Nordstetten/Rottweil · Justiz

Im Zweifel für die Angeklagten

Die wegen Mordes an Michael Riecher angeklagten Männer erhielten Freiheitsstrafen von sechs und viereinhalb Jahren wegen räuberischer Erpressung.

08.01.2020

Von Manuel Fuchs

Die 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Rottweil (von links: Richterin Grimm, Vorsitzender Richter Münzer, Richter Koch) sah keine ausreichenden Beweise, um einen der beiden wegen Mordes angeklagten Männer wegen der Tötung zu verurteilen. Bilder: Manuel Fuchs

Die 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Rottweil (von links: Richterin Grimm, Vorsitzender Richter Münzer, Richter Koch) sah keine ausreichenden Beweise, um einen der beiden wegen Mordes angeklagten Männer wegen der Tötung zu verurteilen. Bilder: Manuel Fuchs

Michael Riecher starb am Abend des 2. November 2018 in seiner Nordstetter Wohnung an den Folgen eines Angriffs auf den Hals – daran besteht kein Zweifel. Die 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Rottweil hat in der Hauptverhandlung seit 2. Mai 2019 an 29 Verhandlungstagen 83 Zeugen und zwölf Sachverständige vernommen. „Welcher der beiden Angeklagten die Tötungshandlung eigenhändig vorgenommen hat, konnte die Beweisaufnahme nicht mit der für eine Verurteilung wegen Mordes notwendigen Sicherheit klären“, sagte der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer zu Beginn der Urteilsbegründung. Deshalb wurden beide Angeklagten lediglich wegen räuberischer Erpressung zu sechs und viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Begründung des Urteils

Der zweite Angeklagte hatte unmittelbar nach seiner Festnahme ein Geständnis abgelegt, auf das die Anklageschrift ihren Tatvorwurf im Wesentlichen stützte. Dieses und ähnliche Einlassungen in der Hauptverhandlung stellen nach Einschätzung der Kammer einen möglichen Ablauf des Tatabends dar: Nachdem der zweite Angeklagte von seinem Komplizen mit den Örtlichkeiten um Michael Riechers Wohnung vertraut gemacht worden war, betrat er diese am 2. November 2019 gegen 18.50 Uhr durch die nicht abgeschlossene Terrassentür. Sie verursachte dabei ein charakteristisches Geräusch, welches Michael Riecher, der zu diesem Zeitpunkt in seinem Büro im Souterrain arbeitete, misstrauisch machte. Er ging über den Garten in seine über dem Büro liegende Wohnung und traf dort auf den Eindringling. Der signalisierte Riecher, ruhig zu bleiben, was dieser jedoch nicht tat. Es kam zu einem kurzen Kampf, in dessen Verlauf Riecher dem zweiten Angeklagten in die Hand biss, letztlich aber zu Boden ging. Er gab seinen Widerstand auf und signalisierte, dass er das geforderte Geld herausgeben werde. Der Eindringling führte Riecher ins Schlafzimmer und brachte ihm ein Glas Wasser zur Erholung

Justizbeamte führen den zweiten Angeklagten in den Saal

Justizbeamte führen den zweiten Angeklagten in den Saal

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Tatablauf in zwei Varianten

„Was sodann in der Wohnung geschah, ließ sich im Rahmen der Hauptverhandlung nicht mit hinreichender Sicherheit klären“, fuhr Richter Münzer fort. Nach Darstellung des zweiten Angeklagten sei der erste Angeklagte überraschend in der Wohnung erschienen und habe Michael Riecher, nachdem dieser dem zweiten Angeklagten 3000 Euro übergeben und mehr Geld zugesagt hatte, plötzlich von hinten gepackt und erwürgt. „Wir haben keinerlei objektive Beweismittel, die seine Aussage stützen, und ein Falschaussagemotiv, wie es größer nicht sein könnte“, sagte Münzer .

Alternativhypothesen konnten nicht widerlegt werden. Ebenso möglich sei, dass der zweite Angeklagte selbst die Tötung vollzogen habe: Michael Riecher habe ihn gefragt, ob er mit dem ersten Angeklagten bekannt sei. Um zu verhindern, dass er als Täter identifiziert würde, könnte auch er Riecher getötet haben.

Die Spurensicherung stellte später zirka 7000 Euro Bargeld und Goldmünzen sicher. Daraus schließt die Kammer, dass eine Tötung Riechers nie Teil des Plans war. „Es gab, davon ist die Kammer überzeugt, eine Komplikation im Ablauf. Nur so ist zu erklären, dass erhebliche Bargeldbeträge vor Ort blieben“, führte Münzer aus. „Primär ging es beiden Angeklagten um Geld. Beide lebten in einer angespannten finanziellen Situation. Hätte man den Tod eingeplant, dann hätte es nahe gelegen, die Wohnung noch nach Wertgegenständen abzusuchen.“

Beide Angeklagten verließen nach der Tat die Wohnung und teilten die erbeuteten 3000 Euro hälftig auf. Der zweite Angeklagte nahm einen verspäteten Zug um kurz nach 20 Uhr Richtung Stuttgart. Der erste Angeklagte fuhr nach Hause und bemühte sich dann, wie es Münzer darstellte, mit vielen Personen in Kontakt zu treten und in der Öffentlichkeit sichtbar zu sein, um Alibis für den Tatabend zu erzeugen.

