Kreise Tübingen/Reutlingen

Kriminalität: Das sagt ein Betrugsermittler über Abzock- Maschen

Warum fallen so viele auf falsche Polizisten, den Enkeltrick oder die Mama-Masche rein? Ein Gespräch mit Björn Vielberth von der Kripo.

17.08.2023

Von Jonas Bleeser

Illustration: stock.adobe.com/Tanya

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Angst, Liebe, Hilfsbereitschaft oder Gier – das sind menschliche Gefühle, auf denen Betrüger ihr Millionengeschäft aufbauen. Ihre Waffe ist meist das Telefon, die E-Mail, die SMS. Björn Vielberth kennt ihre Methoden alle aus seiner täglichen Arbeit: Der Kriminalhauptkommissar leitet im Betrugsdezernat bei der Kriminalinspektion in Esslingen die Ermittlungsgruppe „Spoofing“, die sich vor allem um Telefonbetrug kümmert. Spoofing deshalb, weil es einen der technischen Tricks der Kriminellen beschreibt, mit dem sie beispielsweise vorgaukeln, sie riefen von der Notrufnummer 110 aus an. So machen sie glaubhafter, der Angerufene spreche mit echten Polizisten.

Vielberth hat Hunderte Fälle bearbeitet. Er kann erklären, wie die gängigsten Betrugsmaschen ablaufen – und warum sie so häufig erfolgreich sind. „Am Ende haben die Kriminellen immer dasselbe Ziel: Geld. Sobald es darum geht, sollte man stutzig werden“, sagt Vielberth. Ein Überblick über die häufigsten Tricks und welche Gefühle dabei als Hebel benutzt werden.

Hilfsbereitschaft I

Der Enkeltrick ist ein echter Klassiker unter den Betrugsmaschen, aber immer noch erschreckend erfolgreich. Die Polizei warnt bereits seit Jahrzehnten vor der Masche. Anrufer melden sich dabei häufig mit dem Satz „Hallo, rate mal, wer dran ist“, um so dem Opfer den Namen eines Angehörigen zu entlocken. Dann bittet er um Hilfe: Gerade jetzt gebe es die Traumwohnung, das Traumauto unschlagbar günstig, aber nur, wenn der Verkauf sofort abgewickelt wird. Das Geld für diese einmalige Gelegenheit hole nachher jemand ab. Nur dieser letzte Teil der Geschichte stimmt. Wer Geld herausgibt, sieht es nie wieder.

Darum funktioniert der Trick: Er packt die Menschen bei ihrer Hilfsbereitschaft für nahe Angehörige.

Ausmaß in der Region: Im Gebiet des Reutlinger Präsidiums wurden vergangenes Jahr 2289 erfolglose Enkeltrickversuche registriert, in 387 Fällen gelang der Betrug. Schaden: Mehr als 1,5 Millionen Euro.

Wie kann man sich schützen? Das Gespräch schnell beenden und denjenigen anrufen, dem man angeblich helfen soll. Dadurch platzt die Illusion der Betrüger wie eine Seifenblase.

Gier

Manche Betrüger erzeugen bei ihren Opfern keine Angst, sondern versprechen ihnen Reichtümer. Die Masche ist schon sehr alt, die Geschichten werden aktuellen Trends angepasst. Die Variationen sind vielfältig und reichen von angeblichen Lotterie- oder Gewinnspielgewinnen bis zur überraschend lukrativ erscheinenden Investition in Krypto-Währungen. Aber um den Gewinn einstreichen zu können, müssten angeblich erstmal Gebühren für Notare oder Ähnliches bezahlt werden – oder eben möglichst viel investiert. Dass sie nie an der angeblichen Lotterie teilgenommen haben, stört manche Opfer nicht: Zu verlockend ist die Aussicht auf das schnelle Geld. Einige glauben schließlich so fest daran, dass sie mehrmals nachzahlen, weil immer neue angebliche Voraussetzungen erfunden werden.

