Eutingen · Volkstrauertag

Nicht für Glück und Ehr’ des Vaterlandes gestorben

„Ein Wort an die deutsche Jugend“ des in Weitingen geborenen Schriftstellers Olaf Saile nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren.

14.11.2020

Von Hermann Nesch

Das Eutinger Ehrenmal steht als große Gedenkwand zwischen Rathaus und Pfarrkirche und wurde im Jahr 1968 neu errichtet; das alte stammte aus dem Jahr 1921. Eine Namenstafel befindet sich auch in derFriedhofskapelle. Bilder: Hermann Nesch

Das Eutinger Ehrenmal steht als große Gedenkwand zwischen Rathaus und Pfarrkirche und wurde im Jahr 1968 neu errichtet; das alte stammte aus dem Jahr 1921. Eine Namenstafel befindet sich auch in der Friedhofskapelle. Bilder: Hermann Nesch

Der Volkstrauertag am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres ist ein Gedenktag für die Gefallenen, Vermissten und zivilen Opfer der Weltkriege und der Gewaltherrschaft, aber auch Anlass zur Besinnung, zur Abschwörung und Verhinderung von Terror und Gewalt.

Der 1901 in Weitingen geborene Journalist, Schriftsteller und Dichter Olaf Saile richtete zum Ende des Zweiten Weltkriegs und der Schrecken der Naziherrschaft ein eindringlich mahnendes „Wort an die deutsche Jugend“, sich nicht noch einmal von nationalistischen Ideen und „Führern“ blenden zu lassen und den Widerspruch zwischen nationalistischem Pathos und erschreckender Wirklichkeit nicht zu vergessen. Wir zitieren daraus.

„Ihr seid heimgekehrt aus den Schlachten und Gefangenenlagern eines furchtbaren und erbarmungslosen Krieges ... , der eure Freunde und Kameraden zu Millionen ausgelöscht hat. Ihr habt oft das Wort vom Soldatentod gehört, vom Sterben der Jünglinge für das Glück und die Ehre des Vaterlandes.“ Als Überlebende und Augenzeugen wüssten sie jedoch, dass die Gefallenen eben „nicht für das Glück und die Ehre des Vaterlandes gestorben sind“.

Saile, der von den Nazis vorübergehend inhaftiert und geprügelt wurde, fordert seine Adressaten auf, sich im in Schutt und Asche gelegten Vaterland und unter den millionenfach heimatlos umherirrenden Deutschen umzusehen, und fährt fort: „Junge Menschen ... kehren als Krüppel zurück; Millionen Kinder, die den Bombennächten entgingen, warten umsonst auf den Vater.“ Und die Kameraden, die Todesangst und das letzte Brot geteilt hätten, seien in Nordafrika und in fast ganz Europa begraben.

Man habe ihnen gepredigt, hart zu sein mit der Absicht, „das Herz zu verhärten und sich der ewig-menschlichen Gefühle zu schämen, die euch der Schöpfer ins Herz gelegt hat“, so der überzeugte Demokrat weiter. Aber wenn ein Nebenmann gefallen sei, dann sei in den Herzen auch das „patriotische“ Geschrei eines wahnsinnigen „Führers“ gestorben, der den Kampf und Tod fürs Vaterland verlangt habe.

„Aber was war denn euer Vaterland?“ fragt Saile und zählt auf: die Nacht für Nacht in Todesangst lebende Heimat, die in Flammen aufgegangenen Städte, das in Trümmer versunkene Elternhaus, die daheim verbrannte kleine Schwester, die abertausend Kinder, die nicht mehr wussten, was ein friedlicher Kinderschlaf war, oder der an der Seite zusammenbrechende Kamerad, während der „Führer“ brüllte, er müsse sein Werk zu Ende führen?

„Zu Ende! Ja! Zu Ende!“ Prägnant führt Olaf Saile die Wirklichkeit, die Fassungslosigkeit und Ratlosigkeit vor Augen und meint, nie sei die Jugend ärmer gewesen: „Ihr hattet keine Jugend, ihr hattet nicht mal ein Vaterland, in dem ihr zu Hause ward ... Ihr hattet nur euren Staat, der euch alles ersetzen sollte: die Kindheit und Jugend mit frühem Soldatendienst, Freiheit mit Zwang, Schulen und Universitäten mit Lagern und Kasernen, die Heimat mit den fremden Schlachtfeldern und das Leben – mit dem Tod ...“

„Der Rausch der Macht, an dem ihr doch nur den Anteil der Sklaven hattet, sollte euch mit der Phrase vom Herrenvolk über die Knechtschaft hinwegtäuschen. Dilettanten, Hochstapler, Taugenichtse und Verbrecher gaben sich als eure Führer aus. Das Wort von der Volksgemeinschaft schrie man euch täglich ins Ohr, um euch den Terror der Gestapo zu verschleiern.“

„Ihr hörtet das freche Wort vom blinden Gehorsam ... dass dies etwas Großes und Herrliches sei, wo es doch der Stolz und das Glück der Jugend zu allen Zeiten war, mit offenen Augen den Weg ins Leben zu gehen.“ Erbärmlich, Deutschland und seine Geschichte, seine Kultur und Leistungen mit einem Verbrecher und seiner Partei gleichzusetzen.

