Justiz

Schülerinnen sexuell missbraucht

Ein Lehrer der Waldorfschule Schwäbisch Hall muss für dreieinhalb Jahre in Haft. Der 63-Jährige soll sich an mehreren Mädchen vergriffen haben. Es kamen aber nur zwei Fälle zur Anklage.

25.03.2021

Von THUMILAN SELVAKUMARAN

Der 63-jährige Waldorfpädagoge wird gestern nach dem Urteil vor dem Landgericht Heilbronn von Justizbeamten abgeführt. Foto: Thumilan Selvakumaran

Der 63-jährige Waldorfpädagoge wird gestern nach dem Urteil vor dem Landgericht Heilbronn von Justizbeamten abgeführt. Foto: Thumilan Selvakumaran

Heilbronn / Schwäbisch Hall. Es ist der vorerst letzte Auftritt des 63-Jährigen vor einem großen Publikum: Als Kinder-Zirkusdirektor und Lehrer der Waldorfschule Schwäbisch Hall liebte er es, im Mittelpunkt zu stehen, die Menschen zu unterhalten. Am gestrigen Mittwoch allerdings zieht er sich mit zittrigen Händen die Kapuze vor die Augen, als er in Handschellen zur Urteilsverkündung in den vollen Saal des Landgerichts Heilbronn geführt wird.

In blumigen Worten hatte er zu Prozessbeginn noch berichtet, mit welchem Herzblut er in den vergangenen knapp 30 Jahren seinen Job erfüllt habe, dass er „Mama und Papa in einem“ für die Schüler gewesen sei. Er sprach von Lebensfreude, die er anderen geschenkt habe, von 180 Briefen, die ihn in der Untersuchungshaft erreichten, von einer Familie, die zu ihm halte. „Ich war nicht der schlechteste Mensch.“

Kinderpornos vertont

Ein Gutachter allerdings attestiert dem Angeklagten eine „pädophile Nebenströmung“. Die Kammer ist davon überzeugt, dass er mindestens zwei seiner Schülerinnen als Schutzbefohlene missbraucht hat. Bei einer Hausdurchsuchung fanden Ermittler zudem Kinderpornos, die auch den Verkehr mit Babys zeigen. Dafür bekommt er dreieinhalb Jahre Haft und muss eine Therapie bestreiten.

Der 63-Jährige hat offensichtlich die besondere Stellung eines Waldorfschulklassenlehrers ausgenutzt. Dieser betreut und unterrichtete eine Klasse von der ersten bis zur achten Stufe durchgehend in den allermeisten Fächern. Er hatte teils sehr enge Beziehungen zu den Familien, feierte Weihnachten mit ihnen, hüpfte bei Wasserspielen im Garten in Unterhose mit den Kindern mit. Er führte Töchter alleine ins Restaurant aus und nahm sie mit zu privaten Bootstouren – mit Erlaubnis der Eltern. Ermittlungen ergaben, dass es viele weitere Übergriffe und Opfer gab, dass er sogar mit einer 13-Jährigen eine regelrechte intime Beziehung führte, von der sogar seine Frau wusste. Manche Fälle sind aber verjährt, haben die Schwelle der Strafbarkeit nicht erreicht – oder die Eltern verhinderten die Vernehmen der Mädchen, wie die leitende Kripo-Beamtin berichtete.

Die Vorsitzende Richterin Eva Bezold kommentierte, dass die besondere Nähe zum Lehrer gut laufen könne, allerdings „im schlechtesten Fall das Risiko des Ausgeliefertsein an einer Person, mit der man nicht klarkommt, beinhaltet“.

Der erste Übergriff, der zur Anklage kam, betraf ein damals neun- oder zehnjähriges Mädchen, das nach einem privaten Segeltörn 2014 beim Lehrer übernachtete, obwohl das Elternhaus nur wenige hundert Meter entfernt steht. Er ging mit einer Nachtsichtkamera unter die Decke des Mädchens und manipulierte in ihrem Intimbereich. Die wehrlose Schülerin hatte sich schlafend gestellt. Der zweite Fall soll sich 2016 im Schullandheim ereignet haben, als er alleine mit sechs, sieben Mädchen in einem Nebenraum übernachtete. Dabei hat der Lehrer unter den Slip gegriffen und sei mit dem Finger in das Mädchen eingedrungen. Das wertet das Gericht als schweren sexuellen Missbrauch.

Der Angeklagte habe, so die Richterin, zwar die „objektiven Tatvorwürfe“ eingeräumt. Er will aber aus „purer Neugierde, die nicht sexuell motiviert war“, gehandelt haben.

Wortreich, bisweilen großmäulig

Auch für die Kinderpornos, die bei ihm gefunden wurden, hatte er eine besondere Erklärung. Die Videos hatte er mit Bildern ihm sehr nahestehender Mädchen ergänzt und mit seinen sexuellen Phantasien vertont. Die Videos habe er gefertigt, „um den Ausstieg aus seiner Obsession zu finden, quasi zum Abgewöhnen“, berichtet die Richterin Die Kammer sieht darin Schutzbehauptungen. Der Angeklagte sei „wortreich, bisweilen auch ein wenig großmäulig im scheinbaren Büßergewand“ aufgetreten. Das hinterlasse den Eindruck, dass er „von oben herab agieren“ wollte, dass es ihm bislang nicht gelungen sei, sich seiner „Schattenseite zu stellen und sich zu ihr zu bekennen“.

Staatsanwaltschaft und Nebenklagevertreter hatten bis zu fünf Jahre Haft gefordert. Weil der Angeklagte geständig sei, weswegen den Schülerinnen Aussagen vor Gericht erspart blieben, weil er beiden zusammen 17?000 Euro Entschädigung im Vergleich zugesichert hat, setzte das Gericht eine geringere Strafe an.

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Erstellt:
25.03.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 59sec
zuletzt aktualisiert: 25.03.2021, 06:00 Uhr

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