Ergenzingen · Gastwirtschaften

Jetzt ist endgültig Feierabend im „Bahnhöfle“

Nach 141 Jahren hat in Ergenzingen nun auch das Traditionslokal „Restauration“, das im Volksmund auch „Bahnhöfle“ genannt wird, für immer geschlossen.

05.06.2020

Von Karl Ruoff

Der „Sportschau-Stammtisch“ traf sich seit 1971 samstags zum Sportschau-Gucken in der „Restauration beim Bahnhof“. Das Foto entstand 1996 anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Stammtischs. In der hinteren Reihe steht die damalige Wirtin Lena Baur. Als sie starb, übernahmen 2011 ihr Schwiegersohn Roland Welte (links von ihr) und ihre Tochter Christa die Gaststätte.Privatbild

Der „Sportschau-Stammtisch“ traf sich seit 1971 samstags zum Sportschau-Gucken in der „Restauration beim Bahnhof“. Das Foto entstand 1996 anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Stammtischs. In der hinteren Reihe steht die damalige Wirtin Lena Baur. Als sie starb, übernahmen 2011 ihr Schwiegersohn Roland Welte (links von ihr) und ihre Tochter Christa die Gaststätte.Privatbild

Vor allem wegen der Auflagen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie sahen sich Christa (70 Jahre alt) und Roland Welte (76), die in der vierten Generation die „Restauration“ bewirtschafteten, nicht mehr in der Lage, den Betrieb weiter aufrecht zu erhalten. Gerne hätten sie noch eine Weile weitergemacht, sagen sie, aber unter den gegebenen Umständen sei das nicht möglich.

Die Geschichte der Gaststätte begann mit dem Bau der Gäubahn. Nachdem die Strecke am 1. September 1879 eröffnet worden war, sah der Ziegeleibesitzer Anton Baur im selben Jahr die Möglichkeit, in der Nähe des Bahnhofs eine Wirtschaft zu eröffnen: die „Bahnhofs-Restauration“. Im gleichen Jahr wurde auch der Gasthof „Rose“ eröffnet, was dem damaligen Pfarrer, wie in der Pfarrchronik zu lesen ist, gar nicht gefiel.

Die Wirte waren immer Baurs

Nachdem die „Restauration“ anschließend von weiteren, zumeist alleinstehenden Angehörigen der Familie Baur weitergeführt worden war, übernahmen die Großeltern von Christa Welte, Christine und Josef Baur, bis 1954 die Bewirtschaftung. Ihnen folgte mit dem Ehepaar Lena und Hermann Baur eine weitere Generation der Familie.

Die damalige Wirtschaftswunderzeit wirkte sich auch auf den Betrieb fördernd aus, denn die Menschen gönnten sich zunehmen ihr Feierabend-Bierchen. Immer mehr Vereine machten die „Restauration“ zu ihrem Stammlokal. Auch die Bauarbeiter und Monteure bei den umfangreichen Bauarbeiten auf der Liebfrauenhöhe und dann beim Autobahnbau brachten der Wirtschaft in den 1960er-Jahren zahlreiche Gäste. Sie fühlten sich im urgemütlichen Lokal nach der Tagesarbeit wohl. Das lag wohl auch an der leutseligen Art des Gastwirts Hermann Baur, der immer zu Späßen aufgelegt war.

Der erste größere Stammtisch, der im „Bahnhöfle“ tagte, war ab 1971 der „Sportschaustammtisch“. 49 Jahre lang, bis zu Beginn der Corona-Pandemie, trafen sich die Fußballbegeisterten samstags in ihrem Stammlokal. Im Lauf der Jahre gesellten sich die Fußballer des Turn-und Sportvereins, die Montags- und Mittwochs-Gymnastikgruppen des TuS dazu. Auch Musikverein und Liederkranz kehrten nach ihren Proben zum gemütlichen Abschluss des Abends dort ein. Zum Stammlokal entwickelte sich die „Restauration“ auch für die Sprudelfahrer der „Fürstenquelle“ und „Apollo“ aus dem Eyachtal, bevor sie sich auf den Heimweg machten.

Beliebt wurde das Lokal auch durch seine guten Vesper und seine legendären „Göckele“. Nach dem Tod von Hermann Baur (1995) führte seine Frau Lena das Lokal weiter. Sie wurde dabei von ihrer Tochter Christa, die schon von jung auf in die Arbeit der Gaststätte eingebunden war, und deren Ehemann Roland kräftig unterstützt.

Ab Ende der 1990-er-Jahre wurde in der „Restauration“ auch Fasnet gefeiert. Ein Gast wies beim Ausklang die anderen darauf hin. dass ein echter Narr am Aschermittwoch zum Äschera in die Kirche müsse. Das könne man doch gleich im Lokal erledigen, meint jemand, und prompt erschien Seniorwirtin Lena mit einem silbernen, mit Asche gefüllten Gefäß. Die zwei besonders gewitzten Altnarren Günther Kleindienst und Klaus Ranft streuten den Gästen dann so viel Asche aufs Haupt, dass sie sich wohl vor dem zu Bett gehen duschen mussten. Dieses Ritual wurde dann für einige Jahre zum Fasnets-Renner.

Nach Lena Baurs Tod übernahmen ihre Tochter Christa und deren Mann Roland 2011 offiziell das Lokal. Dabei wurden die Öffnungszeiten im Laufe der Zeit den veränderten Bedingungen und Ansprüchen in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art angepasst. Das Lokal war schließlich nur noch an wenigen Tagen, montags, mittwochs und samstags abends für Stammtische und und Vereinsgruppen geöffnet.

Ein Landgasthof ist noch übrig

Dass nun endgültig Feierabend ist in der „Restauration beim Bahnhof“, wird in Ergenzingen bedauert Auch Christa und Roland Welte sind unglücklich. Es tue schon irgendwie weh, „dass wir diejenigen sind, die das Lokal, das 141 Jahre im Familienbesitz war, schließen müssen“, sagt die Wirtin..

Von den früher zehn Landgasthöfen in Ergenzingen ist nun nur noch das „Waldhorn“ übrig. Eine Reihe von Lokalen, jedoch mit modernem Ambiente, bieten aber weiterhin die Möglichkeit zur Einkehr.

Roland und Christa Welte (geborene Baur) bewirtschaftetendie „Restauration am Bahnhof“ seit 2011. Privatbild

Roland und Christa Welte (geborene Baur) bewirtschafteten die „Restauration am Bahnhof“ seit 2011. Privatbild

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Erstellt:
05.06.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 00sec
zuletzt aktualisiert: 05.06.2020, 01:00 Uhr

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