Cold Case

Schuldspruch nie akzeptiert

Ein früheres Tötungsdelikt streitet der Angeklagte im Prozess um die 1995 getötete Brigitta J. bis heute ab.

28.01.2021

Von DOMINIQUE LEIBBRAND

Auch für das Stuttgarter Landgericht ist Prozess rund um den sogenannten Sindelfinger Cold Case ein außergewöhnlicher Fall. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Auch für das Stuttgarter Landgericht ist Prozess rund um den sogenannten Sindelfinger Cold Case ein außergewöhnlicher Fall. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Stuttgart. Etliche Akten und Schriftstücke hat die Kriminalbeamtin, die am Mittwoch im Prozess um die vor 25 Jahren in Sindelfingen getötete Brigitta J. im Zeugenstand saß, durchgeschaut, doch ein Brief hat sie emotional gepackt. Es ist das Schreiben einer Tochter, die ihre Mutter durch ein Verbrechen verloren hat. Adressiert an den verurteilten Täter.

Hartmut M., dem am Stuttgarter Landgericht aktuell wegen der Ermordung Brigitta J.s der Prozess gemacht wird, saß bis 2017 wegen Erpressung und wegen Totschlags in Haft. 2001 soll er die Anhalterin Magdalene H. aus der Nähe von Schwäbisch Hall gefesselt und ihr in einem Waldstück bei Kulmbach (Bayern) die Kehle durchgeschnitten haben. 2007 war der Ex-Top-Manager dafür verurteilt worden.

Anfang 2020 wurde M. dann in einer Hamburger Kleingartensiedlung erneut festgenommen, nachdem ihm eine aufbereitete DNA-Spur, die unter J.s Fingernägeln gefunden worden war, zugeordnet werden konnte. In der Hütte stellten die Beamten allerhand Datenmaterial sicher.

Im Nachgang fiel der 28-jährigen Beamtin jener Brief in die Hände, der sie so rührte, stammte er doch von der Tochter Magdalene H.s. Diese habe M. in dem Brief gebeten, seinem Testament beizufügen, was die Mutter vor ihrem Tod gesagt habe.

Auch an die Antwort erinnert sich die Polizistin noch. M. habe alles abgestritten. Zwei Täter müssten am Werke gewesen sein. Einer müsse sie gefesselt haben, der andere habe ihr dann die Kehle durchgeschnitten.

Aus dem Brief sowie aus anderen Schreiben und Notizen gehe klar hervor, dass Hartmut M. den Schuldspruch nie akzeptiert habe, sagte die Kriminalbeamtin. Ein psychiatrisches Gutachten der Uni Würzburg sei zudem zu dem Schluss gekommen, dass sich M. nie mit seinen Taten auseinandergesetzt habe.

Die Motive des Angeklagten blieben also weitestgehend im Dunkeln. Die Nebenklage im Fall Brigitta J. vermutet indes einen sexuell-sadistischen Antrieb des Angeklagten. Deren Vertreter Mario Seydel stellte den Antrag, Pornobilder, die ebenfalls sichergestellt worden waren, im Prozess in Augenschein zu nehmen und es nicht bei der Beschreibung von Polizisten zu belassen. So fanden sich Dateien, in denen Frauen geschlagen, erniedrigt, gefesselt und vergewaltigt werden.

In Kombination damit, wie H. getötet worden sei – „die Tat gleicht einer Hinrichtung“?– könnten die Bilder einen Hinweis auf M.s Gedankenwelt geben, sagte Seydel. Naheliegend sei, dass er aus Mordlust beziehungsweise zur Befriedigung seines Sexualtriebes getötet habe. Für den Anwalt ist das auch ein naheliegendes Mordmotiv im aktuellen Fall. Dominique Leibbrand

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Erstellt:
28.01.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 15sec
zuletzt aktualisiert: 28.01.2021, 06:00 Uhr

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