Auf ein Bier ... (6)

Mit einem Schubkarren namens „Berta“ Bier geholt

In Dießen treffen sich jeden zweiten Mittwoch die Rentner in der „Ranch 36“. Viele haben den Jugendclub vor fast 50 Jahren mitgegründet.

08.12.2018

Von Willy Bernhardt

Fühlen sich pudelwohl an Dießens vor zwei Jahren im Jugendclub „Ranch 36“ aus der Taufe gehobenen „Rentner-Stammtisch“ , von links vorn (im Uhrzeigersinn): Reinhold Rapp, Fidel Schröter, Joachim Kalbacher, Erich Hauser, Schorsch Lipp, Siggi Kucharski, Bernhard Schröter, Bernhard Schäfer (aus Dettlingen), Werner Kreidler (vom Haidenhof), Wilfried Meintel und der erste „Ranch-Vadder“ Sepper Breisinger. Bilder: Kuball

Fühlen sich pudelwohl an Dießens vor zwei Jahren im Jugendclub „Ranch 36“ aus der Taufe gehobenen „Rentner-Stammtisch“ , von links vorn (im Uhrzeigersinn): Reinhold Rapp, Fidel Schröter, Joachim Kalbacher, Erich Hauser, Schorsch Lipp, Siggi Kucharski, Bernhard Schröter, Bernhard Schäfer (aus Dettlingen), Werner Kreidler (vom Haidenhof), Wilfried Meintel und der erste „Ranch-Vadder“ Sepper Breisinger. Bilder: Kuball

Am Eingang des Dießener Jugendclubs steht folgender von Loriot entlehnte und auf Dießener Verhältnisse umgemünzte Spruch unübersehbar: „Ein Leben ohne ‚Ranch‘ ist möglich, aber sinnlos!“. Da könnte etwas dran sein, zumal sich der erste „Ranch-Vadder“ Sepper Breisinger, zusammen mit Bernhard Schröter der geistige Vater des legendären Jugendclubs, sicherlich etwas gedacht hat, als er diesen Aufkleber angebrachte.

Um dieser etwaigen Sinnlosigkeit zu entgehen oder, noch besser: eine solche erst gar nicht aufkommen zu lassen, gebaren Sepper und Schorsch Rapp in der einstigen Gastwirtschaft „Zoller“ die Idee, für die „Nach-Zoller-Zeit“ eine Alternative zu kreieren. Mit-Gründungsvater Bernhard Schröter war sogleich Feuer und Flamme; Gleiches galt spontan auch für die Mitstreiter aus jenen jungen Dießener Jahren vor knapp 50 Jahren: Helmut Hauser, Albrecht Stengelin und Reinhold Rapp. Sie alle sind sich sicher, dass auch die inzwischen bereits verstorbenen damaligen „Ranch 36“-Mitbegründer und Kameraden Bernhard Götz und Jakob Kalbacher große Freude an dieser Rentner-Stammtisch-Idee in der „Ranch 36“ gehabt hätten.

Schorsch Rapp, von dessen Vater Josef die erste Sau überhaupt stammte, welche bei der allerersten „Ranch“-Schlachtplatte zu Beginn der 1970er-Jahre über die Theke ging, hat sich an diesem Mittag für den Service bereit erklärt. Ihm zur Seite steht Dießens Fronmeister, der leidenschaftliche Jäger Roland Gugel, der sich um das aus Betra geholte Kesselfleisch kümmert.

Stammtischthema „Wolf“

Sepper hat – wie immer – zwei Stunden vor Stammtisch-Beginn um 15 Uhr ordentlich vorgeheizt, und der Stammtisch selbst füllt sich quasi im Minutentakt. Siggi Kucharski war bei den Ersten mit dabei, ebenso „Jackson“ Kalbacher und „Camacho“ Hauser. Und als dann endlich noch Schorsch Lipp dazustieß war klar, dass es nicht lange dauern dürfte, bis das Thema „Wolf“ zur Sprache käme. Dies auch deshalb, da mit Werner Kreidler mit einer am Stammtisch sitzt, der vom Weiler Haidenhof stammt, wo bereits vor gut zwei Monaten ein Wolf gesichtet wurde. Der Zeuge dieses Augenblicks war im übrigen auch in der „Ranch 36“ aktuell zu Gast. Auch Bernhard Schäfer aus dem nahen Dettlingen hatte vom Wolf gelesen und wirkte gut informiert.

Im Grunde genommen scheint keiner etwas gegen den Wolf zu haben, wenn er denn nur nicht quasi vor der Haustüre im Nutzvieh wildert. So sieht es auch Ortsvorsteher Fridolin Weckerle, der mit etwas Verspätung eintrifft und am Nebentisch Platz nimmt. Auf der einen Seite hat er eine ganz persönliche Meinung als Nebenerwerbslandwirt, der eigene Schafe hält. Andererseits verweist der Ortsvorsteher aber auch auf die grundsätzliche Existenzberechtigung des Wolfes.

