Nordstetten/Rottweil · Justiz

Drei Männer und keine Tasche

Der Prozess um die Ermordung des Nordstetters Michael Riecher beschäftigte sich gestern vor allem mit dem Verbleib mutmaßlicher Beute.

15.10.2019

Von Manuel Fuchs

Rückansicht von Michael Riechers (inzwischen abgerissenem) Elternhaus in der Ritterschaftsstraße 15, Horb-Nordstetten. Die Aufnahme stammt vom 10. November 2018, die Fahrzeuge gehören zur Kriminalpolizei. Zwischen dem dem im oberen rechten Eck zu sehenden Holzschuppen und der Grundstückgrenze rechts außerhalb des Bildausschnitts befand sich der Komposthaufen.Bild: Manuel Fuchs

Rückansicht von Michael Riechers (inzwischen abgerissenem) Elternhaus in der Ritterschaftsstraße 15, Horb-Nordstetten. Die Aufnahme stammt vom 10. November 2018, die Fahrzeuge gehören zur Kriminalpolizei. Zwischen dem dem im oberen rechten Eck zu sehenden Holzschuppen und der Grundstückgrenze rechts außerhalb des Bildausschnitts befand sich der Komposthaufen.Bild: Manuel Fuchs

Die gestrigen Zeugenvernehmungen am Landgericht Rottweil eröffnete ein 61-jähriger Polizeihauptmeister (PHM) des Horber Reviers. Eine Bürgerin aus Nordstetten hatte die Polizei am 4. Januar 2019 auf ein verdächtiges Fahrzeug aufmerksam gemacht. Sie habe von ihrem Balkon einen VW Polo mit Ludwigsburger Kennzeichen vor der Volksbank-Filiale in der Ritterschaftsstraße 9 parken gesehen. Als der PHM und seine Kollegin gegen 17.40 Uhr dort eintrafen, fanden sie das Fahrzeug und einen Mann vor. Dieser habe angegeben, seine beiden Kumpel gingen gerade mit einem ortsansässigen Bekannten spazieren.

Der Mann habe daraufhin kurz mit dem Handy telefoniert. Etwa 20 Minuten später sollen nach Aussage des PHM die beiden Kumpel über den Fußweg, der die Ritterschaftsstraße mit dem Fabrikweg verbindet, zurück zum Auto gekommen sein. Ihre Hosen und ihre Schuhe seien sehr schmutzig gewesen, sagte der PHM aus. Die Vermutung kam auf, der angebliche Spaziergang habe einer Straftat oder der Vorbereitung einer solchen gedient. Die beiden Männer sollen zur Erklärung angegeben haben, sie seien ausgerutscht und gestürzt. „Man wird beim Spazierenlaufen niemals so dreckig, auch wenn man hinfällt“, kommentierte der PHM im Zeugenstand dies. Die Polizisten dokumentierten daraufhin die Schuhsohlenprofile der drei Männer und durchsuchten das Auto, ohne verdachtserhärtende Indizien zu finden.

„Zu keinem Zeitpunkt gab es irgendeinen Zusammenhang mit dem Mordfall“, betonte der PHM. Eine Kontrolle der Personalien habe ergeben, dass einer der drei Männer eine „sehr große Anzahl von Strafregistereinträgen“ habe. Erst viel später, so der Polizist, habe er erfahren, dass diese Person zeitgleich mit einem der Tatverdächtigen im aktuellen Prozess in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Rottweil inhaftiert gewesen sei.

Die Bürgerin, die die Polizei nach Nordstetten gerufen hatte, konnte gestern krankheitsbedingt nicht als Zeugin aussagen. Der PHM gab wieder, was er von ihr erfahren habe: Die verdächtigen Männer sollen sich seit dem Vormittag des 4. Januar in Nordstetten aufgehalten haben. Hinter dem auf dem Schlossplatz errichteten Weihnachtsbaum sollen sie eine Skizze in den Schnee gezeichnet und rasch wieder verwischt haben. Die verwischte Stelle fotografierten Beamte der Kriminalpolizei später; die Skizze war nicht mehr rekonstruierbar. Weiter soll die Bürgerin ausgesagt haben, zwei der Männer seien mit einer großen, offenbar leeren Sporttasche vom Auto weggegangen. Über den Verbleib dieser Tasche wusste der PHM nichts.

