Schönsein alleine reicht ihr nicht

Ex-Model Kera Rachel Cook verabschiedete sich vom Schönheitswahn und will nun andere Akzente setzen

Kera Rachel Cook ist 29 Jahre alt und hat sich vor einiger Zeit komplett neu erfunden. Sie selber würde es vermutlich anders nennen. Eher, dass sie sich endlich gefunden hat.

08.08.2017

Von Ulla Steuernagel

Ungeschminkt lebt sie glücklicher: Kera Rachel Cook. Bild: Steuernagel

Ungeschminkt lebt sie glücklicher: Kera Rachel Cook. Bild: Steuernagel

Ihr früheres Leben hat sie abgestreift. Seit ihrem 15. Lebensjahr litt sie an Essstörungen. In diesem Alter nahm sie auch ihren ersten Modelvertrag an.

Über die Nöte und Ängste, die sie all die Jahre begleiteten, hat die in Pfrondorf lebende Frau ein Buch im Eigenverlag veröffentlicht. Es trägt den Titel: „Hässliches Entlein war gestern“. Der Titel deutet an, wie sich so eine Model-Existenz von innen anfühlt. All diejenigen, die für andere der Inbegriff von schön sind, sind es für sich selber selten bis nie. Sie sind weder zufrieden mit ihrem Äußeren noch zufrieden mit sich, meint Cook. „Ich bin hundertprozentig überzeugt, dass man als Model nicht glücklich werden kann.“ Ständiges Diäthalten, ständiges Taxiertwerden, die ständige Unsicherheit: Bin ich schön genug? Oder: Warum wurde ich nicht zum nächsten Foto-Shooting eingeladen?

Dabei hatte sich Cook schon vor etlichen Jahren vom Schlankheitswahn verabschieden wollen. Mit Anfang 20 wechselte sie in das Plus-Size-Fach, das übrigens schon bei Kleidergröße 38 beginnt. Nach diesem Entschluss habe sie sich erst einmal eine Portion Nudeln gekocht, erinnert sich die junge Frau. Doch wer denkt, es gäbe ein entspanntes Leben und Schlemmen als Übergrößen-Model, muss sich nur den hämischen Voyeurismus um die RTL 2-Suche nach dem „Curvy Supermodel“ anschauen. Oder sich anhören, wie viele Stunden sogenannte vollschlanke Models dafür opfern, ihre Kurven auf Form zu bringen. Auch Cook musste bald am eigenen Leib lernen: Selbst mit größerer Konfektionsgröße entkommt man einer Essstörung nicht.

Zwölf lange Jahre drehte sich Cooks Alltag ums Essen. Ihre Wünsche und Sehnsüchte kreisten ums Schlanksein. Nur schön und schlank könne man sie lieben, so ihr Credo. Komplimente über ihr Aussehen drangen nicht zu ihr durch. „Ich sah mich immer nur als ein fettes hässliches Monster!“ Dabei erntete sie schon als Jugendliche Komplimente, schon ihre Größe wegen, heute misst sie 1,86 Meter. Ihre Mutter habe sie im Spaß immer „mein kleines hässliches Entlein“ genannt. Doch nicht die Mutter trieb sie ins Modelbusiness, es sei der eigene Wunsch gewesen: „Meine Mutter ist absolut uneitel.“

Da Cook als Tochter einer alleinerziehenden und berufstätigen Mutter viel Zeit mit sich alleine verbrachte, merkte auch erst mal niemand, dass ihr Essverhalten nicht normal war. Irgendwann habe sie der Mutter dann die Fressattacken gestanden. Da war ihr schon jedes Sättigungsgefühl abhanden gekommen und ihr ganzer Stoffwechsel durcheinander. Ihre Essstörung war eine Bulimie ohne Erbrechen, auch „Binge Eating“ genannt. In schlimmsten Phasen und unglücklichsten Zeiten konnte sie in zwei bis drei Stunden, wie sie aufzählt, eine große Pizza, einen Teller Käsetortellini, sechs Chicken Wings, sechs Pizzabrötchen, einen halben Liter Eis, einen Riesenmuffin und dazu anderthalb Liter Cola zu sich nehmen. Und das Gefühl, ein kompletter Versager zu sein, wurde immer stärker. Sie fragte sich sogar: „Warum kann ich nicht einfach magersüchtig sein?“ Eine absolute Kontrolle beim Essen erschien ihr beneidenswert.

Schon als Teenie in Böblingen modelte Cook. Mit 18 Jahren nahm sie dann an Miss-Wahlen teil. „Ich war schon sechs Jahre nicht ins Freibad gegangen, weil ich mich nicht im Badeanzug zeigen wollte, aber dann stand ich auf einmal mit Badeanzug auf der Bühne.“ Vor solchen Auftritten hungerte sie sich dann rabiat die Kilos runter. Als sie sich mit 20 nach einem ersten stationären Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik in Tübingen bei „Germany’s Next Topmodel“ (GNTM) bewarb, arbeitete sie sich vorher 20 Kilo ab. Doch mit ihren 66 Kilo bei 1,86 galt sie einfach als zu dick. Bei GNTM flog sie raus.

Nun ging es für sie erst einmal wieder abwärts und auf der Waage aufwärts. Es folgte ein psychisches Tief und der Entschluss, als Model für größere Größen zu arbeiten – mit viel Erfolg und Agenturen in Holland, England, Frankreich und Italien. „Trotzdem war ich unglücklich.“ Sie sah sich auf ihr Aussehen reduziert, mehr als „nett lächeln und Klappe halten“ war nicht gefragt. Ihren eigentlichen Berufswunsch Schauspielerin hatte sie schon nach einem missglückten Anlauf in Hamburg aufgegeben. Seit 2012 studierte sie in Tübingen Allgemeine Rhetorik und Internationale Literatur, inzwischen hat sie ihren Master in Literatur- und Kulturtheorie gemacht. Heidi Klums Show wurde zum Thema ihrer Masterarbeit.

Es waren viele Therapien und noch ein weiterer Klinikaufenthalt nötig, bis sie so viel Selbstbewusstsein und, wie sie sagt, „Eigenliebe entwickeln konnte“, dass sie ihre Essstörung nun als überwunden betrachtet. Nachhaltig geheilt aber ist sie vor allem von der Modelbranche. Noch während des Studiums machte sie eine Ausbildung zum Fitnesscoach und lernte dabei, auch an sich selber andere Gesundheitsmaßstäbe anzulegen.

Die Waage schaffte die junge Frau ab: „Die Zahl sagt doch nur, wie viel ich wiege, nicht, ob ich gesund bin.“ Sie selber fühlt sich mittlerweile gesund. Manchmal komme es vor, dass sie zuviel esse, aber das sei ganz im normalen Rahmen.

Die Schönheitsideale, denen sie so lange nachhechelte, konnte sie aufgeben. Sie schminkt sich nicht mehr, zieht sich leger an und findet inzwischen, dass sie mehr zu bieten hat als gutes Aussehen. Sie hält Vorträge an Schulen über ihren Irrweg und sie möchte andere Mädchen vor einer ähnlichen Karriere bewahren. Insofern ist immer noch Model, aber eher Role-Model.

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Erstellt:
08.08.2017, 19:33 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 42sec
zuletzt aktualisiert: 08.08.2017, 19:33 Uhr

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