Die Kunst des kleinen Gesprächs

Beim Deutschkurs für Flüchtlinge am Hermann-Hesse-Kolleg zählt nicht nur Grammatik

Das Horber Hermann-Hesse-Kolleg bietet seit Dezember Deutsch-Einstiegskurse für Flüchtlinge an. Nadja Fischer ist eine der 20 Lehrkräfte, die mit den Teilnehmern Aussprache, Grammatik und Small-Talk übt. Auch die 44-jährige Ghada lernt in der Morgen-Gruppe von Nadja Fischer. Sie ist eine der wenigen Frauen, die am Deutschunterricht teilnehmen.

14.01.2016

Von Sara Vogt

Die acht männlichen Teilnehmer der Gruppe von Nadia Fischer (rechts). Ghada, die einzige Frau, wollte sich nicht fotografieren lassen. Bild: sav

Die acht männlichen Teilnehmer der Gruppe von Nadia Fischer (rechts). Ghada, die einzige Frau, wollte sich nicht fotografieren lassen. Bild: sav

Horb.  Nadja Fischer zieht den Zeigestock aus und eröffnet die Stunde. Es ist Zeit für die phonetischen Übungen, wie jeden Tag am Anfang der Deutschstunde im Hermann-Hesse-Kolleg. An der Tafel stehen schon die kniffligen Fälle im Deutschen. Die Aussprache von „ei“, „ie“, „eu“, und das „s“ wird geübt. Reihum lesen die Teilnehmer die dazugehörigen Worte vor:

„Zwei, sie, heute, Süden“

Fischer ist Lehrkraft für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Die 52-Jährige kommt aus Tübingen und unterrichtet schon seit zwölf Jahren in verschiedenen Einrichtungen. Seit einem Monat lehrt sie am Hermann-Hesse-Kolleg. In jeder Gruppe sind um die 15 Schüler. Heute sind nur wenige da. Acht Schüler und eine Schülerin haben sich um den Tisch versammelt. Die Augen sind auf die Tafel gerichtet.

„Puh, ist das ein Wetter heute.“

Unter dem Motto Small-Talk geht es weiter. „Wie fängt man das kleine Gespräch am besten an?“, fragte Fischer in die Runde. „Zum Beispiel mit dem Wetter“, antwortet sie sich selbst. „Puh“, sagt sie und beugt sich ein wenig nach vorne. Die Betonung der folgenden Wörter untermalt sie mit Handbewegungen: „Ist das ein Wetter heute.“ „Nicht gut“, kommt es reflexartig von einem der jungen Männer. Als er merkt, dass eigentlich gar keine Antwort von ihm gefordert war, schaut er peinlich berührt auf den Tisch. Die anderen lachen, freundlich. „Die Gruppe ist wie eine große Familie, man hilft sich gegenseitig“, sagt Fischer später im Gespräch.

„In welcher Abteilung arbeiten Sie denn?“

Die Teilnehmer stammen aus Syrien, dem Irak und Eritrea. Sie wohnen nun in Talheim, Horb und Eutingen. „Am schwierigsten ist es für die, die zuvor noch keine Fremdsprache gelernt haben“, sagt Fischer. Manchmal muss man sich mit Händen und Füßen verständigen, manchmal wird auch im Internet nach Ratschlägen geklickt. Bei der Gestaltung des Unterrichts setzt sie, wie sie selbst sagt, auf die klassischen Methoden: Grammatikbuch, Tafelaufschriebe, Zeigestock, Arbeitsblätter und Plakate.

„A wie Anton. B wie Berta.“

Dieses Mal darf Ghada, die einzige Frau im Kurs, das Alphabet vorlesen. Souverän liest sie vom Blatt. Beim Q wie Quelle kommt sie kurz ins Stocken und auch das Y wie Ypsilon kommt ihr schwer über die Lippen; aber die anderen helfen. Die 44-Jährige besucht den Unterricht zusammen mit ihrem 23-jährigen Sohn Abdulazez. Die beiden kommen aus Syrien und sind in Talheim untergekommen. Mit ihren freundlichen Augen hat sie alles im Blick. Ruhig erledigt sie ihre Aufgaben, spricht langsam und schreibt fein säuberlich alles mit. Manchmal flüstert sie ihrem Nebensitzer etwas auf arabisch zu, wenn er mal nicht weiß, was die Lehrerin von ihm will. Sie ist eine der beiden Frauen, die in Fischers Kurse kommt. Die andere Frau komme aber nur selten. Sie habe kleine Kinder, die ihre Aufmerksamkeit brauchen, erklärt Fischer.

„Ich glaube, ich habe Sie schon mal gesehen.“

Gegen Ende der Unterrichtseinheit gibt es nochmals eine Unterhaltungsrunde. Dazu kommen die Kursteilnehmer auf den Sofas im Raum zusammen. Dort werden dann alltägliche Fragen geübt: „Wie heißt du?“, „Woher kommst du?“ Da sich nach einem Monat die Teilnehmer aber relativ gut kennen, kommt die Unterhaltungsrunde schnell ins Stocken.

Doch ein älterer Mann im braunen Pulli hat dann doch noch eine Frage auf Lager: „Hast du ein Auto?“, fragt er einen der jüngeren Flüchtlinge. „Ein Auto?“, wiederholen einige andere Kursteilnehmer und warten gespannt auf die Antwort des jungen Syrers. Der Gefragte schaut verdutzt, fängt dann aber an zu lachen: „Ähm, nein!?“. „Nicht hier“, sagt ein anderer und zuckt mit den Achseln.

Deutschkurse am Hermann-Hesse-Kolleg

Im Dezember starteten die Einstiegskurse für

Flüchtlinge und Asylbewerber. In vier Monaten lernen die Kursteilnehmer Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Am Hermann-Hesse-Kolleg gibt es 12 Gruppen mit bis zu 15 Kursteilnehmern, informiert Schulleiter Eden Volohonsky. Fast ausschließlich werden die Kurse von Männern besucht. Es gibt nur zwei weibliche Teilnehmer. 20 Lehrkräfte kümmern sich um die Deutschschüler. Die meisten Lehrkräfte haben in der Regel Germanistik, Philologie oder Pädagogik auf Lehramt studiert. Es gibt aber auch Lehrkräfte mit naturwissenschaftlichem Hintergrund. Die Einstiegskurse werden im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit in enger Kooperation mit dem Landkreis durchgeführt. Die Vorfinanzierung stemmt das Hermann-Hesse-Kolleg.

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Erstellt:
14.01.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 14.01.2016, 01:00 Uhr

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