Historie

Das „Jahr ohne Sommer“ und die Folgen

Herwart Kopp hat zu der Hungersnot 1816/17 Interessantes für den Raum Sulz herausgefunden und berichtet darüber am 2. August in einem Vortrag.

22.07.2017

Von Cristina Priotto

Stadtarchivar Herwart Kopp zeigt ein Gedenkblatt an die Hungerjahre 1816/17. Das Dokument war in einen Zeitungsband der „Sulzer Chronik“ aus dem Jahr 1918 geraten und fiel bei der Durchsicht heraus. Im oberen Teil ist ein Holzschnitt dargestellt, der die Einbringung des ersten Erntewagens nach dem „Jahr ohne Sommer“ zeigt. Der Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien im April 1815 hatte weltweit den Himmel verdüstert, was Ernteausfälle, eine Hungersnot und viele tote Menschen und Tiere zur Folge hatte. Bild: Priotto

Stadtarchivar Herwart Kopp zeigt ein Gedenkblatt an die Hungerjahre 1816/17. Das Dokument war in einen Zeitungsband der „Sulzer Chronik“ aus dem Jahr 1918 geraten und fiel bei der Durchsicht heraus. Im oberen Teil ist ein Holzschnitt dargestellt, der die Einbringung des ersten Erntewagens nach dem „Jahr ohne Sommer“ zeigt. Der Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien im April 1815 hatte weltweit den Himmel verdüstert, was Ernteausfälle, eine Hungersnot und viele tote Menschen und Tiere zur Folge hatte. Bild: Priotto

Weltuntergang oder Strafe Gottes? Die Menschen in Europa und Nordamerika waren ratlos, als sich der Himmel im Frühjahr des Jahres 1815 plötzlich verdüsterte und das Wetter in den Folgejahren verrückt spielte: Sintflutartige Regenfälle und Frost im Frühjahr, Schnee im Juli, sommerliche Temperaturen im Winter. Die Bauern konnten sich erst viel später als sonst im Jahr der Aussaat widmen. Die durchschnittliche Jahrestemperatur sank um drei Grad Celsius.

Der Grund lag tausende Kilometer entfernt: Anfang April ereignete sich auf Sumbawa in Indonesien der gewaltigste Vulkanausbruch der Geschichte: Der Tambora spuckte 160 Kubikkilometer Asche, Geröll und Schwefelsäure-Aerosole aus. Das Material verteilte sich in der Atmosphäre und verursachte Missernten, Hungersnöte und in der Folge zehntausende Todesfälle weltweit.

Mit dem „Jahr ohne Sommer“, wie die Menschen 1816 nannten, hat sich Herwart Kopp schon 2005 befasst. Nun stieß der Archivar aus Holzhausen vor ein paar Wochen in einem Zeitungsband der „Sulzer Chronik“ aus dem Jahr 1918 zufällig auf ein interessantes Dokument, das unter der Überschrift „Merkwürdige Vorstellung auf die große Theurung der Jahre 1816 und 1817“ den Zusammenhang von Kriegen, politischen Umbrüchen, Teuerung und Not beschreibt. Einer der Gründe, aber nicht der einzige, war die Tambora-Eruption. Wie sehr die ausgehungerten Bürger sich über das Einfahren des ersten Erntewagens im Sommer 1817 freuten, ist auf einem Holzschnitt aus dem Reutlinger Heimatmuseum im oberen Teil des Gedenkblatts dargestellt.

Wann das Schriftstück entstand, ist unklar, gedruckt wurde es jedenfalls in Letterndruck bei der Reutlinger Druckerei Kalbfell. Kopp ist aber stolz, dank Friedrich Wolber das Original zu besitzen. „Das ist eine Rarität“, weiß der Kenner. Der Bewohner der Schillerhöhe wiederum hatte den fast 100 Jahre alten Zeitungsband als Flohmarkt-Kauf bekommen.

Der 75-Jährige hat darüber hinaus Archiv-Unterlagen in Sulz und Holzhausen studiert: „Alles kam damals zusammen: Krieg und Naturkatastrophe. Das Volk war ausgehungert, die Getreidespeicher waren leer“, berichtet der Archivar bei einem Pressetermin.

Bei Herwart Kopp reifte nach weiteren Nachforschungen die Idee, über die Erkenntnisse zur 200 Jahre zurückliegenden Hungersnot einen Vortrag zu halten. In die Präsentation einfließen werden auch Details über Napoleons Russlandfeldzüge.

Den Schwerpunkt des Referats möchte der Stadtarchivar aber auf die Missernten und Hungersnöte legen. Im Holzhauser Archiv hat Kopp detaillierte Beschreibungen gefunden, welche Feststimmung beim Einfahren des ersten Erntewagens am 4. August 1817 in Sulz herrschte: „Die Erntewagen waren mit Reisig und Blumen geschmückt, und es gab einen festlichen Dankgottesdienst, bei dem die Schüler der Grundschule Holzhausen sangen“, erzählt Herwart Kopp und fügt hinzu: „Es war ein richtiges Freudenfest“.

Die Erleichterung der Menschen von damals ist gut verständlich, denn als Folge der Lebensmittelknappheit waren die Getreidepreise explodiert. Genaue Einträge zu den Verfünffachungen in Gulden und Florin hat Helmut Rosenfelders Großvater in einer Bibel verzeichnet, in die der Archivar Einblick nehmen durfte. Mit Schuld waren auch Spekulanten.

In der Not gruben die Leute Wurzeln aus und streckten Brotteig mit Sägemehl, Baumrinde und Heu. Sogar Mäuse wurden gejagt und verspeist.

König Wilhelm I. erließ ein radikales Ausfuhrverbot für Lebensmittel. Katharina von Württemberg half der hungernden Bevölkerung direkter, indem die Königin Suppenanstalten ins Leben rief. Aus alten Sulzer Akten geht hervor, dass es in der Neckarstadt Ende der 1810er-Jahre ebenfalls eine Suppenküche gab. Ein Teil des Essens dafür stammte aus dem Rosenfelder Fruchtkasten: Die Nachbarn hatten mehr Vorräte.

Wenig in Geschichtsbüchern

Als Reaktion auf die Hungerkatastrophe wanderten auch viele aus dem Oberamt Sulz aus, vor allem nach Russland oder Bessarabien, wo es einen Ort namens „Sulz“ gab oder nach Amerika.

Das erste Korn für die neue Aussaat wurde im Frühjahr 1817 verteilt. Doch mangels Futter war auch viel Vieh eingegangen, und da Pferde teils notgeschlachtet wurden, fehlte es den Landwirten zudem an Transportmitteln.

Was Herwart Kopp wundert, ist, dass wenig über die Hungerjahre in Geschichtsbüchern zu finden ist. Umso gespannter darf man auf den historischen Vortrag und die Bilderausstellung sein.

Diese kolorierte Lithographie aus dem Jahr 1817 erinnert an die Freude über die erste Ernte nach den Hungerjahren. Das Original befindet sich im Heimatmuseum in Ehingen an der Donau. Privatbild

Diese kolorierte Lithographie aus dem Jahr 1817 erinnert an die Freude über die erste Ernte nach den Hungerjahren. Das Original befindet sich im Heimatmuseum in Ehingen an der Donau. Privatbild

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22.07.2017, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 22.07.2017, 01:00 Uhr

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