Geologie

Offene Bücher der Erdgeschichte

Eine, so Geologe Volkmar Rieber, einzigartige Ansammlung von Dolinen findet sich bei Ahldorf. Nicht nur der ehemalige Horber Lehrer erachtet diese als Geotope und Biotope für schützenswert.

20.06.2018

Von Gerd Braun

Beeindruckende Ausmaße haben einige der Dolinen im Ahldorfer „Hau“. Diese und das Gebiet an sich gelte es zu schützen, sind sich Hartmut Göttler und Volkmar Rieber einig. Bilder: Kuball

Beeindruckende Ausmaße haben einige der Dolinen im Ahldorfer „Hau“. Diese und das Gebiet an sich gelte es zu schützen, sind sich Hartmut Göttler und Volkmar Rieber einig. Bilder: Kuball

Noch lange, bevor man im „Hau“ bei Ahldorf ins Grün des Waldes eintaucht, beeindrucken die zum Teil über mehrere hundert Jahre stattlich gewachsenen Eichenbäume, die das Waldgebiet von der angrenzenden Ackerfläche abtrennen. Aber an diesem Tag geht es beim Besuch des Gebietes nicht um Laubbäume, sondern um eine geologische Besonderheit, die es in dieser Häufigkeit auf so engem Raum selten gibt. Zahlreiche Dolinen in unterschiedlicher Form und Ausprägung geben hier einen Einblick in diesen Teil erdgeschichtlicher Entwicklung.

„Wie ein Lochkäs‘ durchlöchert mit Dolinen“, sagt der ehemalige Lehrer und Geologe Volkmar Rieber, sei das Gewann. Und das, fügt er hinzu, sei einzigartig. Rieber
war schon mehrfach in dem Gebiet unterwegs, ebenso wie selbstverständlich auch Hartmut Göttler, der Ahldorfer Ortsvorsteher, der an diesem Tag aber nicht in
dieser Rolle mit in den Wald gekommen ist.

Der Ahldorfer „Hau“ nämlich ist zum Politikum geworden und Göttler als Waldeigentümer befangen. Wie inzwischen hinreichend bekannt ist, beabsichtigt die Stadt Horb, in diesem Gebiet unweit der Autobahn ein rund 25 Hektar großes Gewerbegebiet zu entwickeln.

Begriff aus dem Slawischen

Dolinen, das sind Geotope – so etwas wie offene Geschichtsbücher der jüngeren Erdentwicklung in der Region, aber auch darüber hinaus. Der Begriff kommt aus dem Slawischen: „Dolina“ heißt übersetzt „Tal“. Weder die zeitliche Dimension lässt sich für einen Menschen so recht fassen, noch die Kräfte, die der Planet mit all seinen Elementen für deren Entstehung freigesetzt hat. Volkmar Rieber referiert sicher und verständlich über die geologische Historie. Los ging das Ganze vor rund 150 Millionen Jahren, als sich aus dem Meer, das einst große Teile des heutigen Westeuropa mit Wasser bedeckt hat, das heutige Festland erhob.

Zwischenzeitlich ragte dieses mehrere hundert Meter weiter in die Höhe als es das heute noch tut. Ein Bruch in der durch die Wölbung gespannten Erdoberfläche wurde zum Einschnitt, den wir heute als Rheinebene kennen. Eine zweite Richtung, in dies sich die Erosion entwickelt hat, ist das Donautal. Auf der einen Seite wurden und werden die Höhen des Schwarzwaldes gen Westen abgetragen, Richtung Donau im Osten erodiert das Gebiet der Schwäbischen Alb. Wie ein Keil hindurch zieht sich das Neckartal.

Das alles entwickelte sich im jüngsten geologischen Zeitalter des Tertiärs, das vor etwa 80 Millionen Jahren begann. Östlich von Horb entstand so das Karst, also der ausgewaschene Muschelkalk, der Schwäbischen Alb. Und mit ihm auch Dolinen: vertikale Verwerfungen, die zum Teil mehrere hundert Meter in die Erde reichen. Geologen unterscheiden ein halbes Dutzend unterschiedlicher Karstformen. Als Vollkarst oder Ganzkarst werden Gebiete bezeichnet, die nicht durch Täler entwässert werden, sondern die durch Poljen (große geschlossene Hohlform), Karrenfelder (Gebiet, das von sich kreuzenden Kluftkarren durchzogen ist) oder eben durch Dolinen geprägt sind. „Das dauert auch ein paar Millionen Jahre“, sagt Volkmar Rieber über die Entstehung der Dolinen. Diese Geotope sind also so etwas wie eine Kanalisation solcher Gebiete, entstanden durch Korrosion, indem Wasser mit Kohlendioxid-Anteil Material aus dem Kalk auslöst.

Über einen langen Zeitraum hinweg entstehen unterirdische Kanäle und Hohlräume, und irgendwann im Entstehungsprozess ist ein Punkt erreicht, an dem die Decke über dem Hohlraum nicht mehr stabil genug ist und in sich zusammenstürzt – dann hat man eine Doline.

