Bis zum letzten Blutstropfen ausgekostete Splatter-Fantasie vor religionshistorischer Kulisse.

Die Passion Christi

Bis zum letzten Blutstropfen ausgekostete Splatter-Fantasie vor religionshistorischer Kulisse.

24.11.2015

Von che

Die Passion Christi

Es gab schon viele verschiedene Film-Jesusse: den milden Heiland in den meisten Hollywood-Verfilmungen; den entschlossenen Sozialrevolutionär von Pier Paolo Pasolini; den Zweifler und Zauderer in Martin Scorseses „Letzter Versuchung?; oder den Jux-Jesus (namens Brian) der Monty-Python-Truppe. Warum also nicht einmal Jesus, der Schmerzensmann? Ein Film, der sich ganz den Qualen der letzten Stunden widmet? Schließlich war so eine Kreuzigung unter römischer Knute gewiss kein Zuckerschlecken. Und schließlich haben drastische Darstellungen der Kreuzigung in der Bildenden Kunst (man denke an den Isenheimer Altar von Matthias Grünewald) eine ehrenwerte Tradition. Wenn sich der Schauspieler und Regisseur Mel Gibson („Braveheart?) nun mit großer Exzessivität auf diesen Aspekt konzentriert, sollte man ihm wirklich keinen Strick daraus drehen.

Rund 40 Millionen Amerikaner haben die „Passion Christi? bereits gesehen, er ist auf gutem Wege in die Dimension von „Titanic?, dem erfolgreichsten Film aller Zeiten, vorzustoßen. Die Medien berichten von verstörten Zuschauern, auch Herzinfarkt-Tote soll es gegeben haben. Man kann das nachvollziehen. Für ein mit der Gewaltästhetik des modernen Kinos unvertrautes Publikum (und ein solches zieht er wohl in erster Linie an), ist der Film ein Schock. Gibson inszeniert die Passionsgeschichte als Tour de force im wahrsten Sinne. Der brutalen Gefangennahme im Garten Gethsemane folgen Demütigungen durch römische Legionäre und den jüdischen Klerus. Danach kommt eine Folterszene von erlesener Grausamkeit: Wohl eine Viertelstunde dreschen Soldaten mit hakenbestückten Peitschen auf Jesus ein, bis nur noch ein Klumpen rohes Fleisch am Boden liegt. Bei der Kreuzigung (inklusive Kreuzweg) lässt Gibson dann Wunden klaffen, Blut spritzen und Knochen krachen, dass sich zart Besaiteten der Magen umdrehen kann.

Wenn nun aber gestandene Filmkritiker behaupten, der Regisseur treibe es zu bunt mit der Gewalt, ist das schwer nachvollziehbar. Haben die „Braveheart? nicht gesehen? Wissen die nicht, dass das Kino expressiver Gewaltdarstellung einige seiner denkwürdigsten Momente verdankt? Gibt es dieses „geheime Frohlocken über das Böse? („Die Zeit?) nicht in jedem hergelaufenen Actionfilm, ganz zu schweigen von den Hunderten schaurigschöner Undergroundstreifen? Bloß weil Gibsons altbekannter Sadismus, diese fast wollüstige Freude am Menschenschinden, sich hier an einem ungewöhnlichen Sujet abreagiert, muss man doch nicht den Moralapostel raushängen. Ob der erzkonservative Katholik das nun beabsichtigt hat oder nicht: „Die Passion Christi? ist ein lupenreiner Splatterfilm, und man wird ihn kraft seiner wuchtigen Monotonie des Schreckens zu den konsequentesten des Genres rechnen müssen.

Kurios ist allerdings, dass nun die progressiven Intellektuellen, die sich gern mal an einem blutrünstigen B-Movie gütlich tun, „Skandal? raunen (oder gar wie neugeborene Theologen den „Mangel an Transzendenz? monieren), während konservative Christenmenschen, die gewöhnlich jeden harmlosen Grusel als Teufelszeug brandmarken, bei diesem archaischen Kettensägenmassaker Hossiana schreien. Aber vielleicht ist das nur ein Gerücht.

