Verfahrensauftakt in Stammheim

Reichsbürger-Prozess: Horber Ralf S. will aussagen

Der Prozess gegen Ralf S. und Steffen W. hat am Montagmorgen in Stuttgart begonnen.

29.04.2024

Von Benjamin Breitmaier

Der Horber Ralf S. wird in Stuttgart-Stammheim vor Prozessbeginn in den Gerichtssaal geführt. Bild: Bernd Weißbrod/picture alliance/dpa/dpa-Pool

Der Horber Ralf S. wird in Stuttgart-Stammheim vor Prozessbeginn in den Gerichtssaal geführt. Bild: Bernd Weißbrod/picture alliance/dpa/dpa-Pool

Er scheint fast gut gelaunt zu sein. Der Kopf frisch rasiert, der Bart getrimmt, immer wieder der Blick zu den Lieben im Publikum, doch die Monate in der Untersuchungshaft sieht man ihm an: Ralf S., 57-jähriger Horber Handwerkermeister und mutmaßlicher Verschwörer. Nur einen Tisch weiter sitzt der zweite Horber, Steffen W., 54. Die Frisur: ein frischer Undercut. Das Outfit: ein Wollpullover mit weiß-grauer Marmorierung. Beide saßen bereits monatelang hinter Gittern. Ralf S. in Offenburg, Steffen W. in Ravensburg. In Handschellen werden sie zu ihren Plätzen gebracht.

Am Montag begann in Stuttgart-Stammheim eines der größten Staatsschutzverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik. Neun Personen, denen die Mitgliedschaft in einer Terroristischen Vereinigung sowie die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vorgeworfen wird, sitzen auf der Anklagebank.

„Militärischer Arm“ vor Gericht

Mächtige Panzerglasscheiben trennten die Angeklagten und 15 Sicherheitsbeamten von den anderen Beteiligten im Sitzungssaal 1 des Oberlandesgerichts in Stammheim. Ihre Verteidigerinnen und Verteidiger saßen vor der Scheibe, im Bereich mit den anderen Prozessbeteiligten, an dessen Stirnseite der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen mit professioneller Jovialität das Verfahren unter dem mächtigen Wappen Baden-Württembergs leitete.

Die Öffentlichkeit ist im Prozess durch eine weitere Panzerglaswand von den Verfahrensbeteiligten getrennt. Es herrschen massive Sicherheitsvorkehrungen. In den Saal dürfen weder Hausschlüssel, noch Gürtel, noch Telefone.

Während der mutmaßliche Rädelsführer der „Reichsbürger“-Gruppierung um Heinrich Prinz Reuß auf seinen Prozess am Oberlandesgericht Frankfurt wartet, werden in Stuttgart in der Hauptsache die mutmaßlichen Mitglieder des „militärischen Arms“ der Gruppe angeklagt.

Fünf Angeklagte aus der Region

Dem Horber Ralf S. und dem Reutlinger Markus L., der zwei SEK-Beamte schwer verletzte, werden zudem Verstöße gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz zur Last gelegt. Fünf Angeklagte aus dem Stuttgarter Prozess stammen aus der Region: Neben den beiden Horbern Ralf S. und Steffen W. sowie dem Reutlinger Schützen Markus L., müssen sich der Baisinger Matthias H. und der Neustetter Andreas M. vor Gericht verantworten.

Die Uhr steht bereits auf 10.40 Uhr, als Oberstaatsanwalt Joachim Klemm ans Mikrofon tritt. Er zeichnet nach, was sich vor allem in den Monaten ab Juni 2022 bis zum Tag des Zugriffs am 7. Dezember 2022 abgespielt haben soll, wie die Angeklagten sich vernetzten, nach Mitstreiterinnen und Mitstreitern suchten, um die freiheitliche-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu stürzen.

Die Gruppe aus der Region verbindet laut Anklageschrift vor allem die Mitgliedschaft in der sogenannten „Heimatschutzkompanie 221“. Ursprünglich war laut Anklage der Aufbau von 286 solcher Kompanien geplant. Jene in Horb sei nur eine von zwei Kompanien gewesen, die bereits im Aufbau weiter fortgeschritten war.

Immer wieder taucht auch der Name eines der Hauptbeschuldigten in dem Zusammenhang auf: Rüdiger von Pescatore. Dem ehemaligen Oberstleutnant der Bundeswehr wird mit dem Rest der mutmaßlichen Führungsriege in Frankfurt der Prozess gemacht. Mehrmals soll er sich mit den Mitgliedern aus der Region Tübingen/Freudenstadt getroffen haben.

