Weitingen · Zeitreise

Ein altes Fest auf dem Dorf

Mit der Sichelhenke wurde früher der Abschluss der Getreideernte gefeiert. Die mühsame Arbeit von Tagen erledigt heute in Minuten der Mähdrescher.

10.08.2019

Von Hermann Nesch

Verdiente Mittagspause auf dem Ernteacker. Erweckt diese Ruhe und Beschaulichkeit die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“?

Verdiente Mittagspause auf dem Ernteacker. Erweckt diese Ruhe und Beschaulichkeit die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“?

Zurzeit herrscht Hochbetrieb auf den Feldern, und es staubt aufgrund der lang anhaltenden Trockenheit, wenn die Mähdrescher sich durch die Getreidefelder fressen. Es ist Erntezeit – für nur noch wenige Landwirte mit großen Flächen. Vor über 100 Jahren war das ganz anders. Kleine Handwerksbetriebe und vor allem die Landwirtschaft prägten einst das Dorf.

Der bäuerliche Jahreslauf und der Kirchenkalender bestimmten den Rhythmus des Lebens. Hauptarbeit der bäuerlichen Arbeit und Höhepunkt des Jahres war die Ernte im ausgehenden Sommer, deren Abschluss mit der „Sichelhenke“ gefeiert wurde. Doch vor dem Preis des Segens stand die Mühe. Mit der Sichel – in buckliger Haltung – und später mit dem „G’schirrle“ musste das Getreide mühsam geschnitten werden.

Daran erinnert die „Sichelhenke“. Die Sichel als Erntegerät wurde nicht mehr gebraucht und konnte aufgehängt werden. Die wichtigste Arbeit, nämlich das Getreide, nicht nur für das tägliche Brot, unter Dach und Fach zu bringen, war geschafft. Und das durfte wirklich gefeiert werden, in der Regel als Hoffest. Oft wurde das Fest von Vereinen begangen. In Weitingen bis in die 1950er- und 1960er-Jahre hinein hauptsächlich vom Männergesangverein „Liederkranz“ im schönen großen Baumgarten des Gasthauses „zum Löwen“.

Der 1980 gegründete Förderkreis „Weitinger Hoamet“ hat diese uralte Tradition wieder aufgenommen und feiert seither die Sichelhenke zusammen mit seinen im selben Jahr eingeführten „Weitinger Heimattagen“. Hier waren von Anfang an Vorführungen mit früheren Tätigkeiten aus dem dörflichen Leben mit eingebaut, um an die mühsame Arbeit zu erinnern und sie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Bündel müssen exakt sein

Die Getreideernte, wie überhaupt die landwirtschaftliche Arbeit, war eine mühsame Angelegenheit. Zunächst wurde das Getreide seit seinem Anbau in grauer Vorzeit mit der Sichel und später mit der Sense geschnitten. Meist von den Männern und Knechten, geschnitten, während die Frauen und Mägde das abgelegte Schnittgut mit Garbenseilen zu Büscheln zusammenband. Diese wurden dann zum Trocknen aufgestellt.

Mit den ersten Traktoren und den Bindemähern, der bereits gebundene kleine „Gärble“ auswarf, wurde es schon wesentlich einfacher. Aber trotz maschineller Unterstützung waren noch sehr viele Hände notwendig, und es floss sehr viel Schweiß, bis das Getreide abschließend in den schweren Säcken auf die Bühne hoch getragen war. Mähen und Dreschen aber waren immer noch getrennte Arbeitsvorgänge.

Je nach Witterung und Feuchtigkeit wurden die Garben dann mit den Ähren nach innen auf einen Leiterwagen geladen, wobei schon darauf geachtet wurde, dass die Bündel „sauber und exakt“ sitzen. Da wurde auch Wert auf „eine schöne Form“ gelegt. „Schö‘ g’lada“ hatte dabei eine andere Bedeutung als der Zustand am Abend nach Vesper mit Bier und Most.

