Horb · Das Mittwochs-Interview

Timo Benitz: „Man kämpft gegen Windmühlen an“

LG-Farbtex-Läufer Timo Benitz spricht im Interview über seine Achillessehnen-OP und über seinen Traum, bei den Oympischen Spielen teilzunehmen.

30.09.2020

Von Sascha Eggebrecht & Milos Kuhn

Rechnet mit dem Deutschen Leichtathletikverband ab: 1500-Meter-Spezialist Timo Benitz. Archivbild: Ulmer

Rechnet mit dem Deutschen Leichtathletikverband ab: 1500-Meter-Spezialist Timo Benitz. Archivbild: Ulmer

SÜDWEST PRESSE: Herr Benitz, Sie haben sich im Juni an der Achillessehne operieren lassen. Was gab es da für Probleme?

Timo Benitz: Links war ich überlastet und rechts hatte ich dicke Verkalkungen, weswegen massive Probleme beim Laufen aufgetreten sind, die immer schlimmer wurden. Die Reizung an den Schleimbeuteln kamen von der Verkalkung, das wurde dann auch nicht besser. Wenn dieses Jahr aber alles normal gewesen wäre, hätte ich mich mit Cortison durchspritzen lassen. Aber dann habe ich die Verkalkungen rausmachen lassen.

Wenn Olympia gewesen wäre, hätten Sie sich also mit Cortison durchspritzen lassen. Haben Sie da keine Angst?

No risk, no fun. Ich habe 2007 angefangen, mit der Absicht Profi zu werden. Das scheiß Olympia fehlt aber einfach noch. Das wäre, wie wenn du, 100 Meter vor der Spitze des Mount Everest umdrehst. Du willst das Ziel erreichen und hast so viel geopfert. Ob ich nochmal vier Jahre warten kann, weiß ich nicht. Ich bin in den vergangenen Jahren doch sehr verletzungsanfällig geworden.

Ist es Ihnen gelegengekommen, dass die Spiele verschoben worden sind?

Mir wäre es lieber gewesen, wenn die Spiele stattgefunden hätten. Ich glaube nämlich auch nicht, dass sie im kommenden Jahr stattfinden. Außerdem will ich mich nicht von einem so kurz entwickelten Impfstoff impfen lassen, auch wenn ich absolut kein Impfgegner – aber man kann die langfristigen Schäden nicht abschätzen.

Gehen Sie davon aus, dass die Spiele nochmal um ein Jahr verschoben werden oder ausfallen und erst wieder in vier Jahren stattfindet?

Man hat im Herzen immer die kleine Hoffnung, dass es schon jetzt stattfindet. Ich kann es mir aber aufgrund der hohen Infektionszahlen nicht vorstellen. Klar, ich finde manche Maßnahmen etwas übertrieben. Aber wenn es ältere Leute trifft, die so zwei oder drei Jahre länger leben können, lohnt es sich auf jeden Fall, das abzublasen. Und bevor die Spiele nochmal um ein Jahr verschoben werden, fallen sie aus.

Wäre der Olympia-Traum dann gestorben?

Vermutlich schon. Ich wäre in vier Jahren schon 32 und habe andere Ziele in meinem Leben. Ich studiere Luft- und Raumfahrttechnik und will dort auch coole Projekte verfolgen. Ich glaube, ich bin im Herzen auch mehr Student als Sportler.

Falls es nächstes Jahr funktionieren sollte, dass Olympia stattfindet, kann man sich ja über zwei Arten qualifizieren: Über Zeit und das Ranglistensystem. Wie funktioniert das?

Das ist von Disziplin zu Disziplin anders. Wir müssen zum Beispiel fünf Rennen reinbringen, für die du dann Punkte bekommst. Einmal dafür, dass du das Rennen gelaufen bist und einmal Platzierungspunkte, sprich, der Erste bekommt mehr Punkte als der Letzte. Die Punkte für die Platzierung hängen aber von der Wertigkeit des Wettkampfes ab. Das wird dann letztlich hochgerechnet und von den fünf besten Rennen wird der Mittelwert bestimmt. Da steh ich aufgrund der WM 2018 ganz gut da.

