Tübingen

„Anzeigenhauptmeister“ für Kooperation mit Modehaus in Tübingen zu Besuch

Niclas M., auch bekannt als „Anzeigenhauptmeister“, besucht Tübingen für einen Werbespot – und sorgt für eine Menge Trubel.

17.04.2024

Von Tobias Hauser und Felix Jesinger

Der „Anzeigenhauptmeister“ mit Helm und gelber Schutzkleidung. Bild: Ulrich Janßen

Der „Anzeigenhauptmeister“ mit Helm und gelber Schutzkleidung. Bild: Ulrich Janßen

Vor dem Modehaus Zinser in Tübingen sammelt sich am Mittwochmittag eine Zielgruppe, die hier sonst nicht so häufig vertreten sein dürfte. Teenager rufen aufgeregt durcheinander. „Gleich kommt er raus“, schreit einer. „Ich weiß, wo sein Fahrrad steht“, ein anderer. Der Grund für den Andrang: Der „Anzeigenhauptmeister“. Hinter dem Namen steckt der 18-jährige Niclas M. Er ist ein Star in den sozialen Medien, bekannt gemacht hat ihn eine „Spiegel TV“-Doku. In dem nun schon über 5 Millionen Mal geklicktem Video läuft Niclas M. durch seine Heimatgemeinde in Sachsen-Anhalt und zeigt reihenweise Falschparker an. Dazu nutzt er eine spezielle App. Im vergangenen Jahr soll er nach eigenen Angaben insgesamt 4000 Fälle gemeldet haben. Sein Ziel ist es, „mindestens einen Falschparker pro deutscher Gemeinde anzuzeigen“. Da muss er eben auch mal in Tübingen vorbei. Außerdem ist der 18-Jährige noch aus einem anderen Grund hier. Er dreht einen Werbespot für Zinser. In Tübingen ist er Mittwoch mit einem Filmteam unterwegs.

Die Gruppe vor dem Zinser-Gebäude, die auf Niclas M. wartet, wächst nach und nach an. Ein Mitarbeiter des Filmteams hat erzählt, dass der „Anzeigenhauptmeister“ in wenigen Minuten das Gebäude verlassen soll. Die Nachricht verbreitet sich rasend schnell. „Sucht ihr auch den Anzeigenhauptmeister?“, fragen zwei junge Männer mit Bier in der Hand im Vorbeigehen. Die Gruppe Teenager bejaht. Ein paar von ihnen beschließen, zu den anderen Ausgängen zu rennen, damit Niclas M. ja nicht entkommen kann.

Sicher 80 bis 100 Leute stehen vor dem Seitenausgang, als der „Anzeigenhauptmeister“ dann endlich erscheint. Es bildet sich eine Traube junger Menschen, die Selfies mit dem 18-Jährigen machen wollen. Alle drängeln durcheinander und machen Videos. „Das hier ist Privatgelände, alle raus!“, schreit ein Sicherheits-Mann. Das wirkt: Die Menschenmenge bildet eine Gasse. Niclas M. und das Filmteam kommen endlich durch, werden aber weiter mit Bildwünschen und Fragen bombardiert: „Würden Sie einen Zehner von mir annehmen, wenn wir ein kurzes Video machen können?“, fragt einer der beiden Männer mit Bier und wedelt mit einem Schein. Niclas M. läuft einfach weiter. Er schaut stoisch in die Handykameras, lässt sich fotografieren und beantwortet Fragen einsilbig. Nicht unfreundlich, eher unbeeindruckt von all dem Trubel.