Ausmaß in der Region: Siehe Schockanruf.

Wie kann man sich schützen? Bei angeblichen Lotteriegewinnen oder besonders lukrativen Investment sollte man immer im Auge behalten: Was zu gut klingt, um wahr zu sein, ist es auch meistens nicht. Und wenn man gar nicht Lotto gespielt hat, kann man auch nichts gewonnen haben.

Liebe

Zuneigung ist ein starker Hebel, um Menschen um ihr Geld zu bringen. Besonders über Soziale Medien knüpfen Betrüger aus dem Ausland Kontakte zu einsamen Männern und Frauen, denen sie über gefälschte Internetprofile die große Liebe vorgaukeln – und dann scheinbar in Schwierigkeiten geraten, weshalb sie Geld brauchen. In diesen Fällen ist die Scham der Opfer besonders groß, die sich eingestehen müssen, dass es den geliebten Menschen gar nie gab. Für diesen Bereich weist die Statistik keine eigenen Zahlen aus.

Besonders im Trend ist aber der „Hallo Mama“-Trick, auch als Whatsapp-Masche bekannt. Dabei kommt zuerst eine vermutlich automatisiert verschickte SMS: „Hallo Mama/Papa, mein Handy ist kaputt …“ Dazu wird eine angeblich neue Nummer geschickt, die man einspeichern soll. Anschließend wird über Whatsapp kommuniziert und gebeten, Geld für angeblich dringende Rechnungen per Eilüberweisung zu senden – fürs neue Handy, einen Computer, meist in der Dimension von 1500 bis 4000 Euro. Der Vorteil für die Betrüger: Sie brauchen keine Abholer, sondern nur ein Konto.

Die Konten gehören häufig Leuten, die über Internetplattformen einen Job angenommen haben, bei dem sie angeblich testen sollen, wie der Prozess zur Eröffnung eines Bankkontos läuft. Geld bekommen sie dafür meistens nicht, es droht ihnen aber eine Anzeige wegen Geldwäsche. Das Geld wird dann schnell weiterüberwiesen und oft in Bitcoin umgewandelt – für die Ermittler kaum zu verfolgen.

Darum funktioniert der Trick: Wer wollte nicht einem geliebten Menschen aus einer Notlage helfen?

Ausmaß in der Region: Die Whatsapp-Masche ist seit eineinhalb Jahren auf dem Vormarsch. Im Jahr 2022 wurden laut Landeskriminalamt rund 8700 Fälle in Baden-Württemberg angezeigt. Bei den rund 1900 Vollendungen kam es zu einem Schaden in Höhe von etwa 6,1 Millionen Euro.

Wie kann man sich schützen? Hier hilft direkt ein Anruf auf der alten Nummer der Person, die einen angeblich anschreibt. Sinnvoll kann auch ein vorher ausgemachtes Codewort innerhalb der Familie sein, sobald es um Geld geht – beispielsweise ein familieninterner Spitzname oder der Name eines Haustiers.

Hilfsbereitschaft II

Die falschen Polizisten kombinieren die Angst vor Kriminalität geschickt mit dem Appell, den Behörden bei einer Ermittlung zu helfen. Den Opfern wird zunächst eingeredet, sie stünden im Visier von kriminellen Banden, die ihr Vermögen bedrohen. Oder die Polizei bräuchte Hilfe, Betrüger zu überführen. Um die Opfer davon abzubringen, sich mit Vertrauten zu besprechen, erklären sie, es gehe um eine verdeckte Operation: Spreche man mit Dritten darüber, sei alles gefährdet. Dann überreden die Anrufer die Leute, ihnen Wertsachen und Bargeld zu übergeben – entweder zum Schutz vor Einbrechern oder weil es sich angeblich um Falschgeld handele. Häufig halten die Anrufer ihre Opfer stundenlang in der Leitung, bis Abholer vor Ort sind. Oder sie reden ihnen ein, die Angestellten ihrer Bank seien in Wahrheit Kriminelle und das Geld sei dort nicht mehr sicher. Manchmal gelingt es ihnen, die Opfer, meist ältere Leute, tagelang in dem Glauben zu lassen, sie unterstützten die Polizei. Im Kreis Reutlingen versuchten sie, einen Mann zum Verkauf seiner Wohnung zu überreden: Den Erlös sollte er dann an angebliche Polizisten übergeben. Manchmal fliegt der Betrug erst auf, wenn die Betrogenen auf dem Revier auftauchen und ihre Wertsachen zurückverlangen.