Wenn Sie sagen, sie können auf das Rad steigen. Wie sehen Sie den Heilungsverlauf?

Ich kann normal gehen, habe aber noch ein paar Schmerzen. Ich war ein bisschen naiv und dachte, dass ich das in sieben oder acht Wochen schaffe. Aber ich kann immer noch nicht rennen und muss geduldig sein. Ich mache eben den Ausdauersport und spezielle Übungen für den Fuß, um mich schnell zurückzufinden. Es geht ja eher um die organische Belastungsfähigkeit.

Und ab wann könnten Sie dann ihre Bestzeiten wieder laufen?

Das kann man nicht absehen. Das Ding ist, dass ich wegen meines höheren Alters so ans Laufen angepasst bin, und es dann eigentlich schneller gehen sollte. Ich trabe auch liebe leicht als zu gehen.
Mit gutem Training werde ich das also bestimmt schnell hinbekommen, muss es aber ja auch nicht übertreiben.

Haben Ihr Trainer und Sie schon einen Fitnessplan ausgetüftelt?

Noch nicht. Ich muss, wenn ich gesund bin, schauen, auf welchem Level ich gerade stehe und was es zu verbessern gibt. Ich denke nicht, dass Hallenwettkämpfe stattfinden, was gut ist. Aber dann muss man sich reintasten. Man muss abwägen, wenn es so weit ist.

Sie sind ja mehrfacher 1500-Meter-Meister, trotzdem bekommen Sie keine Sportförderung. Wie ist sowas möglich?

Ich habe vergangenes Jahr von meinem Bundestrainer einen Anruf bekommen, in dem er gefragt hat, ob ich eine Einladung, in den Bundeskader bekommen habe. Ich habe ‚nein‘ gesagt, er daraufhin „scheiße, dann bist du wahrscheinlich nicht drin.“ Das haben die wahrscheinlich von oben entschieden. Ich habe bis heute keine richtige Begründung dafür.

Sie haben ja auch laufende Kosten. Wie läuft das ab?

Wenn ich beim Meeting bin, werden Flug und Hotel bezahlt. Aber bezahlt werde ich kaum. Manchmal bekomme ich 500 Euro Antrittsgeld. Das ist dann aber schon das Höchste der Gefühle.

Wovon leben Sie dann?

Also ich schreibe gerade meine Masterarbeit, habe einen 450-Euro-Job, dann habe ich noch Supporter und kleinere Sponsoren. Ich habe zum Glück noch ein bisschen angespart, sonst müsste ich ganz schön krass gucken, wo ich bleibe. Meine Eltern helfen mir natürlich auch. Aber dennoch: Ich komme auch alleine durch und bin froh darüber. Das ist allerdings auch ein Mitgrund, warum Olympia 2024 für mich nicht infrage kommen würde. Man muss das so sehen: Als 1500-Meter-Läufer hast du mit gutem Ausrüster ein Jahreseinkommen von 15.000 bis 20.000 Euro. Jetzt zahle ich Wohnung, Krankenkasse, Versicherungen, Auto – da bleibt nicht viel über. Im Gegenzug habe ich ein Ingenieurstudium, indem ich brutto vermutlich 50.000 bis 60.000 Euro habe. Da ist die Schere zu groß. Ich muss auch aus diesem Hintergrund aufhören.

Dann muss Sie ja umso mehr ärgern, dass im Fußball schon Amateur-Kicker ihre tausend Euro bekommen.

Mein Arzt ist Teamarzt von Borussia Mönchengladbach. Dann habe ich eine Viertelstunde mit Spieler Lars Stindl gequatscht, und wir hatten es auch vom Finanziellen. Seine Augen sind ganz groß geworden, ich glaube, er konnte nicht fassen, dass man als Top-Athlet so wenig Geld bekommt. Ich glaube, man darf das den Fußball-Spielern aber nicht übel nehmen. Wenn es der Verein zahlt, zahlt er es. Ich würde mir also nicht über die Spieler, sondern über den Verein Gedanken machen. Ich bin da auf alle Fälle nicht neidisch.

