Per „Talentquote“ in den Arztberuf

Der Zugang zum Medizinstudium im Südwesten wird sich ändern

Ortspräferenz und Quoten für Wartesemester zum Medizinstudium sollen wegfallen, die Abi-Note wird anders gewichtet.

16.07.2018

Von Jens Schmitz

Anatomie-Vorlesung: Der Zugang zum Medizinstudium wird neu geregelt. Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa

Anatomie-Vorlesung: Der Zugang zum Medizinstudium wird neu geregelt. Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa

Stuttgart. Nach Kritik des Bundesverfassungsgerichts an der deutschen Zulassungspraxis fürs Studium von Medizin und Zahnmedizin ändert sich auch in Baden-Württemberg die Platzvergabe für diese Fächer. Spätestens 2020 soll unter anderem der Ortspräferenz der Bewerber keine vorrangige Bedeutung mehr zukommen. Bei anderen Aspekten hofft Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne), die Länderkollegen von südwestdeutschen Gepflogenheiten überzeugen zu können. Das geht aus der Antwort auf eine Landtagsanfrage ihrer Partei hervor, die dieser Zeitung vorliegt.

Deutschlandweit orientiert sich die Studienplatzvergabe im Fach Medizin an einem Quotensystem, das Chancengerechtigkeit gewährleisten soll. Prozentsätze für Härtefälle, Bundeswehrangehörige oder Drittstaatler sind ebenso vorgeschrieben wie solche, die sich an Abitursquoten und Wartezeiten („Wartesemester“) orientieren. Rund 40 Prozent der Plätze werden so vergeben. 60 Prozent dürfen die Hochschulen selbst besetzen – und dabei neben dem Abi-Schnitt auch andere Kriterien berücksichtigen. Die Länder können Vorgaben machen.

Gegengewicht zur Abi-Note

Im Dezember hatte das Verfassungsgericht diese Praxis teilweise für grundgesetzwidrig erklärt: Innerhalb der Quoten müssen die Länder gleich mehrere Aspekte nachbessern. Und beim Auswahlverfahren der Hochschulen (AdH) soll der Gesetzgeber wichtige Fragen selbst regeln: Das Verfassungsgericht verlangt neben der Abiturnote auch ein Kriterium mit erheblichem Gewicht, das unabhängig von Schulnoten ist. Es soll eignungsbezogen sein und standardisiert berücksichtigt werden. Außerdem dürfe die Abiturnote nicht ohne Ausgleichsmechanismus verwendet werden, so lange sie bundesweit nicht vergleichbar sei.

Die Vorgaben sollen bis Ende 2019 umgesetzt sein. Im Mai haben sich die deutschen Wissenschaftsministerien auf Eckpunkte für einen entsprechenden Staatsvertrag geeinigt. Baden-Württembergs Ressortchefin Teresia Bauer (Grüne) antwortet nun auf Anfrage ihres Parteifreunds Jürgen Filius, dass die medizinführenden Universitäten im Land bereits heute zwingend außerschulische Kriterien berücksichtigen müssten. Dazu gehöre auch der standardisierte „Test für medizinische Studiengänge“ (TMS), der unabhängig von Schulnoten die Eignung fürs Medizinstudium messe.

„Die Landesregierung setzt sich dafür ein, eine abiturnotenunabhängige Quote für versteckte Talente (,Talentquote?) einrichten zu können“, schreibt Bauer, die diese Idee seit einem Monat verstärkt propagiert. Der im Südwesten entwickelte TMS habe in Studien eine „sehr hohe Vorhersagekraft für Studienerfolg“ demonstriert; andernorts würden weitere Instrumente erforscht.

Veränderungen in Baden-Württemberg sieht die Ministerin vor allem bei der Vergleichbarkeit der Abiturnoten heraufziehen – und beim Abschied vom Kriterium Ortspräferenz, das bislang eine wichtige Rolle spielt. Dafür erhalten die Kandidaten künftig statt nur an sechs an allen 35 medizinischen Standorten in Deutschland gleichrangige Chancen. Die Eckpunkte der Minister sehen außerdem vor, auf die bisherige Wartezeitquote zu verzichten. Sie hatte Bewerbern ohne Einser-Abitur Zugangsmöglichkeiten verschafft – das könnte künftig die „Talentquote“ leisten.

Die Zahl der Zulassungen in der Humanmedizin ist an Baden-Württembergs Universitäten in den vergangenen fünf Jahren nahezu gleich geblieben, während es bei den Bewerbungen einen gleichmäßigen Anstieg gab. Im vergangenen Wintersemester standen 10.109 Bewerbungen 1362 Studienanfänger gegenüber. Das Ministerium betont, dass ein erheblicher Teil der Kandidaten sich mehrfach bewerbe. In der Zahnmedizin blieben die Zahlen im Wesentlichen konstant. Hier nahmen nach 1054 Bewerbungen zum vergangenen Wintersemester 186 Studierende ihre Ausbildung auf.

254

254 Zahnmediziner und 1385 Humanmediziner haben im Jahr 2016 im Südwesten ihr Studium erfolgreich abgeschlossen. Zahlen für 2017 lagen laut Ministerium noch nicht vor.

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Erstellt:
16.07.2018, 06:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 16.07.2018, 06:00 Uhr

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