Pescatores Name taucht auch mit Unterschrift auf einer der 136 sogenannten Verschwiegenheitserklärungen auf, die nahezu alle Angeklagten unterschrieben haben. Darin wird festgehalten: Wer Informationen über das Vorhaben zur „Reaktivierung Deutschlands“ preisgibt, der begeht Hochverrat. Die Strafe: der Tod. Beispielhaft wurde am Montag die Erklärung von Ralf S. gezeigt, die er am 28. Juni 2022 unterschrieben haben soll.

Mehrere Treffen in Horb

Pescatore soll laut Anklage sogar über einen längeren Zeitraum hinweg in der Wohnung von Andreas M. residiert haben. Das Zuhause des Neustetters wurde laut Anklage von der Gruppe als „Gefechtsstand“ bezeichnet.

Ralf S. wird von der Bundesanwaltschaft als Leiter der Heimatschutzkompanie 221 bezeichnet, zuständig für das Gebiet Tübingen/Freudenstadt. Steffen W. sei darin Militärverantwortlicher für Freudenstadt und Matthias H. für den Bereich Tübingen gewesen. S., W. und H. spähten laut Anklage auch gemeinsam die ehemalige Hohenbergkaserne in Horb aus. W., der bei den Horber Ritterspielen in Erscheinung trat, sammelte historische Waffen. Bei H. wurde den Ermittlungen zufolge eine Kleinkriegsanleitung gefunden, S. hatte sich demnach bereits im August 2021 eine Armbrust zugelegt.

Scharfschützen-Akquise?

W. arbeitete laut Anklage eng mit H. zusammen, sie arbeiteten Funkpläne aus, die Bundesanwaltschaft wirft dem Horber sogar vor, Kontakt zu einem ehemaligen NVA-Offizier gehabt zu haben – sowie den Versuch, einen Scharfschützen akquirieren zu wollen.

Kennengelernt hätten sie sich in Steffen W.s Haus in Horb. Es folgten drei Treffen der mutmaßlichen Verschwörer im August auf dem Horber Grundstück von Ralf S. außerhalb der Stadt. Eine dort von S. installierte Überwachungsanlage hat den Ermittlern offenbar geholfen, weitere Beteiligte zuzuordnen.

Angaben zu den Vorwürfen machte am Montag keiner von den Angeklagten. Ralf S. gab jedoch als einer von zwei Angeklagten an, zur Person und Sache aussagen zu wollen. Der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen kündigte zum Ende der Verhandlung an, dass er die Aussage für den kommenden Montag, 6. Mai, plane. Aber das ist erst der Anfang: Bis Januar 2025 hat das Oberlandesgericht Stuttgart 48 Verhandlungstermine angesetzt.

Anträge und Kritik der Verteidigung

Neben der Verlesung der Anklageschrift war der erste Prozesstag geprägt von zahlreichen Anträgen der Verteidigerinnen und Verteidiger.

Waffengleichheit: In der Kritik stand zum einen, dass durch die Dreiteilung des Prozesses auf Frankfurt, Stuttgart und München dem Grundsatz der Waffengleichheit zuwider stünde, dass also die Verteidiger nicht auf Einlassungen in den anderen Prozessen rechtzeitig reagieren können, die Bundesanwaltschaft dagegen schon. Gefordert wurde daher die Zusammenlegung der drei Prozesse, unter anderem durch einen der Verteidiger von Ralf S., einem der Horber Angeklagten. Der Oberstaatsanwalt erwiderte, dass die Anklage sich ohnehin hauptsächlich auf Überwachungsdaten und gesicherte Beweismittel stütze und nur relativ wenig Zeugen gehört werden.

Überwachungsdaten: Kritisiert wurde durch die Verteidigung ebenfalls, dass Daten aus der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) und Chatprotokolle erst am 16. April der Verteidigung zur Verfügung gestanden hätten. Mehrere Verteidiger beantragten daher die vollständige Überlassung der TKÜ-Daten.

Trennscheibenanordnung: In der Kritik von Seiten der Verteidigung stand außerdem, dass keine direkte Kommunikation mit den Mandantinnen und Mandanten möglich sei, da diese durch Glasscheiben von ihnen getrennt seien.

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Erstellt:
29.04.2024, 14:23 Uhr
Aktualisiert:
29.04.2024, 21:46 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 29.04.2024, 21:46 Uhr

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