Kino

„Mit viel Konzentration kann man dort drehen“

Der Stuttgarter Regisseur Franz Böhm spricht über seine Doku „Dear Future Children“, jungen Aktivismus, gefährliche Proteste und Filmen bei Tränengasbeschuss.

15.01.2021

Von JANA ZAHNER

Der Film „Dear Future Children“ porträtiert junge Menschen, die für ein besseres Leben auf die Straße gehen  und dabei große Risiken eingehen. Foto: Camino Filmverleih

Der Film „Dear Future Children“ porträtiert junge Menschen, die für ein besseres Leben auf die Straße gehen und dabei große Risiken eingehen. Foto: Camino Filmverleih

Stuttgart. Pepper und Rayen riskieren bei Protesten gegen staatliche Willkür, Unterdrückung und soziale Ungleichheit ihre Freiheit und ihr Leben. Hilda hat schon einmal fast alles verloren: Überschwemmungen und Dürren kosteten ihre Familie die Existenzgrundlage. Nun kämpft die Studentin gegen den Klimawandel. Der Dokumentarfilm „Dear Future Children“ von dem in Gerlingen bei Stuttgart aufgewachsenen Regisseur Franz Böhm begleitet drei junge Aktivistinnen in Hongkong, Chile und Uganda. Nun ist das MFG-geförderte Langfilmdebüt des 21-Jährigen beim Filmfestival Max Ophüls Preis zu sehen.

Herr Böhm, Sie waren an mehr als 40 Produktionen beteiligt, haben vier Filme gedreht und wurden 2019 beim British Independent Film Festival ausgezeichnet. Wie sind Sie so jung zum Film gekommen?

Franz Böhm : Ich habe sehr jung einen Schicksalsschlag erlebt, den ich durch Filme schauen verarbeitet habe. Schnell wurde klar, dass ich bei einem so magischen Medium, das mir eine Flucht aus dem Alltag geboten hat, auch unbedingt mitarbeiten will. Ich habe dann bei verschiedenen Kino- und Werbefilmproduktionen als Set Runner Erfahrungen gesammelt und habe versucht, so viele Bereiche wie möglich kennenzulernen. Mit 16 hatte ich dann genug Mut gesammelt, um einen eigenen Kurzfilm zu drehen.

Eine Filmkarriere ist der Traum vieler Jugendlicher – welche Tipps können Sie geben?

Ich würde jungen Menschen, die in die Filmindustrie wollen, zurufen, nicht zu lange zu warten. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, bei Projekten mitzuarbeiten und so Erfahrungen zu sammeln. Kontakte und Netzwerke sind eine wichtige Währung in der Filmbranche. Und: Man sollte eigene Projekte angehen – und dabei den Mut haben, zu scheitern. Wenn man mal nicht weiterkommt oder noch einen Tipp braucht, kann man mir auch eine E-Mail schreiben (lacht).

Was ist das Wichtigste, das Sie in Ihrer Karriere über das Filmemachen gelernt haben?

Dass die besten Filme durch gute Teamarbeit entstehen. Eine der wichtigsten Aufgaben eines Regisseurs ist, für seine Crew zu sorgen, sie zu respektieren und eine Arbeitsatmosphäre zu schaffen, die es allen ermöglicht, ihre Fähigkeiten vollständig zu entfalten. Das ist nicht einfach. Wenn das gelingt, wird das Team mit nach Chile, Uganda und Hongkong fliegen – und sich dort auch von Tränengasbeschuss nicht aufhalten lassen. Ebenfalls wichtig: Niemand kann vorhersagen, wie erfolgreich ein Film sein wird. Man muss also an den eigenen Ideen festhalten.

An „Dear Future Children“ haben mehr als 35 internationale Crewmitglieder gearbeitet. Wie kam es dazu?

Wir wollten unbedingt einen Film schaffen, der die wichtigen Geschichten junger Aktivisten erzählt und ihren Stimmen eine Plattform bietet. Dabei wollten wir unabhängig bleiben und mehr über diese beeindruckenden Menschen lernen, mit unserem besonderen Zugang mehr über sie erfahren. Ein Film über jungen Aktivismus, von jungen Filmschaffenden derselben Generation. Ein gut informiertes Projekt, das die öffentliche Debatte über die Themen unterstützt. Um diese Idee hat sich schnell ein internationales, enorm talentiertes Team gebildet. Natürlich mussten wir dann oft Überzeugungsarbeit leisten, um größere Partner zu gewinnen.

Für Ihre Protagonistinnen bedeutet die Zusammenarbeit mit einer Filmcrew ein großes Risiko. Besonders Pepper aus Hongkong muss mit einer Haftstrafe rechnen, sollte ihr Engagement bekannt werden. Wie haben Sie den Kontakt hergestellt und ihr Vertrauen gewonnen?

Die Kontakt-Herstellung war insbesondere in Hongkong nicht leicht. Mitarbeiter der „New York Times“ haben uns schließlich hilfreiche Verbindungen geschaffen. Vor Ort war unser Alter ein Vorteil, weil wir die Probleme unserer Protagonisten gut verstehen konnten, über die gleichen Witze gelacht haben und schnell ein enges Vertrauensverhältnis schaffen konnten. Wir haben bei der Postproduktion mit internationalen Experten zusammengearbeitet, die sichergestellt haben, dass nichts gezeigt wird, was unseren Protagonisten gefährlich werden könnte.

Bei den Demonstrationen, die Sie begleitet haben, wurde es oft brenzlig. Wie sind Sie und das Team mit der Gefahr umgegangen?

Wir haben uns auf die Dreharbeiten an der Frontlinie der Proteste umfassend vorbereitet, haben mit Aktivisten und Filmteams gesprochen. Durch detaillierte Strategien, gute Kommunikation und passende Helme, Gasmasken und Schutzwesten konnten wir das Risiko minimieren. Mit viel Konzentration und innerer Ruhe kann man dort drehen. Trotzdem waren die Dreharbeiten in der Frontlinie eine große Herausforderung, auch wir wurden von der Polizei mit Gummigeschossen und Tränengas beschossen, ich selbst wurde einmal am Hinterkopf getroffen und war froh, dass ich einen Helm aufhatte. Wir mussten auch mit ansehen, wie vor uns reihenweise Menschen in unserem Alter zusammengeschlagen werden, blutend und schreiend zu Boden gehen. Auch das mussten wir erst mal verkraften.

Sie leben derzeit in London, Großbritannien. Arbeiten Sie an einem neuen Film?

Ja, wir sind in der frühen Vorbereitung für ein nächstes Projekt, zu dem ich leider noch nicht viel sagen kann. Nur so viel: Es geht um die wahre Geschichte einer sehr mutigen Journalistin.

Regisseur Franz Böhm lebt und arbeitet in London. Foto: Matthew Woodwater

Regisseur Franz Böhm lebt und arbeitet in London. Foto: Matthew Woodwater

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Erstellt:
15.01.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 27sec
zuletzt aktualisiert: 15.01.2021, 06:00 Uhr

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