CineLatino

Ein Spion in der Familie

Der Friedensforscher-Vater von Festivalgast Ana Schulz wurde beschattet.

12.04.2019

Von Dorothee Hermann

Ana Schulz Privatbild

Ana Schulz Privatbild

In der Bundesrepublik schleuste der Verfassungsschutz V-Leute in die linke Szene ein. Zuletzt flog in Hamburg eine Polizistin auf. In Spanien setzte der Geheimdienst einen Spezialagenten namens Roberto auf den Friedensforscher Juan Gutiérrez an. Der studierte Philosoph, geschult an Marx, Hegel, Mao und Gramsci, ist der Vater der Filmemacherin Ana Schulz. Irgendwann begann sie sich zu fragen, warum Roberto in ihrer Familie derart allgegenwärtig war. Auch dann noch, als er längst als Spitzel aufgeflogen war. Doch ihr Vater teilt ihr Gefühl von Verrat offenbar nicht. Im Film sagt er: „Der andere Mensch hat immer Geheimnisse. Wenn er etwas davon preisgibt, ist das immer ein Geschenk.“

Juan Gutiérrez gründete das Friedensforschungszentrum Gernika Gogoratuz in der baskischen Stadt Guernica und war offizieller Vermittler zwischen der baskischen Untergrundorganisation ETA und der spanischen Regierung. Die Eltern der Filmemacherin waren 1983 von Hamburg nach San Sebastian gezogen, als im Baskenland die Gewalt am virulentensten war. „Roberto war ein merkwürdiger Typ. Aber damals kamen so viele merkwürdige Menschen zu uns in die Wohnung. Da war er einfach einer mehr“, sagte Schulz im Telefon-Interview.

Als Freund der Familie oder als Quasi-Onkel hat sie den Spitzel nie wahrgenommen. „Er war sehr auf meinen Vater fixiert.“ Die 39-Jährige sieht noch genau vor sich, wie Roberto in die Wohnung kam und sich ins Wohnzimmer setzte. „Immer so nach vorne gebeugt, um Juan (dem Vater) zuzuhören.“ Gutiérrez war ein gefragter Mediator, der auch in Kolumbien und Nordirland um Rat gebeten wurde.

„Die Dokumentation war auch eine Art Forschung. Wir wussten nicht, was herauskommen würde“, sagte Schulz, die sich gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Cristóbal Fernández (Co-Regie und Kamera) an die filmische Spurensuche machte. Sie fand es immer ein bisschen bizarr, mit einem Spion reden zu können. „Der Typ hat uns überrascht. Der hat uns immer außergewöhnliche Geschichten erzählt: Wie der Geheimdienst sich verhält.“ Als der Film fertig war, sei Roberto erstmal für ein oder zwei Jahre abgetaucht. Ihr Vater hingegen erfahre Anerkennung: „Er wird von Leuten auf der Straße angesprochen.“ Im Baskenland beginne man, die Geschichte der gewaltsamen Konflikte aufzuarbeiten.

Doch die beiden Männer haben mittlerweile ihre Freundschaft wieder aufgenommen. „Sie tun, als ob der Film nicht existieren würde.“ Einst sei der um einiges jüngere Agent sogar als Nachfolger ihres Vaters an dem Friedensforschungsinstitut im Gespräch gewesen. Sie vermutet, dass er einer der wenigen Menschen ist, der für ihren Vater ein ebenbürtiger Gesprächspartner ist. „Er ist ein komischer Typ. Er ist ohne Eltern aufgewachsen, hat sich selbst erzogen.“

Roberto wechselte aus dem eher autoritären Apparat der spanischen Guardia Civil in den Geheimdienst. „Er ist politisch nicht unbedingt rechts. Er wurde nur in autoritären Strukturen sozialisiert“, so Schulz. Wie sich eine so enge Beziehung zu einem reflektierten Linken wie ihrem Vater entwickeln konnte, was die beiden Männer aneinander fasziniert, „das wissen nur sie“.

Zum Artikel

Erstellt:
12.04.2019, 19:01 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 31sec
zuletzt aktualisiert: 12.04.2019, 19:01 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.