Schlecht geladene Arbeit wurde schon auch mit entsprechenden Bemerkungen kommentiert. Nur wenn wetterbedingt Eile geboten war, wurde ein Auge zugedrückt. Der erste eingefahrene Erntewagen wurde sogar geschmückt, so groß war die Freude.

War die Ernte erst einmal ins Trockene, unter Dach und Fach, in den Barnde der Scheunen gebracht, war die Arbeit damit noch nicht zu Ende. Es begann die Zeit des Dreschens. Dies geschah mit den Dreschflegeln auf den Lehmböden der Scheunen oder im Hof. Dabei galten „feste Regeln mit den Flegeln“, um die Arbeit erfolgreich ohne Dachschäden und andere körperliche Verletzungen zu Ende zu bringen.

So gab es Versle, so genannte Dreschertakte oder Dreschersprüche für verschiedene Gruppengrößen. Als Beispiel soll einer „Vierer“ genannt sein: „Tua Schmalz en d‘ Supp, tua Schmalz en d‘ Supp“. Aber auch Ledige oder der Schultes wurden durch Sprüche „taktvoll“ gehänselt. Insgesamt war die Arbeit eine Herausforderung an Konzentration, Rhythmusgefühl und körperlicher Anstrengung.

Tagwerk, das den Namen verdient

Später wurde diese Arbeit abgelöst von Dreschmaschinen, die zunächst von so genannten Lokomobilen und später durch elektrischen Strom angetriebenen Dreschmaschinen. Eine solche große und schwere stellte 1941 die einstige Spar- und Darlehenskasse als genossenschaftliche Anschaffung für ihre Mitglieder zur Verfügung, die von starken Pferden dann von Scheune zu Scheune gezogen wurde.

An all diese Arbeit erinnert noch wenig. Heute hat in der Landwirtschaft längst „Hightech“ Einzug gehalten. So erledigt ein riesiger Mähdrescher, der aus 40 000 Einzelteilen besteht (!), in wenigen Minuten die Arbeit, die über mehrere Tage von vielen Händen getan werden musste. Ein Tagwerk, das seinen Namen zu Recht so führte, entsprach in etwa einer Fläche von 2500 bis 3600 Quadratmetern. Um diese Fläche zu bearbeiten, benötigte ein ausgewachsener Mann einen Tag.

Bei vielen älteren Menschen war beim Auftauchen der ersten Mähdrescher in den 1950er-Jahren die Verwirrung komplett. Die ersten waren genossenschaftliche Anschaffungen. Heute erledigt die Lohndrescherei von Rainer Raible mit seinem „Fuhrpark“ alleine die Arbeit in Weitingen und der weiteren Umgebung. Am Ende fragt man sich, warum sich heute so viele Menschen nach der guten alten Zeit zurücksehnen. Diese schwere körperliche und schweißtreibende Arbeit würde sich heute niemand mehr gerne antun und sie auch nicht durchstehen.

Höhepunkt des Jahreslaufs der bäuerlichen Arbeit war nach der Getreideernte das Dreschen. Eine Dreschgesellschaft von 1928 der ehemaligen Weitinger Zehntscheuer erledigte dies noch mit den Dreschlegeln.Repros: Hermann Nesch

Höhepunkt des Jahreslaufs der bäuerlichen Arbeit war nach der Getreideernte das Dreschen. Eine Dreschgesellschaft von 1928 der ehemaligen Weitinger Zehntscheuer erledigte dies noch mit den Dreschlegeln.Repros: Hermann Nesch

Als Wunder der Technik galt in den 1930er-Jahren das dampfende „Lokomobil“, mit dem die Dreschmaschine angetrieben wurde.

Als Wunder der Technik galt in den 1930er-Jahren das dampfende „Lokomobil“, mit dem die Dreschmaschine angetrieben wurde.

Erleichterung brachte die Mähmaschine, die später vom Bindermäher abgelöst wurde.

Erleichterung brachte die Mähmaschine, die später vom Bindermäher abgelöst wurde.

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Erstellt:
10.08.2019, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 10.08.2019, 01:00 Uhr

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