Kriminalitätsbericht: Die gefühlte Unsicherheit

Im Kreis Tübingen stieg die Zahl der Straftaten, die Aufklärungsquote sank

Am Freitag stellte das Polizeipräsidium Reutlingen die Kriminalitätsstatistik für 2015 vor. Im Kreis lebt es sich immer noch vergleichsweise sicher, so das Fazit der Beamten. Um der gefühlten Unsicherheit der Bürger Rechnung zu tragen, will die Polizei aber auch dort häufiger Präsenz zeigen, wo die Fallzahlen eigentlich niedrig sind. Entgegen dem Landestrend nahmen im Kreis Tübingen die Einbrüche jedoch zu.

23.04.2016

Von Jonas Bleeser

Die Polizei will künftig auch dort verstärkt Streife gehen, wo keine Kriminalitätsschwerpunkte sind. Archivbild: Metz

Die Polizei will künftig auch dort verstärkt Streife gehen, wo keine Kriminalitätsschwerpunkte sind. Archivbild: Metz

Tübingen/Reutlingen. Für den Gesamtbereich des durch die Polizeireform 2014 neu gebildeten Polizeipräsidiums Reutlingen vermeldete Polizeipräsident Hans-Dieter Wagner gestern gute Zahlen: Zwar sei die Zahl der bekannten Straftaten in den Landkreisen Esslingen, Reutlingen und Tübingen leicht gestiegen, aber von den zwölf Präsidien im Land habe man die viertniedrigste Kriminalitätsrate. „Insgesamt ist es eine deutlich entspannte Sicherheitslage“, sagte Wagner, „Man lebt hier sicher.“ Ziehe man die Zahl der Verstöße gegen das Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetz ab, die um 1249 Fälle zunahmen, seien die Fallzahlen sogar um 0,5 Prozent zurück gegangen.

Große Unterschiede

zwischen den Kreisen

Für die Statistiker der Polizei gibt es zwei besonders wichtige Kennzahlen: Die so genannte Kriminalitätsbelastung (die Anzahl der Straftaten pro 100000 Einwohner) und die Aufklärungsquote. Und da gibt es in den Landkreisen deutliche Unterschiede: Bei der Kriminalitätsbelastung lag der Kreis Tübingen 2015 mit 4503 Straftaten (2014: 4314 Fälle) deutlich unter dem Landesschnitt von 5761 Fällen, und steht immer noch etwas besser da als der Nachbarkreis Reutlingen (4593 Fälle). Bei der Aufklärungsquote jedoch bleibt die hiesige Polizei unter dem Durchschnitt: Von den insgesamt 9833 erfassten Delikten wurden 55,5 Prozent aufgeklärt (2014: 56,5 Prozent), im Land waren es 60,1 Prozent. Im Vergleich steht der Kreis Reutlingen da mit 60,6 Prozent besser da. Besonders schlecht sieht es in Tübingen bei den Einbrüchen aus (siehe Kasten).

Die so genannte Straßenkriminalität, also Körperverletzungen, Raub oder Sachbeschädigung, stagniert laut Wagner im Präsidiumsbereich auf im Vergleich mit anderen Regionen niedrigem Niveau (die Tübinger Zahlen der letzten Jahre: 2012: 1326 Fälle, 2013: 1313, 2014: 1268, 2015: 1287). Trotzdem sei das allgemeine Sicherheitsgefühl geradezu gegenläufig. Dem will die Polizei Rechnung tragen: „Wir werden künftig verstärkt losgelöst von bekannten Schwerpunkten unterwegs sein.“ Als Beispiel nannte Wagner Ergenzingen: Als dort eine Flüchtlings-Aufnahmestelle eingerichtet wurde, sei man dort häufiger Streife gefahren, obwohl es dort nur die übliche Alltagskriminalität gegeben habe.

Es gebe eine gefühlte Verunsicherung durch Fremde, die eben im Stadtbild auffielen. Dabei ist nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge tatsächlich kriminell. Insgesamt wurden im Kreis Tübingen vergangenes Jahr 313 Asylbewerber als Tatverdächtige ermittelt (2014: 161). Die Mehrzahl der Delikte (ohne Verstöße gegen Aufenthalts- oder Asylverfahrensgesetze) sind kleinere Diebstähle. Dazu kommen rund 20 Prozent Körperverletzungen – überwiegend bei Prügeleien innerhalb der Unterkünfte. Die regelmäßigen Einsätze dort machen der Polizei viel Arbeit: Man rücke immer mit mehreren Streifen an – „In dieser Zeit stehen die Beamten für andere Einsätze nicht zur Verfügung.“ Oft entstünden die Konflikte wegen der gedrängten Unterbringung: „Je größer die Einrichtung, desto mehr Vorfälle.“ Die Bürger müssten sich bei sonstigen kleineren Delikten deshalb auf Wartezeiten einstellen. Selten sind laut Statistik Menschen aus Kriegsgebieten unter den Verdächtigen. Auffallend viele Gambier wurden wegen Handels mit Cannabis geschnappt. Nicht bestätigen kann Wagner, dass Flüchtlinge besonders häufig an sexuellen Übergriffen beteiligt sind: Ihr Anteil unter den ermittelten Verdächtigen liegt „unter einem Prozent.“

Sorgen machen Wagner zwei Tendenzen: Die Zahl der rechten Straftaten stieg, besonders was Schmierereien oder kleinere Sachbeschädigungen an Flüchtlingsheimen betrifft. Im gesamten Präsidiumsbereich waren es 2015 156 Fälle (2014: 69). Und die Zahl der Krankheitstage unter seinen Beamtenwegen wegen Angriffen auf Polizisten stieg auf über 400. „Was verändert sich da gerade in unserer Gesellschaft, dass es hip ist, sich mit Polizisten anzulegen?“

Einbrüche: Aufklärungsquote brach auf 5,7 Prozent ein

Eine Zahl sticht aus der Kriminalstatistik besonders hervor: Die extrem niedrige Zahl der aufgeklärten Einbrüche im Kreis Tübingen. Die Quote sank von 12,7 Prozent 2014 auf 5,7. Im Kreis Reutlingen stieg sie vergangenes Jahr dagegen von 11,4 auf 17,4 Prozent. Polizeisprecher Björn Reusch macht dafür die sehr schwierige Ermittlungsarbeit bei Einbrüchen verantwortlich – und das prinzipielle Problem bei den Jahres-Statistiken: „Wenn wir, wie im Januar, eine Diebesbande festnehmen und Delikte aus dem Vorjahr aufklären, zählt das erst im nächsten Jahr.“ Wenn die hiesige Polizei einen Täter ermittelt, der anderswo Beute machte, erhöht das die Tübinger Erfolgsquote nicht – denn ausgewertet wird nach den Tatorten, nicht nach dem Standort der Beamten. „Manchmal ist ein Fall ganz entscheidend für die Quote“, sagte der Chef der Kriminalpolizei Reinhard Nething – die aber überall zu niedrig sei. Häufig seien die aus dem Ausland angereisten Banden im ganzen Land unterwegs, was die Aufklärung „extrem aufwändig macht“. Er appelliert an die Bürger: „Rufen Sie die 110, wenn Ihnen etwas verdächtig erscheint. “

Im Kreis Tübingen gab es vergangenes Jahr 193 Wohnungseinbrüche, 2014 standen 157 Fälle in der Statistik. Wegen Wohnungseinbruchs wurden damals 28 Verdächtige ermittelt, vergangenes Jahr waren es 16.

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Erstellt:
23.04.2016, 02:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 23.04.2016, 02:00 Uhr

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