Tübingen · Fiskus

Kassenbon-Pflicht: Jede Brezel braucht den Nachweis

Ein Beleg des Brots mit Schinken, ein Beleg des Brots mit Ei: Seit dem 1. Januar gilt die Kassenbon-Pflicht in Deutschland. Vor allem Bäcker sind schwer genervt.

07.01.2020

Von Eike Freese

Und da ist der Arbeitstag noch lange nicht zuende: In der Südstadt-Bäckerei Fischer zeigen Christine Grunewald (links) und Marleen König einen Korb mit der Beleg-Ausbeute in ihrem Betrieb um kurz vor 16 Uhr. Bild: Anne Faden

Und da ist der Arbeitstag noch lange nicht zuende: In der Südstadt-Bäckerei Fischer zeigen Christine Grunewald (links) und Marleen König einen Korb mit der Beleg-Ausbeute in ihrem Betrieb um kurz vor 16 Uhr. Bild: Anne Faden

Seit sieben Tagen gilt die so genannte Kassenbonpflicht in Deutschland – und Unternehmer Muharrem Basal ist jetzt schon ziemlich ungehalten: Der täglich frische Müllbeutel an der Kasse des Restaurants „Istanbul“ in der Karlstraße ist schon um 15 Uhr prall gefüllt – mit hunderten von Thermopapier-Belegen. „Die Belege will kein Kunde und schon gar nicht, wenn er nur einen Chai für einen Euro trinkt“, sagt Geschäftsführer Basal, „aber wir müssen sie dennoch ausdrucken und anbieten.“ Mehrere Tausend Euro hat sein Unternehmen gerade in eine neue Kassenanlage investiert – nicht nur, aber auch im Zuge der neuen Vorschrift.

Die Kassenbonpflicht für elektronische Kassen ist ein Teil des so genannten „Kassengesetzes“ aus dem Dezember 2016. Die gesetzlichen Neuerungen, zu denen sie gehört, sollen unter anderem Umsatzsteuerbetrug in bargeld-geprägten Branchen massiv erschweren – und dem Staat im besten Falle Milliarden im Jahr bringen. In anderen europäischen Ländern ist die Belegpflicht in unterschiedlicher Ausprägung längst etabliert. In Deutschland sorgt sie nun, immerhin mehr als drei Jahre nach der politischen Einführung, für Diskussionen.

Axel Fischer findet vor allem den ökologischen Aspekt bedenklich. Selbst in seiner kleinen Bäckerei Fischer in der Südstadt gehen vielleicht 12.000 Kunden im Monat ein und aus. „12.000 Belege sind das – für nichts“, sagt Fischer. Sein Unternehmen habe sich im Einklang mit dem politischen Trend der Stadt schon immer als ökologisch verstanden: „Wir benutzen zum Beispiel den Ökostrom der Stadtwerke“, so Fischer: „Den ökologischen Vorteil daraus können sie angesichts der vielen Kassenzettel jetzt eigentlich vergessen.“

Fischer liegt mit seiner Kritik auf der Linie des Zentralverbands des Bäckerhandwerks, der für seine Betriebe eine Befreiung beantragt hat. Fünf Milliarden Bons allein für Brötchen- und Kuchenkunden könnten es im Jahr werden, rechnet der Verband vor und spricht von einer „Müllflut“.

Tatsächlich beschwert sich kaum einer der zehn vom TAGBLATT befragten Tübinger Betriebe über die bürokratischen Nebeneffekte des Gesetzes. Auch die finanziellen Kosten der Beleg-Rollen werden selten moniert. Müll ist in Tübingen das Hauptthema. „Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass wir in einer Stadt leben, wo entsprechende Ideale sehr hoch gehalten werden“, sagt Axel Fischer. So beteiligt sich sein Betrieb auch an der Pfandbecher-Kampagne „ReCup“ und versucht so, den To-Go-Becher-Berg zu minimieren. Dass Beleg-Befürworter darauf verweisen, entsprechende Transaktions-Nachweise könnten ja auch per E-Mail überstellt werden, findet Fischer eher zum Lachen: „Könnte lustig werden, morgens beim schnellen Brötchenkauf“, sagt der Bäcker. Wie alle vom TAGBLATT befragt Unternehmer will er Ausnahmen zumindest für Kleinstbeträge.

In etwas größerem Stil als Bäckermeister Fischer reichen die Mitarbeiter von Bäckermeister Leimgruber Brötchen über die Theke: Das Café Lieb verkauft mit gut 120 Angestellten – und Geschäftsführer Hermann Leimgruber sieht die aktuelle Neuerung kritisch: „Wir müssen es umsetzen, klar, aber eigentlich ist es Blödsinn.“ Das Ziel der Steuerehrlichkeit findet zwar auch der Lieb-Chef gut und rechnet mit hohen Beträgen, die dem Fiskus jährlich verloren gehen. „Aber wir dokumentieren ja schon akribisch elektronisch“, so Leimgruber: „Controlling ist in einem Betrieb wie dem unseren das A und O.“ Warum trotz moderner Kassen noch ein Beleg in Papierform raus muss, leuchtet ihm nicht ein.

Befürworter des Gesetzes finden unter anderem, dass die Papierform die Transparenz erhöht und der Kunde ausdrücklich Teil der Steuerehrlichkeit wird – auch, wenn er wie in Deutschland den Beleg nicht zwingend mitnehmen muss. Leimgruber hingegen findet es ungleichgewichtig, wieviel Aufwand derzeit in Bäckereien oder Espressobars getrieben wird, um dem Gesetz nachzukommen – im Gegensatz zum Aufwand gegen große Fische im Steuervermeidungs-Geschäft. „Das ist halt einfacher umzusetzen. Aber besser wäre es, wenn internationale Konzerne mal endlich Steuern zahlen“, so Leimgruber.

Keine Bußgelder, keine Registrierkassen-Pflicht

Bislang sichert das Bundesfinanzministerium zu, bei einem Verstoß gegen die Kassenbon-Ausgabe keine Bußgelder zu verhängen. „Er könnte aber als Indiz dafür gewertet werden, dass den Aufzeichnungspflichten nicht entsprochen wurde“, warnt das Ressort. Auch eine Registrierkassen-Pflicht gibt es im Zuge der aktuellen Neuerungen nicht. Straßenhändler etwa, denen die Abgabenordnung einige Freiheiten einräumt, können weiter mit offener Ladenkasse arbeiten. Auch sie müssen aber gesetzeskonforme Aufzeichnungen beachten. Eine Befreiung von der Pflicht ist nur aufgrund von „sachlicher oder persönlicher Härte“ durchs örtliche Finanzamt möglich.

Zum Artikel

Erstellt:
07.01.2020, 19:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 11sec
zuletzt aktualisiert: 07.01.2020, 19:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Newsletter Prost Mahlzeit
Sie interessieren sich für gutes und gesundes Essen und Trinken in den Regionen Neckar-Alb und Nordschwarzwald? Sie wollen immer über regionale Gastronomie und lokale Produzenten informiert sein? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Prost Mahlzeit!