Könnten Sie sich nach der aktiven Karriere auch eine Trainertätigkeit vorstellen?

Was Jörg ‚Jack‘ Müller in Dornstetten hat, ist kein Verein, sondern eher eine Familie. Das ist das Tolle am Sport, ich habe viele Freunde gefunden. Wenn ich das machen sollte, dann aus diesem Grund. Das Problem ist, man hat als Athlet gelernt, wie viele falsche Leute im Verband drin sind und was für Machenschaften da am Laufen sind. Das ist ein leidiges Thema. Jack hat nicht mal eine Akkreditierung für die EM in Berlin bekommen. Da kämpft man gegen Windmühlen an. Die Bundestrainer sind sehr hörig und das, was der Cheftrainer sagt, wird gemacht. Da hast du mit so vielen Machenschaften zu kämpfen, das macht keinen Spaß. Um auf die Frage zurückzukommen: Wahrscheinlich eher nicht.

Wo muss man da ansetzen, um die Probleme im Verband zu lösen?

Ich habe einen Radikalplan. Ich würde viele Bundestrainerstellen wegrationalisieren. Die sind sehr teuer. Ich habe in den vielen Jahren gesehen, dass Bundestrainer eigentlich nur Heimtrainer für ihre Athleten sind. Sie sagen: ‚Mein Trainingslager ist das offizielle Bundestrainingslager und nur, wer mitkommt, bekommt auch Geld. Dann nehmen sie aber ihren ganzen Verein mit und ich möchte nicht wissen, wie viele Athleten da über andere Bundeskaderathleten abgerechnet wurden. Das Geld, das man da rausschleudert, ist eigentlich komplett verbrannt. Der Bundestrainer ist quasi nur eine Kontrollperson in der Leichtathletik. Der hat keinen Einfluss in mein Training. Für was also? Durch wie vielen gestrichenen Stellen können wir dann die Heimtrainer mitnehmen. Das ist eine Möglichkeit. Ich bin nicht umsonst so oft Deutscher Meister geworden, weil Jack dabei war.

Das scheint sehr an Ihnen zu kratzen.

Ja, es sind vor allem die Athleten, die nicht in einer Sportfördergruppe sind und nicht beim Bundestrainer trainieren. Diese Athleten fallen hinten runter. Das machen nur wenige, aber die, die es machen, sind auch auf einmal ewig im Bundeskader.

Betrifft das die Dornstetter Gruppe besonders, oder ist das ein allgemeines Phänomen?

Das ist ein allgemeines Phänomen. Alle Athleten, die nicht in den Genuss vom DLV kommen, fallen darunter. Marcel Fähr, Läufer aus Schorndorf, wurde auch aus dem Kader gekickt. Wenn du keine Connections zum Bundestrainer hat. Ich hatte auch mal ein Gespräch mit meinem Bundestrainer und mir wurde angeraten, von Jack wegzugehen. Das hat mir schon aufgestoßen. Wenn mein Ersatz nicht gefunden worden wäre, wäre nämlich die Stelle des Bundestrainers gestrichen worden. Das ist eine Art, die geht gar nicht.

Am Anfang des Gesprächs haben Sie gesagt, Sie brauchen noch die Olympischen Spiele. Fallen diese nun aus, ist Ihre Karriere dann trotzdem vollkommen?

Klar, fehlt die Sache. Aber ich denke nicht, dass ich darüber nachdenke. Ich habe es 2016 um zwei Zehntel verpasst. Wenn es jetzt an der Corona-Sache liegt, ist es eben so.

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Erstellt:
30.09.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 40sec
zuletzt aktualisiert: 30.09.2020, 01:00 Uhr

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