mir auch von Anfang an wichtig“, sagt der Noch-64-Jährige, der froh, dankbar und auch ein bisschen stolz darauf ist, dass „nie ein Konflikt ins Persönliche gegangen ist“. Eine Maxime für sein Tun war und ist: Ohne gemeinsame Arbeit geht’s nicht. Gemeinsame Ziele verbinden, so Kist, zwischen Lehrern, Schülern und Eltern. Immerhin gehe es im Kern darum, die Schüler fit zu machen für das Leben nach dem Abschluss.

Heiner Kist weiß, wovon er redet, wenn es um Lebenswege geht. Er selbst, in Lauf bei Sasbachwalden aufgewachsen, wurde Lehrer erst auf dem zweiten Bildungsweg. Nach der Schule absolvierte der leidenschaftliche Buch-Leser zuerst eine Ausbildung zum Elektriker. Erst danach studierte er an der Pädagogischen Hochschule, und nachdem auch das Referendariat absolviert war, klingelte, Kist erinnert sich noch heute gut daran, an einem Freitag im Jahre 1983 in der Früh das Telefon. Am anderen Ende der Leitung der Schulrat mit der Nachricht: „Herr Kist, Sie haben eine Stelle in Horb. Wenn Sie nicht annehmen, sind Sie draußen.“

Dies alles war in einer Zeit, da die Republik eine sogenannte Lehrer-Schwemme erlebte, Stellen unter den Absolventen heiß begehrt waren. Nachdem Kist seine Blanko-Zusage gegeben hatte, zog er erst einmal die Landkarte heraus und schaute nach, wohin ihn das Oberschulamt denn nun beordert hatte. Und dann setzte er sich mit seiner Heidi in den VW-Käfer und knatterte, über den nördlichen Schwarzwald hinweg, in Richtung Horb. Eine Fahrt, die nicht zu enden scheinen wollte.

Aber Heiner Kist kam an in Horb. Und blieb. Seit 1983 ist er Lehrer für die Fächer Mathematik, Physik und Technik an der Horber Realschule, deren Leiter er seit 2001 ist.

Viele Jahre, viel Wandel. Doch was hat sich für die Schüler in dieser Zeit am meisten verändert? Kist überlegt wieder kurz. Dann sagt er: „Ich denke, die Medien haben den größten Einfluss auf die Kinder.“ Der Schritt über das Handy auf das heute gängige Smartphone. In der Konsequenz verbunden mit sehr viel Ablenkung und dem drohenden Verlust des Blicks auf das Wesentliche. So zumindest nimmt es Heiner Kist wahr. Er sieht die Eltern mehr denn je als Vorbilder gefordert, den Kindern handfestes Wissen und Können zu vermitteln. Handwerkliche Kenntnisse, beobachtete der Realschulleiter, seien zunehmend verloren gegangen in den vergangenen Jahren. Stattdessen sei vielmehr ein Trend zu beobachten gewesen, dass die Eltern immer mehr Aufgaben an die Schule übertragen – und das auch im Hinblick auf Erziehung.

Lernen ist Mühe und Arbeit

Kist selbst hat über die Jahre den Blick aufs Wesentliche nicht verloren. Nach wie vor bedeute Lernen eben auch Mühe und Arbeit. Das Bewusstsein, dass man sich Erfolge in der Schule und im Leben generell auch erarbeiten muss, sei in der Genussgesellschaft etwas abhanden gekommen. Die Vertreter der Schule sieht er gefordert, die Motivation der Schüler zu fördern, auch indem sie deren Stärken betonen – ohne dabei stets nach deren Schwächen zu suchen und auf selbigen herumzureiten.

Heiner Kist, in dessen Horber Zeit jährlich zwischen 120 und 160 Schüler die Mittlere Reifer erlangt haben, wird sich in der Zeit nach seiner Pensionierung nicht langweilen. Lesen, Fotografieren, Sport treiben – Skilanglauf und Radsport bevorzugt – oder auch wieder mal ein bisschen mehr Gitarre spielen. All das sind Hobbies, für die er zuletzt nicht ganz so viel Zeit hatte wie gewünscht. Und sowieso: „Wir haben ein Haus, da ist immer genug zu tun“, sagt Heiner Kist. Einen schönen Schlusssatz sagt er, ohne danach gefragt worden zu sein: „Ich habe in den Jahren die Arbeit immer gern gemacht, und ich würde jederzeit wieder Lehrer werden.“

Mehr Zeit zu haben, um zu lesen, Sport zu treiben oder vielleicht auch mal wieder die Gitarre in die Hand zu nehmen – darauf freut sich Heiner Kist.

Mehr Zeit zu haben, um zu lesen, Sport zu treiben oder vielleicht auch mal wieder die Gitarre in die Hand zu nehmen – darauf freut sich Heiner Kist.

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Erstellt:
22.07.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 07sec
zuletzt aktualisiert: 22.07.2017, 01:00 Uhr

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