Übrigens

Plädoyer für eine Stunde Dunkelheit

Die Nacht, obwohl sie eigentlich ein gutes Image hat, wird in Deutschland nicht richtig wertgeschätzt.

29.10.2016

Von Ulrich Janßen

So viel Nachthimmel wie in dieser Montage von Tagblatt-Fotograf Uli Metz gibt es in Tübingen nie zu sehen.

So viel Nachthimmel wie in dieser Montage von Tagblatt-Fotograf Uli Metz gibt es in Tübingen nie zu sehen.

Die Nacht, obwohl sie eigentlich ein gutes Image hat, wird in Deutschland nicht richtig wertgeschätzt. Das „Abendlied“ von Matthias Claudius ist zwar eine Art Nationalheiligtum, und es gibt auch erstaunlich viele Leute, die es bis zur Zeile „Der Wald steht schwarz und schweiget“ auswendig können. Doch kaum jemand geht freiwillig hinein in den schwarzen, schweigenden Wald.

Viel lieber geht man zu einer „Langen Nacht“. Kein Museum, kein Theater kommt heute ohne so etwas aus. An vielen Hochschulen gibt es sogar eine „Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“. Und „Kulturnächte“ sind heute ein Muss für jede Stadt, die auf sich hält.

Die Nacht ist also beliebt. Allerdings nur, wenn sie schön hell ist. Für die Original-Nacht, die tiefe, dunkle, manchmal rabenschwarze Nacht, interessieren sich nur ein paar Randexistenzen. Dichter und Räuber. Umweltaktivisten, denen die Straßenlaternen zu viel Energie verbrauchen oder Astronomen, die über Lichtverschmutzung wettern.

Dabei ist die Nacht eine erstaunliche Erfindung des Universums. Wir wollen jetzt nicht die großen Dichtungen der Weltgeschichte zitieren und schon gar nicht eine neue zum Thema anfertigen. Aber allein schon, dass es etwas gibt, das einen müde und munter zugleich macht, ist doch verrückt. Jeder, der mal nachts um drei von einem leisen Kratzen am Fenster aufgewacht ist, weiß, wie hellwach die Sinne plötzlich werden können. Auch wer im dunklen See schwimmt oder vorm Zelt die Sterne anschaut, spürt, wie hungrig die Sinne werden können in der Nacht. Die Welt sieht plötzlich anders aus, fühlt und hört sich anders an.

Dass die Städte nachts nicht mehr in tiefer Dunkelheit liegen wie im Mittelalter, ist trotzdem okay. Es gibt viele verdammt gute Gründe für Licht. Aber heute, an dem Tag, an dem die Dunkelheit wieder eine Stunde vorrückt, möchten wir dafür plädieren, mehr Nacht zuzulassen: Liebe Stadt Tübingen, gewähre uns eine dunkle Stunde. Schalte an einem Tag im Jahr die Straßen- und die Gebäudebeleuchtung für eine Stunde aus.

Technisch ist das möglich. Die Stadtwerke könnten die Lichter mit einem Schlag abschalten, sagen sie. Und weil die Kommunen in Deutschland keiner Beleuchtungspflicht unterliegen, gibt es, soweit wir wissen, auch keine rechtlichen Hindernisse.

Einige Leserbriefschreiber haben sich vor kurzem schon für die Nacht eingesetzt. Sie waren so beeindruckt, als im Französischen Viertel die Laternen ausfielen. Das hat uns inspiriert. Vielleicht gibt es ja noch mehr Nachtschwärmer, vielleicht ergibt sich sogar eine kleine Bewegung und es machen auch Privatleute mit. Das wäre doch eine Sache: Eine ganze Stadt im Dunkeln. Alle Lichter gehen aus. Nicht nur die Kinder (die dürfen natürlich Laternen tragen) würden staunen.

Über die Details muss man noch sprechen. Aber wir haben mal eine Online-Umfrage zu dem Thema gestartet. Machen Sie mit?

Umfrage

Umfrage: Lichter aus?

Die Nächte werden immer heller. Soll die Stadt Tübingen einmal im Jahr für eine Stunde alle Beleuchtung ausschalten?
69 %
Ja, denn Straßenlaternen und Eventbeleuchtung sorgen dafür, dass kaum noch jemand weiß, wie sich richtige Dunkelheit anfühlt.
26 %
Nein, nur weil Astronomen zunehmende Lichtverschmutzung beklagen, darf die Stadt nicht in Dunkelheit versinken.
5 %
Licht oder Schatten, hell oder dunkel - das ist mir egal.
775 abgegebene Stimmen

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Erstellt:
29.10.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 25sec
zuletzt aktualisiert: 29.10.2016, 01:00 Uhr

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