Der Messias ist da

Klein-Klein ist ja auch sowas von gestern. Man muss größer denken. Beispielsweise im Fußball. Die SG Empfingen etwa dümpelt lustig in der Bezirksliga Nördlicher Schwarzwald vor sich hin. Da muss sie raus. Und rein in die Champions League. So sieht es jedenfalls Niclas Seydack: „Als ersten Schritt verkaufen wir die Namensrechte an unserem Verein und rufen den Empfinger Em-Eukal-Pokal aus. Denn, wie sage ich immer? Auch ein frischer Atem kann eine Trophäe sein.“ Seydack hat sich auch bereits vielversprechende Gedanken über die noch aufzustockende Fanszene gemacht. „Da können wir auf unsere Senioren zurückgreifen“, sagte er der SÜDWEST PRESSE. Die sängen ja immer gern. Und wo es dem hiesigen Männergesangverein ein wenig an stimmkräftigen Aktiven fehlt, sieht Seydack in Sportstättenperipherie keine Probleme: „Wir multiplizieren die Stimmen der wenigen Anwesenden einfach mit modernster Computertechnik. Dann klingt es, als ob im Empfinger Stadion 40 000 streng organisierte Ultras ihren Verein anfeuern.“ Seydack ist 27, nach eigenen Angaben visionär, charismatisch – und, wie es aussieht, der nächste Bürgermeister von Empfingen.

Bisher arbeitet er als Journalist. Als solcher verdiente er sein Geld mit Reportagen über Mario Basler im Promi-Big-Brother-Haus oder Bratwurst-Gesangswettbewerbe in Thüringen. Bis er auf dem Videoportal „Youtube“ das offensichtlich viral gehende Werbevideo des Empfinger Gemeinderats entdeckte – und seine eigentliche berufliche Bestimmung. Jetzt hat er im Online-Jugendmagazin „Vice“ ein Bewerbungsschreiben um den Schultes-Posten veröffentlicht. Und die Fußballsache ist nur ein kleiner Teil seiner Agenda.

Thema Außendarstellung der Gemeinde. Die ist bisher Seydacks Meinung nach: Mist. Er will das Label Empfingen vorantreiben. Auch rhetorisch. Also vor allem rhetorisch. „Auch wir Bürgermeister sind Verkäufer, unsere Ware ist die Lebensqualität unserer Bürger. Viel besser wäre also: ‚Empfingen empfinden!‘, weil die Leute Reime mögen. ‚Empfingen empfangen!‘, um als Technologie-Standort für die Mobilfunkbranche interessant zu wirken – oder für alle, die Kinder zeugen wollen“, schreibt Seydack auf „Vice“.

Empfingen müsse „aus dem Dornröschenschlaf der Belanglosigkeit wachgeküsst werden“. Wie geht das? Mit eigener Identität, Originalität, Einzigartigkeit, sagen Marketingexperten heutzutage. Mit Rivalität, sagt Seydack. Am besten gegenüber Horb. Er träumt deshalb von T-Shirts mit „Proud to be a Empfinger“ und „Alerta, alerta, fuck Horb am Neckar!“ drauf. Das geplante Interkommunale Gewerbegebiet hätte unter seiner Ägide daher kaum Realisierungschancen: „Ich lehne jegliche Kooperation mit Horb ab.“ Was noch? Seydack will den Leerstand in Empfingen luxussanieren und Tübinger Studenten provisionsfrei zur Verfügung stellen (soll Horb bezahlen), die Tälesee-Halle zum „kulturellen Nervenzentrum des Großraums Karlsruhe“ machen, „aggressives Guerilla-Marketing“ für das Naherholungsgebiet betreiben, wegen irreführender Werbung im Fall „Bodenloser See“ klagen – weil der nämlich gar nicht bodenlos sei –, und sich so die bundesdeutsche Medienaufmerksamkeit sichern.

Momentan lebt Seydack noch in Berlin. Er stammt aber aus dem moderat berühmten Schwartau in Ostholstein, wurde zwischen Schützen- und Feuerwehrfesten sozialisiert und kann daher „auf jeglichem Parkett des Vereinslebens glänzen“. Dialektprobleme? „Können wir mit einem Simultandolmetscher lösen.“ Einen kulturellen Dialog zwischen Empfingen und der im Vergleich dazu eher schnöden Bundeshauptstadt schließt er dennoch nicht aus, Seydack denkt da etwa an einen Rentneraustausch und eine Kooperation mit einem Berliner Seniorenstift. Vorausschauend plant er auch bereits Lösungen, falls die hauptstadtmüden Senioren alle im idyllischen Hohenzollerischen bleiben möchten: „Dann bauen wir in die Höhe.“ Deutschlands größtes Hochhaus kann er sich in Empfingen fabelhaft vorstellen.

Gut: Als Redakteur eines glitzernden Jugendmagazins bringt Seydack mäßig politische Erfahrung mit. Braucht er auch nicht: „Ich möchte mich auch weiterhin nicht mit Verwaltung beschäftigen“, sagte er gegenüber unserer Zeitung. Soll dann mal sein Beraterteam übernehmen. Seydack: „Ich nehme mir lieber Zeit für meine Bürger.“ Hände schütteln, Kuchen essen, Kaffee trinken, solche Sachen. Überhaupt, die Bürger: Da kennt der Mann keine Skrupel. „Wenn es den Empfingern hilft, bin ich auch zu Klüngel bereit.“

Mit Ferdinand Truffner hat zumindest schon ein Konkurrent etwas dagegen. Und der ist mit seinen 28 Jahren als Ortsvorsteher von Nabern ein lokalpolitisches Pfund. „Wer weiterhin ein gut gewirtschaftetes und vernünftig von Tag zu Tag denkendes Empfingen will, soll sich für ihn entscheiden“, sagt Seydack. „Wer eine Vision für Empfingen will, soll sich für mich entscheiden.“ Seydack hat seinen Gegenkandidaten bereits zum Rededuell in der Tälesee-Halle aufgefordert. Truffner hat noch nicht reagiert.