Beeindruckende Dimension

Der Blick heraus aus einem der mittelgroßen Dolinen-Krater beeindruckt ob der Dimension einer solchen Verwerfung. Hunderte von Kubikmetern müsste man bei einigen der zwölf kartierten Dolinen im „Hau“ verfüllen, um diese auf die Höhe deren Umgebung zu bringen. Auch von außen kann man dieses Ausmaß erahnen – spätestens wenn ein Mensch darin wie ein Zwerg wirkt. Besonders beeindruckend ist die größte Doline im Gebiet, zwischen acht und zehn Meter tief und horizontal entsprechend ausgedehnt.

Wer zufällig vor etwa einem halben Jahr in den Hohlraum geblickt hat, den eine ausgewaschene Doline am Rande des Autobahnzubringers, ein paar Steinwürfe weiter im Tief hinterlassen hat, geht mit Respekt in so eine Doline hinab. In Folge tagelangen Regens hatte Ende Januar der Untergrund genau unter einem Waldweg nachgegeben. Rund 150 Kubikmeter Material mussten dort fachgerecht so eingebracht werden, dass bis auf Weiteres keine Gefahr von dieser Verwerfung ausgeht. Dass eine Doline mehrere hundert Meter in den Untergrund ragen kann, erzählte Hartmut Göttler schon damals vor Ort.

Die Bedeutung von Dolinen wurde unter anderem in den 1980er-Jahren in dem der Donau nahegelegenen Altmühltal untersucht. Versuche dort zeigten, dass Lebensmittelfarbe, die zuvor in Dolinen eingebracht worden waren, binnen Stunden in den Quellen des Altmühltals nachgewiesen wurden. So berichtete es vor einigen Jahren der „Donaukurier“, Bezug nehmend auf Schilderungen von Stephan Daum vom Ingolstädter Wasserwirtschaftsamt.

Gelegentlich entsorgte man früher in solchen „Löchern“ alles mögliche – von Bauschutt über Grünschnitt bis zu Hausmüll. Solchem Tun wurde inzwischen aber ein Riegel vorgeschoben, und wer Material in einer Doline entsorgt, muss sich wegen eines Umweltdeliktes verantworten. Denn da Dolinen direkten Zugang zum Wasser herstellen, werden sie behördlich auch als Gewässer angesehen.

Die Menschen hier scheinen das über die Jahrhunderte sehr stark respektiert zu haben“, sagt Hartmut Göttler über die Ahldorfer Dolinen; ihm sind nur wenige Fälle bekannt, bei denen Material in solchen Vertiefungen entsorgt worden ist. Die meisten sind unberührt, nicht selten erheben sich mächtige Bäume aus den Dolinen heraus. Und so sind diese erdzeitlichen Geschichtsbücher im Untergrund nicht selten auch wertvolle Biotope – Lebensraum mit einem speziellen Klima für Fauna und Flora. „Hier wird Tieren und Pflanzen ein außergewöhnlicher Lebensraum geboten“, zitierte der „Donaukurier“ in seiner Veröffentlichung Wasser-Experte Daum.

Geschützt und erhaltenswert

Dass Dolinen als geschützt und erhaltenswert einzustufen sind, wird auch vom landesgeologischen Referat des Regierungspräsidiums Freiburg bestätigt. Dolinen, heißt es seitens der Behörde, seien als „morphologische Erscheinungsform des Karstes geschützte Geotope“.

Dass diese Einschätzungen und Erkenntnisse den Horber Gemeinderat neben anderen Faktoren vielleicht auch zeitig vom geplanten Vorhaben abhalten, die Wald- und Ackerflächenflächen bei Ahldorf für ein Gewerbegebiet zu versiegeln, hofft Hartmut Göttler ebenso inständig wie Volkmar Rieber. Von einem Gewerbegebiet auf dieser Fläche hält Rieber nichts. Er sagt: „Wir müssen lernen, uns zu bescheiden.“

Auch wenn dieses abgestorbene Holz sicherlich auch nicht in eine Doline gehören – das aufgestellte Schild ist mehr als eine klare Anweisung: „Schutt abladen verboten!“

Auch wenn dieses abgestorbene Holz sicherlich auch nicht in eine Doline gehören – das aufgestellte Schild ist mehr als eine klare Anweisung: „Schutt abladen verboten!“

„Man braucht alte Karten“, sagt Volkmar Rieber und erklärt Hartmut Göttler den von ihm selbst auf eine aktuelle Karte übertragenen Dolinen-Bestand im Ahldorfer „Hau“.

„Man braucht alte Karten“, sagt Volkmar Rieber und erklärt Hartmut Göttler den von ihm selbst auf eine aktuelle Karte übertragenen Dolinen-Bestand im Ahldorfer „Hau“.

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Erstellt:
20.06.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 09sec
zuletzt aktualisiert: 20.06.2018, 01:00 Uhr

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