Bordell mit 25 Zimmern

Eine Bauvoranfrage beunruhigt die Bewohner westlich des Freiherr-vom-Stein-Wegs

„Du Alfons, bei Dir kommt ein Puff hin.“ So erfuhr Alfons Vollmer das, was seit Wochenanfang immer mehr Anwohner des Freiherr-vom-Stein-Wegs beunruhigt und zum Widerstand ermuntert. Vielleicht können Stadt und Gemeinderat helfen, sicher könnten es die Gebäudeeigentümer des Hauses 15.

14.04.2016

Von Gert Fleischer

Schnell fahren dürften die Freier nicht auf der Pfeiferstraße in Rottenburg (vorn), bevor sie in den Freiherr-vom Stein-Weg abbiegen. An dem reihen sich die Mehrfamilienhäuser. Für das weiße Gebäude rechts suchen die Eigentümer neue Mieter – vielleicht einen Bordellbetreiber, vielleicht auch die Berufsschule. Bild: Fleischer

Schnell fahren dürften die Freier nicht auf der Pfeiferstraße in Rottenburg (vorn), bevor sie in den Freiherr-vom Stein-Weg abbiegen. An dem reihen sich die Mehrfamilienhäuser. Für das weiße Gebäude rechts suchen die Eigentümer neue Mieter – vielleicht einen Bordellbetreiber, vielleicht auch die Berufsschule. Bild: Fleischer

Rottenburg. Die Stadtverwaltung informierte die unmittelbaren Angrenzer des Hauses Freiherr-vom-Stein-Weg 15 formell mit einer Nachbarbeteiligung, geschrieben am vergangenen Freitag. „Nutzungsänderung eines Gewerbegebäudes in ein Bordell mit 25 Gewerbeeinheiten und einer Dienstwohnung / Bauvoranfrage“ steht unverblümt als Zweck da. Bauvoranfrage klingt harmlos. Wird sie von der Baurechtsbehörde positiv beschieden, hat der Antragsteller Anspruch darauf, auch die Baugenehmigung zu bekommen, sofern er nicht vom Vorbescheid abweicht.

Sigrid Benolli wohnt in der Martin-Luther-Straße, also ganz in der Nähe. Sie ist Architektin und ging als Erste in die Offensive – wissend, dass die Zeit zu reagieren knapp ist. Gestern Abend saßen etliche Nachbarn bei Alfons Vollmer zusammen und berieten, wie sie weiter vorgehen.

25 Gewerbeeinheiten, sprich 25 Zimmer, ist nicht wenig für ein Kleinstadt-Bordell. Für Benolli und ihre Nachbarn sei klar: „Das wollen wir nicht hier.“ In der Siedlung lebten Familien mit vielen Kindern. Ein Bordell bringe – abgesehen vom eigentlichen Geschäftszweck – auch Autoverkehr und noch mehr Männerbesuch ins Quartier. Das Gewerbegebäude hat einen großen Parkplatz. Bis vor Kurzem waren in dem Haus Filialen der Hoval GmbH (Raumklimaprodukte) und Biral (Präzisionspumpen). Seither steht es leer, nur im Untergeschoss zog ein Elektrohandwerksbetrieb ein.

Sigrid Benolli rief gestern bei der Stadt an und war danach etwas ruhiger. Sie erfuhr, dass der Gemeinderat am kommenden Dienstag (Sitzungsbeginn 18.45 Uhr) die Änderung des Bebauungsplans „Siebenlinden I“ beschließen soll, und , wenn er das tut, anschließend eine Veränderungssperre. Das zeigt, dass die Stadt der Bauvoranfrage nicht zustimmen möchte.

Eine andere Frage ist, ob sie es muss. Gültige Bebauungspläne geben Bauherren und Nutzern im Allgemeinen das Recht und den Anspruch auf eine Genehmigung, sofern alles in Übereinstimmung mit den Festsetzungen des Bebauungsplans ist. Lehnt das Baurechtsamt willkürlich ab, wird die Stadt möglicherweise schadensersatzpflichtig.

Dass es zur jetzigen Situation kam, verdankt sich einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom März 2012. „Ein Bordellbetrieb, in dem keine Prostituierten wohnen, ist im Gewerbegebiet allgemein zulässig und keine dort nur ausnahmsweise zulässige Vergnügungsstätte“, schreibt das Gericht auf seiner Homepage. „Spiegel online“ formulierte es damals so: „Nur weil sich mancher in Bordellen vergnügen will, sind die Etablissements noch lange keine Vergnügungsstätten. Das hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entschieden. Es handle sich um einen Gewerbebetrieb – und der sei in Gewerbegebieten nun einmal zulässig.“

Die Stadt Rottenburg hatte, als sie den Bebauungsplan „Siebenlinden I“ beschloss, Vergnügungsstätten ausgeschlossen – auch, um Freudenhäuser oder Spielhöllen fernzuhalten. Mit dem Gerichtsurteil änderte sich die Lage schlagartig. Trotzdem sagte Erster Bürgermeister Volker Derbogen gestern Abend auf die Frage, ob die städtische Baurechtsbehörde des Bordell zulassen werde: „Das ist nicht unsere Absicht.“ Aber die Stadt müsse aufpassen, dass kein Vertrauensschaden entsteht und sie die Eigentümer finanziell entschädigen muss.

Eigentümer ist ein Ehepaar aus Pliezhausen, beide Rentner. „Um Gottes Willen, wir wollen kein Bordell“, rief die Frau gestern Abend als Erstes ins Telefon, als das TAGBLATT anfragte. Das wäre nur das letzte Mittel, um zu verhindern, dass die beiden ihr Wohnhaus von den Banken gepfändet bekommen. Ihr Verwalter aus Rottenburg habe sie auf diese Fährte gesetzt.

Mit den beiden Vormietern hätten sie einen Riesenverlust gemacht, sagte die Eigentümerin. Das Ehepaar habe das Firmengebäude saniert und mit beiden Unternehmen Fünfjahresverträge geschlossen. Kurze Zeit danach hätten sich die Firmen mit Verweis auf Insolvenz ihrer Rottenburger Filialen aus den Verträgen verabschiedet.

Seither versucht das Ehepaar – der Mann ist Pilot im Ruhestand – die Liegenschaft zu vermieten. Der Landkreis habe Interesse – einmal für Flüchtlingswohnungen, zum andern für die boomende, aber beengte Rottenburger Berufsschule. Ob die Schule einziehen kann, hänge von der Statik ihres Hauses ab, sagte die Frau. Jedenfalls sei die Bauvoranfrage derzeit eher pro forma gedacht. Sollten die Rentner aber keine Mieter finden und ihre eigene Existenz gefährden, würden sie auf den Rat ihres Verwalters zurückgreifen.

Prostitution in Rottenburg

Käufliche Liebe ist nichts Neues in Rottenburg. Früher gab es einzelne Prostituierte beim Kapuzinertor. Seit vielen Jahren existiert das „Penthouse 55“ an der Siebenlindenstraße, gleich hinterm „Krokodil“. Das Penthouse 55 hat nach eigenen Angaben drei Sexarbeiterinnen, die wöchentlich wechseln. Als Inhaber fungiert eine G.H. Zimmervermietung. Laut Bürgermeister Derbogen läuft dieses Etablissement nicht als Bordell. Ein Bordell sei ein Betrieb, der geführt wird, etwa durch eine/n Betriebsleiter/in.

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Erstellt:
14.04.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 15sec
zuletzt aktualisiert: 14.04.2016, 01:00 Uhr

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