Darum funktioniert der Trick:

Die Anrufer kapern sozusagen die staatliche Autorität und geben sich als Ermittler aus. Sie nutzen das Vertrauen in Polizei und Justiz, um Bedenken zu zerstreuen, und gleichzeitig die Angst vieler Menschen vor Kriminalität.

Ausmaß in der Region:

Die Statistik der Polizei zählt im Reutlinger Präsidiumsbereich 2022 insgesamt 2981 Versuche, 57 waren erfolgreich. Schaden: fast 1,8 Millionen Euro.

Wie kann man sich schützen?

Auch hier der schnellste Weg: auflegen. Und sich immer erinnern: „Die Polizei will niemals Bargeld oder Schmuck von den Bürgern“, betont Betrugsermittler Björn Vielberth, „und sie verschickt keine offiziellen Schreiben per Mail, SMS oder Social Media – sondern per Post.“

Angst

Mittlerweile hat sich der Enkeltrick gewandelt, die Anrufer optimieren ihre Maschen laufend – was schneller zum Ziel führt, wird übernommen. „Der Schockanruf nimmt wieder zu, bei dem behauptet wird, ein enger Angehöriger haben einen schweren Unfall verursacht“, beobachtet Ermittler Björn Vielberth. Dann heißt es, nur eine Kaution könne verhindern, dass der Angehörige in Haft kommt. Verbreitet ist diese Masche im gesamten deutschsprachigen Raum.

Dabei meldet sich zu Beginn häufig jemand, der scheinbar völlig aufgelöst ist, weinend und verzweifelt – und so kurz, dass die Angerufenen nur wahrnehmen, dass jemand in Not zu sein scheint. Spontan fragen dann viele nach, beispielsweise: „Julia, bist du’s?“ Und schon haben die Kriminellen einen Namen, auf dem sie ihre Lügengeschichte aufbauen. „Viele Geschädigte sind sich ganz sicher: Das war meine Tochter, das war mein Enkel“, beschreibt Vielberth, warum die Opfer nicht misstrauisch werden. In der Corona-Pandemie wurde die Geschichte variiert: Damals baten falsche Ärzte für angeblich schwer Covid-Erkrankte um Geld für Medikamente.

Darum funktioniert der Trick:

Ein Schockanruf erwischt die Leute völlig unvorbereitet in ihrem Alltag, auf einen Betrugsversuch sind sie nicht eingestellt – sondern sofort im Alarmmodus, haben Angst um ihre Angehörigen und wollen helfen. „Die Leute werden auf der empathischen Ebene angesprochen und handeln nicht mehr rational“, stellt Vielberth fest, „wer einmal im Tunnel drin ist, kommt nur schwer wieder raus.“ Im Gespräch geben die Geschädigten vor lauter Angst um ihre Angehörigen weitere Informationen preis, ohne es zu merken. Das nutzen die Anrufer dann blitzschnell, um ihre Geschichte noch glaubhafter zu machen. „Die Opfer tun mir besonders leid“, sagt Vielberth. Manche hätten sogar zuvor schon von Schockanrufen gehört, sind in der Situation dann aber so aufgeregt, dass sie nicht daran denken.

