Geschichte

Als Sulz und Glatt sich gegenseitig plünderten

Bei der Ausstellungseröffnung über den Dreißigjährigen Krieg am Oberen Neckar erinnern Cajetan Schaub und Karl-Josef Sickler an schlimme Zeiten.

17.12.2018

Von Cristina Priotto

Dieser Marketenderwagen im Turmzimmer ist eine Leihgabe von Gerold Grötzinger aus Dettingen. Bilder: Cristina Priotto

Dieser Marketenderwagen im Turmzimmer ist eine Leihgabe von Gerold Grötzinger aus Dettingen. Bilder: Cristina Priotto

Gewalt, Plünderungen, Not: Die neue Ausstellung „Der Dreißigjährige Krieg am Oberen Neckar“ im Kultur- und Museumszentrum (KMZ) Schloss Glatt will so gar nicht zur besinnlichen Weihnachtszeit passen. Doch womöglich stimmt gerade die Erinnerung an die schlimmen Jahrzehnte vor 400 Jahren im aktuellen Wohlstandsüberfluss so manchen nachdenklich.

Bürgermeister Gerd Hieber nannte bei der Vernissage am Samstag die vier aufeinanderfolgenden Konflikte zwischen 1618 und 1648 eine „Ur-Katastrophe“ mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung. Viel Anerkennung zollte Hieber den Ausstellungsmachern Cajetan Schaub und Karl-Josef Sickler und dankte den Leihgebern, darunter Siegfried Esslinger.

Museumsleiter Schaub erinnerte im vollbesetzten Fürstensaal daran, dass die Auseinandersetzungen zwar, ausgelöst durch den „Prager Fenstersturz“, als Religionskrieg begannen, in den folgenden Jahrzehnten wurden dabei jedoch auch dynastische Mächtekonflikte zwischen der katholischen kaiserlichen Liga und der protestantischen Union ausgetragen. Der Obere Neckarraum wurde erst spät, nämlich im Jahr 1632, dafür mit voller Wucht vom Kriegsgeschehen erfasst: Einquartierte Truppen, Plünderungen, Hunger, Not und Gewalt beutelten Städte und Dörfer. „In manchen Gebieten überlebte nur ein Drittel, und es dauerte Jahrhunderte, bis sich die Bevölkerung erholte“, machte Cajetan Schaub deutlich.

Trotz der Schwierigkeit, genaue Daten für die Ereignisse in einzelnen Orten zu finden, hatte Karl-Josef Sickler bei seinen Recherchen in diversen Archiven Erfolg. Der Dettinger Heimatforscher referierte über die Plünderung Glatts durch die Sulzer. Ausgangspunkt war, dass die Schlösser der katholischen Brüder Alexander und Wildhans von Neuneck von den protestantischen Sulzern ausgeraubt wurden. Alexander war damals Glatter Ortsherr und hatte 1634 und 1641 seinerseits Sulz besetzt und geplündert. Wegen Schulden und als feindlicher Besatzer war der Obrist in der Neckarstadt verhasst. Als der Obrist bei einem Überfall der Schweden auf Rheinfelden gefangen genommen wurde, wodurch die Herrschaft Glatt geschwächt war, nutzten die rachsüchtigen Sulzer die Gunst der Stunde und nahmen „alles, was von Vieh, Frucht und Fahrnis vorhanden mit sich hinweg“, wie Kurfürst Maximilian von Bayern in einem Brief an Graf Alwig von Sulz, dem die Herrschaft Sulz gehörte, beklagte. Maximilian bat Alwig darum, die Stadt „mit den notwendigen Mitteln“ (also auch Gewalt) anzuhalten, Alexander das ihm Geraubte zurückzugeben.

Als die Glatter im Mai 1639 wegen der Plünderung ihres Dorfes vernommen wurden, schworen einige Bürger, es seien die Schweden und einige Sulzer gewesen, die ihrerseits in Glatt Getreide, Werkzeug, Pferde und Kühe unrechtmäßig mitgenommen hätten. Herzog Eberhard bekräftigte in einem Schreiben an Alexander von Neuneck, „dass die Bewohner selbiger Stadt Sulz an der Plünderung ganz unschuldig seien“, schob die Schuld auf die Schweden und brachte den Wunsch zum Ausdruck, „dass man sich weiterhin nachbarlich gepflogen bleiben soll“.

1646 ereilte Sulz das nächste Unglück. Truppen Konrad Widerholts, des Kommandanten der Festung Hohentwiel, entführten Menschen und Vieh, die erst gegen Geld und Lebensmittel wieder herausgerückt wurden. Auf die Plünderung Sulz‘ reagierten einige Glatter schadenfroh und wollten es Widerholts Mannen gleichtum, was wiederum die Sulzer Bürger erbitterte. In dieser Situation reagierten Wildhans von Neuneck und Beamte aus Sulz, die „zur Verhütung einer bösen Nachbarschaft den Konflikt möglichst zu glätten versuchten“.

Eine immense Last erlitten sowohl Glatt als auch Sulz von Ende Februar bis Anfang März 1647, als das Reiterregiment Wittgenstein mit 844 Personen in Sulz Standquartier nahm und 339 Offiziere, 163 Frauen und Mägde, 133 Kinder, 209 Diener sowie 969 Pferde und 35 Rinder knapp zwei Wochen lang die ohnehin knappen Lebensmittelvorräte mitbeanspruchten. Dank des Einsatzes von Stadtschreiber Johann Phillip Hübner zog die Soldateska frühzeitig ab. Diese Quartierung traumatisierte die Bürger beider Orte: „So groß war das Elend, dass die Leute erzitterten, als sie ‚Winterquartier‘ hörten“, zitierte Sickler aus einer zeitgenössischen Chronik.

Nach den erschütternden Ausführungen beendete Karl-Josef Sickler die Einführung mit dem Wunsch nach Frieden aus der Weihnachtsbotschaft.

Auf großes Interesse stieß die Eröffnung der Ausstellung über den „Dreißigjährigen Krieg am Oberen Neckar“ am Samstag im KMZ Glatt.

Auf großes Interesse stieß die Eröffnung der Ausstellung über den „Dreißigjährigen Krieg am Oberen Neckar“ am Samstag im KMZ Glatt.

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17.12.2018, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 17.12.2018, 01:00 Uhr

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