Die Geschehnisse am Morgen nach der Tat belasten den ersten Angeklagten: Man müsse davon ausgehen, dass er den Leichnam am Vorabend berührt hatte, selbst wenn er Michael Riecher nicht selbst erwürgt hatte. Dass der Angeklagte die Wohnung nicht wie gewohnt über die von außen zu öffnende Terrassentür betrat, deutet stark auf eine Inszenierung hin. Um seine Spuren am Leichnam zu erklären, bemühte er einen arglosen Bekannten als Zeugen wider Willen dafür, dass er seinen väterlichen Freund Michael Riecher wie zufällig tot auffand und am Hals berührte – angeblich, um den Puls zu fühlen. Er legte großen Wert drauf, dass diese Berührung dem alarmierten Notarzt bekannt gemacht würde. Auch versuchte er, seinen Bekannten zu der Falschaussage zu bewegen, man sei zuvor um Michael Riechers Haus herumgelaufen.

Tarnen, Tricksen und Täuschen

Das Verhalten des ersten Angeklagten im Todesermittlungsverfahren fasste der Richter als „Tarnen, Tricksen und Täuschen“ zusammen. Michael Riechers blutiges Hemd mitzunehmen und zu verstecken, das Verhalten am Auffindemorgen sowie die Einflussnahme auf einen Zeugen haben die Ermittlungen erheblich beeinträchtigt. Münzer begegnete der wiederholt geäußerten Kritik an den Ermittlungsbehörden klar: „Der Polizei vorzuwerfen, dass sie dieses geschickt vom Angeklagten eingefädelte Verhalten nicht vorher aufgedeckt hat, ist eine – zurückhaltend gesprochen – sehr einseitige Sichtweise.“

Der erste Angeklagte (rechts) und Rechtsanwalt Dr. Alexander Kubik

Der erste Angeklagte (rechts) und Rechtsanwalt Dr. Alexander Kubik

Zur Strafzumessung im Rahmen zwischen einem und 15 Jahren Freiheitsstrafe wies Münzer auf mildernde Umstände hin: Beide Angeklagten seien nicht vorbestraft, und es liege eine hohe Haftempfindlichkeit vor. Verschärfend sei zu würdigen, dass der erste Angeklagte die Tat lange und intensiv vorbereitet sowie Mittäter angeworben habe. Er strebte eine hohe Beute an und habe das Opfer in dessen Wohnung überfallen, der ein besondere Schutzfunktion zukommt. Außerdem habe er das Näheverhältnis zu Michael Riecher ausgenutzt und Zeugen beeinflusst. Auch die psychischen Folgen für die Angehörigen spielten in die Strafzumessung hinein, weshalb eine sechsjährige Freiheitsstrafe angemessen sei.

Für den zweiten Angeklagten gelte dasselbe, abgesehen von der ausgenutzen Nähe und der Zeugenbeeinflussung. Als mildernd wurden sein frühes Geständnis, Reue, eine Entschuldigung und die Rückzahlung seines Beuteanteils gewürdigt. Außerdem habe er zur Tatzeit unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln gestanden. Dies rechtfertige eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren.

Oberstaatsanwalt Dr. Christoph Kalkschmid hatte in seinem Plädoyer für den ersten Angeklagten eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen räuberischer Erpressung mit Todesfolge in Tateinheit mit Mord gefordert, für den zweiten Angeklagten wegen räuberischer Erpressung in Tateineit mit Totschlag durch Unterlassen eine Freiheitsstrafe von 10 Jahren und sechs Monaten.

Dr. Kalkschmid

Dr. Kalkschmid

Er kommentierte das Urteil der Kammer zurückhaltend: „Es gibt sehr gute Argumente für den von mir angebotenn Ablauf und die rechtliche Würdigung.“ Die Erfolgsaussichten einer Anfechtung des Urteils könne er allerdings erst beurteilen, wenn ihm die schriftliche Begründung vorliege.

Eine Schwester Michael Riechers, die als Nebenklägerin auftrat, sagte der SÜDWEST PRESSE: „Als Medizinerin bin ich weiterhin davon überzeugt, dass die Tat nur gemeinsam begangen worden sein kann“, dass also zwei Personen gleichzeitig auf Michael Riecher eingewirkt haben müssen, um ihm die festgestellten Verletzungen zuzufügen. Ihr Rechtsanwalt kündigte „in jedem Fall“ Revision an.

Rechtsanwalt Alexander Hamburg, der den ersten Angeklagten verteidigt hatte, hatte für seinen Mandanten auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren wegen räuberischer Erpressung plädiert, die zur Bewährung auszusetzen sei. Er zeigte sich nach Prozessende zufrieden: „Das Urteil ist gut und gerecht“, sagte er der SÜDWEST PRESSE. Lediglich die Strafzumessung sei ein wenig zu hoch ausgefallen. Ob er seinem Mandanten zur Revision raten werde, vermochte er noch nicht zu sagen.

Großes Medieninteresse begleitete den letzten Prozesstag

Großes Medieninteresse begleitete den letzten Prozesstag

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Erstellt:
08.01.2020, 22:05 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 35sec
zuletzt aktualisiert: 08.01.2020, 22:05 Uhr

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