Ausmaß in der Region:

In der Statistik der Kripo werden die Schockanrufe gemeinsam mit den Gewinnversprechen geführt, 2022 weist sie 383 Versuche auf. Nur 64 Fälle waren erfolgreich – aber dabei wurden Menschen insgesamt um 495712 Euro gebracht.

Wie kann man sich schützen?

Wie beim Enkeltrick: Gespräch beenden, Angehörigen selbst kontaktieren. „Die Strafverfolgungsbehörden verlangen niemals am Telefon Geld“, stellt Vielberth fest – und schon gar nicht an der Haustür.

Betrugsermittler Björn Vielberth: „Am Ende haben die Kriminellen immer dasselbe Ziel: Geld. Sobald es darum geht, sollte man stutzig werden.“ Bild: Jonas Bleeser

Betrugsermittler Björn Vielberth: „Am Ende haben die Kriminellen immer dasselbe Ziel: Geld. Sobald es darum geht, sollte man stutzig werden.“ Bild: Jonas Bleeser

 



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Die Aufklärungsquoten sind niedrig – was bekannt ist

Wer steckt hinter den verschiedenen Betrugsmaschen? Das ist schwer zu sagen, denn die Aufklärungsquoten sind niedrig. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Reutlinger Präsidiums erfasst Fälle von Telefonbetrug zumeist in der PKS-Ausland, wenn nicht sicher ist, von wo aus die Betrüger arbeiten. Im Jahr 2022 wurden 10993 Betrugsfälle erfasst, bei 6473 blieb es beim Versuch. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein, manche Opfer schämen sich zu sehr, um zur Polizei zu gehen. 915 Fälle wurden aufgeklärt, das entspricht eine Quote von 8,3 Prozent.

Banden falscher Polizisten arbeiten in regelrechten Call-Centern von der Türkei aus, ähnliche Strukturen gibt es auch bei Enkeltrick-Betrügern oder Schockanrufern, die eher von Osteuropa aus operieren. Geschnappt wird – wenn überhaupt – meist das Fußvolk der Abholer.

Liebesbetrüger operieren unter anderem aus afrikanischen Ländern oder Asien, vereinzelt auch aus Deutschland heraus. Wer hinter der Whatsapp-Masche steckt, ist noch weitgehend unklar: Spuren führen laut Vielberth ins europäische Ausland, beispielsweise ins Baltikum.

Eine Betroffene wünscht sich mehr Hilfe von Banken

Eine Betroffene der Whatsapp-Masche hat sich ans TAGBLATT gewandt: Die 73-Jährige hatte in dem Glauben, sie helfe ihrer Tochter in einer Notlage aus, mehrere Rechnungen in Höhe von insgesamt mehreren Tausend Euro überwiesen. Als sie um einen Rückruf bat, wurde sie vertröstet: Die Tochter stand angeblich gerade unter der Dusche oder musste die Kinder abholen. „Das war trickreich und realistisch gemacht.“

Als sie schließlich Verdacht schöpfte, nachdem sie mit einer weiteren Tochter telefoniert hatte, versuchte sie, ihr Geld von der Bank zurückholen zu lassen. Dort sei am Freitagmittag zunächst niemand erreichbar gewesen. Schließlich habe man ihr erklärt, man könne das Geld nicht einfach von dem anderen Konto zurückholen, ohne dass dessen Inhaber zustimme. Was die Bank genau unternahm, habe diese ihr nicht mitgeteilt. Schließlich habe das Geldinstitut ihr für die Rückholversuche auch noch Gebühren berechnet. Die Frau wünscht sich mehr Warnhinweise auf die Masche, auch von den Banken selbst an ihre Kunden, beispielsweise direkt an den Überweisungsautomaten.

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Erstellt:
17.08.2023, 17:00 Uhr
Lesedauer: ca. 6min 43sec
zuletzt aktualisiert: 17.08.2023, 17:00 Uhr

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