„Das stillere, tiefere Deutschland, das man euch zu hassen und beschimpfen gelehrt hat“, atme aber noch hinter den Trümmern und Tränen. „Es ist nicht erst durch diesen Krieg, es ist seit zwölf Jahren von Hitler geschlagen, verfolgt, gequält und gedemütigt worden.“

Weltbürgertum und Freiheit

„Es ist das Land Goethes, das nach Weltbürgertum, das Land Schillers, das nach Freiheit, das Land Keplers, das nach Wahrheit, das Land Kants, das nach ewigem Frieden sich sehnte. Niemand in der Welt draußen hat dieses Deutschland gehasst, aber Hitler hat es gehasst. Sehr viele draußen haben es geliebt, und niemand in der Welt hat euch jemals verboten, euer Vaterland und eure Heimat zu lieben.“

Niemals mehr dürfe geschehen, „dass beschränkte Generäle oder geisteskranke Gefreite“ die Liebe zur Heimat missbrauchen dürften zu Hass und Krieg, „diesen als Heroismus und Herrlichkeit getarnten Mord- und Vernichtungsrausch“. Zum Schluss seiner Worte fordert Olaf Saile, das „fluchwürdigste Verbrechen“ zu verabscheuen und aus den Seelen zu tilgen, sonst sei der Frieden nicht zu gewinnen.

Es gelte, ein ganz neues Vaterland zu bauen, das mit dem in den Abgrund gestürzten Hitler-Land auch nicht einen Schatten mehr gemeinsam haben dürfe ... „und von dessen Stirn das Kainsmal wieder gelöscht ist.“ Worte, die aufgrund der zunehmenden Empfänglichkeit vieler Jugendlicher und Erwachsener für nationalistisches Gedankengut von ihrer Bedeutung nicht viel verloren haben.

Das Ehrenmal in Rohrdorf steht auf dem nördlichen Kirchplatz.

Das Ehrenmal in Rohrdorf steht auf dem nördlichen Kirchplatz.

Das Göttelfinger Ehrenmal beim katholischen Pfarr- und Gemeindehaus wurde 1926 errichtet.

Das Göttelfinger Ehrenmal beim katholischen Pfarr- und Gemeindehaus wurde 1926 errichtet.

Das Weitinger Ehrenmal von 1922 wurde 2012 restauriert und mit den Zahlen des Zweiten Weltkrieges ergänzt. An dieseGefallenen und Vermissten erinnerten bis zur Erweiterung der Kirche 1985/86 kleine Kreuze an der nördlichen Innenwand.

Das Weitinger Ehrenmal von 1922 wurde 2012 restauriert und mit den Zahlen des Zweiten Weltkrieges ergänzt. An diese Gefallenen und Vermissten erinnerten bis zur Erweiterung der Kirche 1985/86 kleine Kreuze an der nördlichen Innenwand.

Gefallene und Vermisste aus Eutingens Ortsteilen

Erster Weltkrieg,

Gefallene und Vermisste

Eutingen: 32

Göttelfingen: 20

Rohrdorf: 12

Weitingen: 38

Gesamt: 102

Zweiter Weltkrieg

Eutingen: 47 Gefallene

und 25 Vermisste

Göttelfingen: 29 Gefallene und 17 Vermisste

Rohrdorf: 21 Gefallene

und 11 Vermisste

Weitingen: 40 Gefallene

und 15 Vermisste

Gesamt: 137 Gefallene

und 68 Vermisste

Alle Namen, die von 18-jährigen Burschen bis zu gestandenen Familienvätern reichen, wurden auf den Ehrenmälern der Ortsteile verewigt. Die Denkmäler aus verschiedenen Zeiten zeigen den jeweiligen Stil des Gedenkens. Viele Vermisste wurden später für tot erklärt. Hinzu kommen zahlreiche Verwundete und Schwerverletzte mit bleibenden Schäden, beispielsweise Verlust von Gliedmaßen, Seh- und Hörvermögen.

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Erstellt:
14.11.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 47sec
zuletzt aktualisiert: 14.11.2020, 01:00 Uhr

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