„Wir hätten nach der Kontrolle wieder zurück aufs Revier gehen können“, sagte er. „Aber meine Kollegin und ich sind schon ein bisschen naseweis.“ Deshalb seien die beiden Polizisten den Fußspuren der drei Männer gefolgt. Dabei erkannten sie Abdrücke einer vierten Person, welche sie ebenfalls fotografierten. Die Spuren führten über den Fußweg zum Fabrikweg und diesen entlang bis zu einer eingezäunten Baustelle an der Einmündung in die Hohlgasse. Dort sei der Bauzaun leicht verschoben gewesen. Die Spuren führten durch die Lücke und endeten an einem Komposthaufen auf dem benachbarten Anwesen. Aus diesem sei offensichtlich vor kurzem – fehlender Schnee und lose Erde legten dies nahe– etwas ausgegraben worden. An einer Art Geländer daneben hingen leere Plastiktüten. Auch seien Rutschspuren vom etwas höher gelegenen Nachbargelände zum Komposthaufen zu erkennen gewesen, die der PHM mit den verschmutzten Hosen der verdächtigen Männer in Verbindung brachte. Dies sei nur eine Vermutung, einen forensischen Abgleich gebe es nicht, sagte er auf Rückfrage des Rechtsanwalts Kristian Frank.

Erst als die beiden Polizisten das Anwesen, zu dem der Komposthaufen gehörte, in die reguläre Richtung verließen, erkannten sie, dass es dem ermordeten Michael Riecher gehörte und ein Tatverdächtiger in dem dazugehörigen Haus gewohnt hatte. Ein Zusammenhang zwischen dem umgegrabenen Kompost und dem Mordfall lag von da an nahe, weshalb sie den Sachverhalt umgehend weitermeldeten. Warum die Beamten die Spuren der vierten Person nicht weiterverfolgt hatten, sagte der PHM nicht aus –  es fragte ihn auch niemand danach.

Grabung im Auftrag?

Ob einer der Angeklagten einen der Verdächtigen mit dem Grabungen beauftragt haben könnte, sollte der zweite Zeuge des gestrigen Verhandlungstages aufklären. Der 53-jährige Hauptsekretär im Justizvollzugsdienst, angestellt an der JVA Rottweil, konnte sich jedoch nur vage daran erinnern, dass einer der verdächtigen Männer aus Nordstetten, möglicherweise etwa zu Anfang des Jahres 2019, Kontakt zu dem in Rottweil inhaftierten Angeklagten herstellen wollte. Gemeinsame Haftzeiten der beiden hielt er immerhin für möglich, verwies aber zur Klärung auf entsprechende Dokumentationen.

Die dritte Zeugin gab an, einer ihrer Kollegen habe ihr erzählt, sein Cousin wisse, wo Gold oder Bargeld vergraben sei. Er werde helfen, es zu holen. Nach dieser kurzen Einlassung zur Sache und zu einem augenscheinlich lückenhaften Protokoll eines Smartphone-Chats versiegte jedoch das Erinnerungsvermögen der Zeugin. Die aus dem Chatprotokoll ersichtlichen Zeitpunkte passten zum verdächtigen Fahrzeug in Nordstetten. Sie habe ihren Kollegen nicht nach Details gefragt – zunächst habe sie seine Geschichte für Wichtigtuerei gehalten. Später, insbesondere nach ihrer polizeilichen Vernehmung, habe sie von der ganzen Sache nichts mehr wissen wollen, sagte sie aus.

Unklar blieb auch, wer das Gold beziehungsweise Geld gemäß den Erzählungen ihres Kollegen vergraben haben soll. Einerseits benutzte die Zeugin in diesem Zusammenhang den Begriff „Beute“. Andererseits gab sie an, sie sei davon ausgegangen, das Mordopfer selbst habe Geld oder Gold vergraben. Das derzeitige Verhältnis zu ihrem Kollegen bezeichnete sie als „normal“.

Der vierte Zeuge, ein 25-jähriger Metallbauer, betrat den Zeugenstand in Handschellen; als seine Adresse nannte er die JVA in Tübingen. „Aber des weiteren möchte ich auch nichts sagen“, sagte er, noch bevor ihn der Vorsitzenden Richter Karlheinz Münzer über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt und ihm dieses umfassend zuerkannt hatte: Gegen den Zeugen sind Verfahren anhängig, sodass er sich mit einer Aussage belasten könnte.

Pikant: In einem dieser Verfahren verteidigt Rechtsanwalt Alexander Hamburg den Zeugen. Hamburg ist auch am aktuellen Rottweiler Verfahren als ein Verteidiger des ersten Angeklagten beteiligt. Richter Münzer forderte ihn deshalb auf, sich innerhalb dieser Woche dazu zu äußern.

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Erstellt:
15.10.2019, 01:05 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 02sec
zuletzt aktualisiert: 15.10.2019, 01:05 Uhr

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