Bild: Ulrich Janßen

Bild: Ulrich Janßen

Der 18-Jährige und sein ungewöhnliches Hobby lösen in Deutschland nicht nur positive Reaktionen aus. Während viele seine Verschrobenheit sympathisch oder zumindest kurios finden, wie es auch in Tübingen der Fall zu sein scheint, musste Niclas M. seit dem Beitrag auch mit viel Hass umgehen. Im Internet schlägt ihm jede Menge Wut entgegen. Menschen auf den sozialen Medien wünschen ihm den Tod und drohen ihm Gewalt an. „Krankes Geschwür“, schreibt einer auf Facebook, „Ich hoffe, der gerät mal an den Falschen“, ein anderer. Was dann wohl auch geschah: Mitte März wurde Niclas M. in der S-Bahn von einem Fußballfan attackiert und musste mit einer Schädelprellung ins Krankenhaus. Auch einen Anruf mit Morddrohung gab es schon im Polizeirevier Wittenberg, aus dessen Nähe Niclas M. kommt.

Das Online-Magazin „Übermedien“ kritisierte „Spiegel TV“ und schrieb, das Medium habe Niclas M. mit dem spöttischen Beitrag „zur Hetze freigegeben“. Damit habe „Spiegel TV“ die journalistische Verantwortung missachtet, Menschen auch vor sich selbst zu schützen. Im Video wird er unter anderem als „Meister Petze“ oder „Knöllchenfetischist“ bezeichnet.

Auch in Tübingen hat Niclas M. bereits negative Reaktionen zu spüren bekommen, wie er dem TAGBLATT erzählt. Auf der Neckarbrücke habe ihm jemand gesagt, er solle gleich wieder von hier abhauen. Beeindrucken ließe er sich davon aber nicht. Auf die Frage, wie er denn auf die Idee gekommen sei, nach Tübingen zu fahren, sagt er: „Das wähle ich nach Zufallsprinzip aus.“ Davor sei er in Bad Doberan gewesen, ganz im Norden von Mecklenburg-Vorpommern. Auch in Tübingen habe er bereits mehrere Anzeigen verteilt, erzählt der 18-Jährige. Dass er hier nicht nur zum Anzeigen verteilen ist, sollte jedoch klar sein. Auch Geld für den Werbespot springt dabei raus. Wie hoch seine Gage ist, will die zuständige Agentur „Flügelmann“ auf Anfrage jedoch nicht herausrücken.

Inzwischen hat Niclas M., gefolgt von Kamerateam und der Menschenmasse, den Zinser einmal umrundet und dreht dort die Abmoderation für den Werbespot. Die orange Arbeitskleidung, mit der er nach Tübingen gekommen ist, wurde im Laufe des Drehs gegen eine knallgelbe eingetauscht. „Ich hoffe, dein neues Outfit gefällt dir und weiterhin viel Erfolg beim Anzeigen“, sagt der Moderator zu Niclas M. Danach ist die Szene abgedreht und der „Anzeigenhauptmeister“ zieht weiter. Seine Fangemeinde folgt ihm auf dem Fuß. „Das ist wild“, sagt ein Kameramann zum anderen und schüttelt den Kopf: „Total wild.“

Darum geht es im Video

Laut Zinser-Geschäftsleiter, Stefan Rinderknecht, läuft Niclas M. in dem Video in seiner Rolle durch das Tübinger Modehaus und spielt dort „Modepolizei“. Zinser lege sehr viel Wert auf seinen Social Media Auftritt und suche deswegen explizit nach Personen, „die im Gedächtnis bleiben“. Die Tübinger Werbefilm- und Social-Media-Agentur Flügelmann buchte den „Anzeigenhauptmeister“ im Auftrag von Zinser und drehte mit ihm ein paar kurze Videos für die Plattform Instagram. Die Videos erscheinen laut den Geschäftsführern der Medienagentur, Marvin Pagel und Henri Nebel, in ein paar Wochen. Inhalt sind Sketche, in denen der Anzeigenhauptmeister mal nicht falsch parkende Autos anzeigt, sondern Leute mit schlechtem Modestil. Schon vor ein paar Monaten konnten sie eine andere kuriose Internetpersönlichkeit für sich gewinnen: Lach-Yogalehrerin Carmen Goglin, die für einen Werbespot lachend durch die Tübinger Zinserfiliale lief und dort einkaufte.

Zum Artikel

Erstellt:
17.04.2024, 14:59 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 52sec
zuletzt aktualisiert: 17.04.2024, 14:59 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!