Hart an Verschwörungstheorien grenzt, was Fronmeister Gugel zu sagen hat. Er glaubt nämlich, dass Wölfe „in den Nordschwarzwald extra herangeschafft worden sind, weil es jetzt auf einmal so viele sind“. Bevor es jedoch um Abschussdiskussionen gehen sollte, wurde der noch immer miserable Handy-Empfang im Dießener Tal leidenschaftlich diskutiert. Auch um die schlecht ausgestatteten Schulen ging es. Für Camacho und Sepper sind die Schuldigen dabei schnell ausgemacht: „Die interessiert nur das Handy in der Großstadt, aber nicht bei uns auf dem Land!“ Keine Widerrede.

Wir wollen von den Stammtisch-Brüdern etwas über die wechselhafte Geschichte der „Ranch 36“ erfahren, die als die älteste in der Region zwischen Horb, Freudenstadt und Sulz im kommenden Jahr ihren „50er“ feiert. „Jackson“ fällt dazu spontan ein, dass die Jung-Rancher mit einem eigens umkonstruierten Schubkarren, den sie „Berta“ nannten, in Josef Kalbachers Getränkehandel das Bier holten.

Sepper geht noch ein bisschen weiter zurück, nämlich ins Jahr 1969, als er und die Seinen sich anschickten, Dießens Welt und die drum herum zu verändern. Frech gingen sie zum damaligen Dießener Bürgermeister Paul Legler und bekundeten ihr Anliegen, im bisherigen „Armenhaus“ etwas für die Jugend machen zu dürfen. Sie würden selbst kräftig Hand anlegen, und einen Tischkicker hätten sie auch schon. Legler überlegte kurz und gab sein Okay, unter dieser Bedingung: „Die örtliche Gastronomie darf darunter nicht leiden.“ Abgemacht!

Die erste eigene Schlachtplatte

In dieser örtlichen Gastronomie, die vor fast 50 Jahren noch die Gastwirtschaften „Zoller“, „Krone“, „Zur Burg“, das etwas später dazu gekommene „Café Maier“ sowie die als Einziges jetzt noch verbliebene „Linde“ umfasste, sei aber schon damals absehbar gewesen, wie’s um deren Zukunft einmal bestellt sein könnte. Der „Zoller“ etwa bot zu Beginn der 1970er-Jahre keine Schlachtplatte mehr an. Die Jung-Rancher nahmen dem Ball auf und luden 1972 zu ihrer eigenen ersten Schlachtplatte ein. Eine revolutionäre Entscheidung, wie sich zeigen sollte, denn das inzwischen „Ranch-Metzgen“ genannte Event jeweils kurz vor Silvester zieht schon seit Jahrzehnten Schlachtplatten-Liebhaber teils von weit her ins heimelige Dießen.

Sepper fällt noch etwas anderes ein hinsichtlich der Historie der „Ranch 36“. Früher sei es Usus gewesen, einen „Ranch-Eignungstest“ zu bestehen, ehe ein Jung-Dießener in den erlauchten Kreis aufgenommen wurde. Dieser bestand etwa darin, aus dem Keller von Nachbargebäuden „B-Dosen“ zu stibitzen. Hinter dem Code verbergen sich Bratwurst-Dosen. Ein übereifriger Jung-Dießener hatte sich aber einmal vergriffen und kam mit einer Zwetschgen-Dose zurück in die „Ranch“. Ergebnis: durchgefallen!

Der Stammtisch kommt in Fahrt. Plötzlich – und völlig zu Recht – fällt Fidel Schröter und Jackson ein, „dass wir ja noch nicht über unsere Ranch-Ausflüge gesprochen haben“. Diese – so viel für Dießener Nicht-Insider – liefern Jahr für Jahr den traditionellen Fasnets-Predigten teils bizarren Stoff, worauf die Narrenschar gebannt wartet. Ganz klein ging’s mit einem Besuch der Vogtsbauernhöfe los, dann ins Silberbergwerk nach Neubulach und auf den Stuttgarter Fernsehturm. Es folgten die Stationen Frankfurt am Main, Hamburg, Kalterer See, Bayern, Südtirol, Freiburg, sogar Mallorca sowie Düsseldorf, Prag und Wien. Zweimal zog es die Jung-Rancher in das südspanische Hippie-Zentrum Torremolinos, wo Dießener bereits vor über 30 Jahren wegen „Balconing“ in ihrer Ferienanlage bei der örtlichen Polizei antanzen mussten. Und in Hamburg fanden es nicht alle lustig, an der Heckscheibe eines Dießener Autos lesen zu dürfen: „Wir suchen Frauen, die gut zu Vögeln sind.“

Inzwischen hat Roland Gugel sein Kesselfleisch so weit, dass er es mit Schorsch Rapp den Stammtisch’lern kredenzen kann. Auch der Getränkenachschub funktioniert prächtig. Sepper verweist deshalb nochmals inbrünstig auf den Spruch an der Eingangstür und fragt den Berichterstatter: „Hast du jetzt verstanden, was damit gemeint ist: Ein Leben ohne ‚Ranch‘ ist möglich, aber sinnlos‘?“ Jawohl, Sepper!

Kesselfleisch-Capo Roland Gugel (links) und Schank-Chef Schorsch Rapp.

Kesselfleisch-Capo Roland Gugel (links) und Schank-Chef Schorsch Rapp.

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Erstellt:
08.12.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 15sec
zuletzt aktualisiert: 08.12.2018, 01:00 Uhr

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