Tübinger Kunsthalle

Klare Kante zeigen

Das Tübinger Ausstellungshaus wird nach längerer Umbau- und Ausbauphase wieder eröffnet. Holger Kube Ventura soll ihm einen neuen Inhalt verpassen.

08.02.2017

Von WILHELM TRIEBOLD

Die Hardware des Kunsthallen-Umbaus zahlen andere. Holger Kube Ventura  (hier auf der Baustelle) ist dann für die Software zuständig. Foto: Metz

Die Hardware des Kunsthallen-Umbaus zahlen andere. Holger Kube Ventura (hier auf der Baustelle) ist dann für die Software zuständig. Foto: Metz

Tübingen. Am 8. März wackelt Boris Palmers Thron. Dann wird der Bürosessel des publicitybewussten Tübinger Oberbürgermeisters „entwendet“, wie Holger Kube Ventura verspricht, und „in einer prozessionsartigen Performance“ in die Kunsthalle hinaufgebracht, als eine Art „Trophäe“.

Die Aktion, man ahnt es schon, ist Teil einer Kunstausstellung. Mit ihr wird kurz darauf unter dem Titel „Kapitalströmung“ die Kunsthalle wiedereröffnet. Dafür verantwortlich ist Holger Kube Ventura, seit einem Jahr künstlerischer Vorstand des Hauses, das seine allerbesten Zeiten Ende des letzten Jahrhunderts hatte. Damals holte Ausstellungsmacher Götz Adriani mit jeder Werkschau zu den großen Franzosen – zu Cézanne, Degas, Renoir oder Toulouse-Lautrec – Ruhm und Ehre, aber auch eine Menge Besucher und damit Geld in die schwäbische Universitätsstadt.

Längst hat sich Adriani auf den bequemeren Stiftungsvorsitz zurückgezogen. Das Feld der Ausstellungen überließ er nun zwar Kube Ventura, was beide aber nicht daran hindert, sich schnell in einer Fehde über Zuständigkeit und künftigen Zuschnitt der Kunsthalle zu verstricken. Dieser Fall ist noch nicht ganz geklärt, zuletzt schien es auf einen fragilen Burgfrieden hinauszulaufen.

Umso mehr muss Kube Ventura, zweifellos der Mann für die künftige Programmlinie, beim Profil jetzt klare Kante zeigen. Er will dies, indem er noch stärker als bisher Abschied nimmt von traditionellen Fixierungen, vorneweg von der bewährten Klassischen Moderne. Die Kunsthalle richtet sich neu aus. Und erfindet sich quasi neu.

Deshalb versteht Kube Ventura seinen Polit-„Piloten“, mit dem er jetzt eröffnet, auch als programmatische (Kampf-)Ansage. Die „Kapitalströmung“ erfasst und umfasst Aktuelles wie die Finanz- und Flüchtlingskrisen, wie schnöde Steuerflucht und grassierende Wertverluste.

13 Künstlerinnen und Künstler haben sich Gedanken zum Thema gemacht. Der spielerisch-schelmische Beitrag der Rathausstuhl-Klauerin Christin Lahr ist dabei nur eine Annäherung von vielen. „Durch die freundliche Übernahme und den Akt des Besitzens“, begründet sie die Aktion, „überschreibe ich den jeweiligen mit meinen Tätigkeiten als Künstlerin und gebe ihn danach materiell unversehrt und dennoch überarbeitet zurück.“ Da wird sich OB Palmer gewiss drüber freuen.

Ein Kunst-Programmierer

Wer jetzt an seinem Stuhl kleben bleibt, das wird sich noch zeigen. Kube Venturas Auftakt liest sich jedenfalls zumindest auf dem Papier sehr erfrischend. Es gibt zum Beispiel eine gewaltige Wandfototapete, die Venedig mit einem Flickr-Teppich flutet. Oder auch eine Kunstrecherche in der bizarren Schein-Welt der Steuerparadiese. Ein monumentaler „Frankfurter Totentanz“ taucht in die Unterwelt der Finanzmetropole ein, und 20 3D-Modelle der größten Banken dienen als Blumenvasen für Rauschmittelpflanzen.

Der 50-jährige Hesse Kube Ventura hat sich nicht unbedingt in der nobel-gediegenen Hautevolee der Ausstellungszunft einen Namen gemacht. Aber er gilt als bestens vernetzter Kunst-Programmierer, vor allem seit seiner Zeit beim Frankfurter Kunstverein, darüber hinaus aber auch als begabter Beschaffer von begehrten Drittmitteln. Über allen Querelen um die künftige Kunsthallenrichtung müssten auch seine Gegner anerkennen: Der Mann versteht es, seine Ausstellungen zu finanzieren, bevor überhaupt Geld in der Eintrittskasse klingelt.

Kommt aber die geballte Globalisierungskritik nicht ein bisschen arg hintendrein, da inzwischen Protektionismus und robuste nationale Interessenvertretung à la Trump um sich greift? Kube Ventura guckt fast ein bisschen amüsiert: „Die Steueroasen werden sich nicht in Luft auflösen. Und die Themen werden nicht überflüssig. Höchstens die Strategien verändern sich, verschwinden aber nicht.“ Außerdem handle es sich um „eine Kunstausstellung, keine analytische Argumentation. Es wird eine sinnliche Ausstellung. Es gibt auch nicht so viel zu lesen.“

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Erstellt:
08.02.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 44sec
zuletzt aktualisiert: 08.02.2017, 06:00 Uhr

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