Durchaus dubios ist auch das Argument, Gibsons Film sei kitschig, naiv, gedanklich schlicht. Mag ja sein, aber gibt es einen Jesusfilm, der das nicht ist? Offenbar eignet sich diese Figur, zumindest in unserem Kulturkreis, kaum zur tiefschürfenden Charakterzeichnung und zum kritischen Hinterfragen. Martin Scorsese hat es, mit einem von „unchristlichen? Versuchungen angewandelten Jesus, mal versucht und ist daran gescheitert. An Gibsons „Passion? gefällt immerhin die Entheroisierung. Hier ist Jesus mal kein Übermensch, der mit bierernstem Gleichmut, allenfalls ein paar Leidensfloskeln herunterbetend, den Tod als heimlichen Triumph zelebriert. Er ist die geschundene Kreatur schlechthin. Die Auferstehung wird so lieblos nachgeklappt, als wolle sich der Film von diesem Zentrum des christlichen Glaubens distanzieren. Im Grunde ist „Die Passion Christi? ein (nicht im schlechtesten Sinne) heidnischer Film. Aber er verführt auch ein bisschen zum Christentum. Denn eine Religion, die so ruchlos mit ihrem Helden umspringt, ist doch eigentlich ganz sympathisch. Nur: Wie man damit eine auf Superheroes konditionierte Welt bekehren will, wie Gibson es wohl anstrebt und wie ihm von seinen Kritikern angekreidet wird, ist ein Rätsel.

Über weite Strecken gleicht diese Passionsgeschichte mehr einem antikhistorischen Brutalo-Cartoon als einer ernsthaften Auseinandersetzung oder auch nur adäquaten Bebilderung des Evangeliums. Der von Jim Caviezel gespielte Jesus ist unter seiner beeindruckenden Maske bar jeder Spiritualität; das Nebenpersonal besteht aus grob gestrichelten Karikaturen aus dem Stereotypen-Kabinett: der wachsweiche Pilatus, der geifernde Kaiphas, der tuntige („Nero? Ustinov lässt grüßen) Herodes. Es gibt aber auch ein paar charmante Einfälle, wenn etwa ein androgyner Albino-Teufel ständig um die Ecke lugt, oder wenn Judas von einer wahrhaft satanischen Kinderschar in den Selbstmord getrieben wird. Für gute Christen ist dieser Mischmasch aus Bibelstellen und Gibsons Privatmythologie sicher ein Alptraum; Atheisten sollten ganz gut damit leben können.

Bleibt noch der Vorwurf des Antimsemitismus. Der Film aktiviere durch seine Darstellung eifernder Schriftgelehrter den archaischen Mythos von „den Juden? als Christusmördern, heißt es ? als ob Jesus, seine Mutter, die treuen unter den Jüngern, der brave Simon von Kyrene, der das Kreuz auf den Berg schleppt ? also alle Guten im Film ? nicht auch Juden wären. Wenn also etwas antisemitisch ist, dann die Vorstellung, dass der historische Jesus irgendetwas anderes war als ein gut jüdischer Sektierer wider das religiöse Establishment seiner Zeit. Dass der Film die Wahngebilde von Judenhassern zum Rotieren bringt, ist nicht auszuschließen, aber bekanntlich lässt sich jedes Phänomen dieser Welt antisemitisch verdrehen.

Auch wenn das keine Kunst ist: „Die Passion Christi? ist einer der besten Jesusfilme.

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Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 46sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

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M. Rittger 27.03.200412:00 Uhr

Sich an seiner Gewalt ergötzender Plastikstreifen ohne schlüssige Dramaturgie und Entwicklung, der durch charakterfreies Rollenrunterspielen, überzogenes Klischeebedienen und effektverliebtes Blutverspritzen bei mir ausgelöst hat, was er ausdrücklich nicht will: Ein herzliches Lachen.

markus 25.03.200412:00 Uhr

always look on the bright side of life

fichti 24.03.200412:00 Uhr

ich bin nach dem aufsetzen des dornenkranzes aus dem kino gegangen. der film ist einfach zu heftig...

Paul Musielak 21.03.200412:00 Uhr

Schockierend aber absolut sehenswert und vor allem regt der Film zum Nachdenken an.Meiner Meinung nach ein Film der definitiv nicht "gewaltverherlichend" , sondern absolut zum Nachdenken "gegen Gewalt" anregt!

Boris Dollinger 21.03.200412:00 Uhr

Handwerklich sehr gut gemachter, aber mit meist übertriebener, teils sogar lächerlicher(man denke nur an die Schlange in Gethsemane, und allgemein alle Szenen die den Leibhaftigen beinhalten, und die eher befremdend-lächerlich als erschreckend wirken) Symbolik überfrachteter Jesus-Film. Für eine 16er Freigabe zwar ziemlich brutal, aber es gibt in dieser Hinsicht durchaus wesentlich schlimmeres. Vielleicht die grafischste aller Jesus-Verfilmungen, sicherlich aber keine besonders mitnehmende oder bemerkenswerte. Die letzte Versuchung Christi liefert einen wesentlich besseren Ansatz zur Betrachtung des Lebens des Zimmermannssohnes von Nazareth.

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